«Ver­net­zen und ver­netzt blei­ben»

Gespräch mit Dr. Bernd Scholl, Professor für Raumentwicklung, ETH Zürich

Die Schweiz will eine nachhaltige Entwicklung von Siedlung und Verkehr. Grundgedanke ist die Siedlungsentwicklung nach innen. Wie wirkt sich FABI auf die Ziele der Raumplanung aus?

Publikationsdatum
29-01-2014
Revision
13-10-2015

TEC21: Wie wirken sich Angebotsverbesserungen auf dem öV-Netz allgemein auf die Zersiedelung aus 
Bernd Scholl: Minimal bis gar nicht. Siedlungsverdichtung nach innen bedeutet, die zukünftige Entwicklung in den Einzugsbereich der Haltestellen des öffentlichen Verkehrs zu lenken. Dazu braucht man einen leistungsfähigen öffentlichen Verkehr und weitere Ausbauten. Dichte im öV heisst, das Angebot in einer bestimmten Zeiteinheit zu verdichten, sprich die Einführung des Viertel- oder Halbstundentakts. 

TEC21: Am Grundbedürfnis der Menschen nach Bewegung ist seit Jahren nicht zu rütteln. Ist für Sie Wohnen und Arbeiten an einem Ort realistisch 
B. S.: Hierzu ein Beispiel: Nehmen wir ein Areal, auf dem Wohn- und Arbeitsplätze erstellt werden. Wer dort arbeiten möchte, muss auch dort wohnen und umgekehrt. Das zu erzwingen ist schon schwierig. Doch was passiert bei einem Wechsel des Arbeitsplatzes oder beim Wechsel in den Ruhestand? Das ist ein dynamischer Prozess. Es gibt Zeiten, in denen Wohnen und Arbeiten näher beieinander liegen. Wer den Arbeitsplatz wechselt, möchte vielleicht am Wohnort bleiben. Besonders das soziale Umfeld ist für die Stabilität der Familie und der Gesellschaft wichtig. Die Menschen können frei wählen. 

TEC21: Sind wir in der Schweiz weniger als andernorts darauf angewiesen, bei einem Stellenwechsel auch den Wohnort zu verändern 
B. S.: Das ist so. In Megazentren mit vier bis fünf Millionen Einwohnern sind die hoch spezialisierten Arbeitsplätze in den Zentren. Aber die Arbeitnehmer können nicht alle im Zentrum wohnen. Dafür müsste die bauliche Struktur massiv verändert werden. Damit es dann keine Probleme mit der Erschliessung gibt, müsste man auch mit der Verkehrsinfrastruktur nachziehen. Wir wollen in der Schweiz weder Probleme der Überkonzentration noch der Entleerung. Das gelingt nur, wenn wir vernetzen und vernetzt bleiben. Wir knüpfen hier an Raumplanungskonzepte wie die «polyzentrische Schweiz» an. Mit einem Zusammenspiel zum Beispiel der Regionen des Mittellands, namentlich von Bern, Basel und Zürich, kommt man auf die rund vier Millionen Einwohner, die eine leistungsfähige europäische Metropole braucht. Das strategische Rückgrat ist der schienengebundene Verkehr. Er hat zwar nicht die Hauptlast zu tragen, aber wenn Menschen sich zwischen Regionen bewegen müssen, brauchen sie ein verlässliches System.  

«FABI wird das Netz nicht weiter ausdehnen, sondern ein dichteres Angebot zwischen bestehenden Zentren und Regionen vorantreiben.»

TEC21: Sind die geplanten Projekte in STEP 25 der FABI-Vorlage mit den Zielen der Raumplanung vereinbar 
B. S.: Sie unterstützen die Entwicklung nach innen, weil sie die besiedelten Räume erschliessen und Verbesserungen am Bestand vorsehen, um ein adäquates Angebot zur Verfügung stellen zu können. FABI wird das Netz nicht weiter ausdehnen, sondern ein dichteres Angebot zwischen bestehenden Zentren und Regionen vorantreiben. Wenn ein Ort besser erschlossen ist, wird er auch attraktiver, d. h., er wird wahrscheinlich nicht nur verdichtet werden, sondern auch in der Fläche wachsen. Ein wenig zusätzliche Zersiedelung ist nicht auszuschliessen, aber viel weniger, als wenn man neue Orte erschliessen würde. 
Durch die Revision des Raumplanungsgesetzes ergeben sich aber Möglichkeiten, dies gänzlich zu vermeiden. Danach gilt es zunächst die inneren Reserven zu aktivieren, ehe neue Siedlungsfläche eingezont wird. Der öffentliche Verkehr schafft jene Beweglichkeit, die die Menschen brauchen, um in einer hoch entwickelten Gesellschaft rasch auf neue Situationen reagieren zu können, ohne ihre Lebensumstände ändern zu müssen. Es gibt keine Sicherheit, dass die Rahmenbedingungen bleiben. Dass man bei FABI alle paar Jahre überprüft, was erreicht wurde und was noch gebraucht wird, ist gut. Das schrittweise Verwirklichen der Projekte ist die richtige Stossrichtung, weil sie Korrekturen zulässt. 
Was man bei dieser FABI-Vorlage, sprich bei STEP 25, nicht übersehen sollte, sind die Planungsmittel für die nächsten Schritte wie beispielsweise die dritte Juraquerung. Die Fachleute können sich dank dieser Planungsmittel damit auseinandersetzen, welche Räume für künftige Generationen gesichert werden müssen. Nicht nur Freiräume, sondern auch hinsichtlich Infrastrukturentwicklung. Bei fortschreitender Siedlungsentwicklung werden die Spielräume kleiner. Die Raumsicherung erfolgt über die Koordination zwischen den Richtplanungen und dem Sachplan Verkehr des Bundes. 

TEC21: Bisher haben wir nur über die Siedlungsentwicklung und den Personenverkehr gesprochen. Wie sieht es mit dem Güterverkehr aus 
B. S.: Grundsätzlich gilt: Jeder Ausbau der Infrastruktur bei Mischverkehr dient auch dem jeweils anderen. Wir brauchen eine Diskussion, wie Siedlungsentwicklung, Güter- und Personenverkehr bestmöglich aufeinander abgestimmt werden. Das Verlagerungsziel ist klar. Die Basistunnel am Gotthard und am Lötschberg sind gebaut, um Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern. Wenn aber grosse Teile dieses Verkehrs durch dicht besiedeltes Gebiet gehen, sollten wir dort Möglichkeiten zur Entflechtung suchen. Bei einer starken Verkehrszunahme kann es zu einem Verdrängungswettkampf kommen. Wenn dieser zugunsten des Güterverkehrs ausgeht, schwächen wir die Innenentwicklung, weil wir auf denselben Schienen weniger Personenverkehr anbieten können.  

«Bei einer starken Zunahme des Verkehrs kann es zu einem Verdrängungswettkampf kommen.»

TEC21: Verkehr und Raumplanung sind zwei Seiten einer Medaille. Was wünschen Sie sich für die Zukunft 
B. S.: Künftig wird es wichtiger werden, grossräumige Vorstellungen über die Raumplanung zu entwickeln und darüber nachzudenken, in welche Richtung sich eine Region in den nächsten 20, 30 Jahren entwickeln soll, um damit die Voraussetzung zu schaffen, Verkehrsinfrastrukturen bestmöglich in den Raum integrieren zu können. Ich wünsche mir deshalb eine noch intensivere Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der Verkehrs- und der Raumentwicklung. 

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