Ver­hei­zen wir die Ar­ten­viel­falt?

Energiepolitik und Waldbiodiversität

Energiegewinnung aus Holz zu erhöhen und die Biodiversität im Wald zu erhalten sind widersprüchliche Ziele. Die Schweizer Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft greift Lehren aus Süddeutschland auf.

Publikationsdatum
02-06-2016
Revision
02-06-2016

Im Rahmen der Energiestrategie 2050 soll die Verwertung von Waldenergieholz gesteigert werden. Das erklärte Ziel, die Holzproduktion des Schweizer Walds auszureizen, ist vor dem Hintergrund des angepeilten Ausstiegs aus der Atomenergie nicht nur verständlich, sondern unumgänglich. Aber der Wald in der Schweiz, der rund einen Drittel der Landesfläche bedeckt, ist nicht einfach eine Holzfabrik, die mit allen verfügbaren Mitteln zur Effizienzsteigerung zu bringen ist.

Wald erfüllt vielfache Funktionen wie Schutz vor Natur­gefahren und Wasserhaushalt, ist Erholungsraum und mit seiner grossflächigen Ausdehnung auch ein Hort für Biodiversität. Von den geschätzten 64 000 in der Schweiz lebenden Arten kommen 40 % im Wald vor. Die Waldpolitik 2020 sowie die Strategie Biodiversität Schweiz und ihr Aktionsplan sehen vor, die Artenvielfalt zu erhalten und gezielt zu verbessern. 

Den Wald sich selbst überlassen oder ernten?

Effiziente Energieholznutzung und die Förderung der Biodiversität können sich gegenseitig im Weg stehen. Hier gilt es, widersprüchliche Ziele unter einen Hut zu bringen. Überspitzt gesagt lässt sich fragen, ob der Wald verwildern soll oder ob, wie und wie viel wir ernten sollen. Oder lassen sich gar Synergien herstellen? Diesen und damit verbundenen Fragen geht die WSL (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft) nach. 

Biotopholz für guten Boden

Grundsätzlich sind rund 90 % der Waldfläche in der Schweiz zugänglich und damit theoretisch für die Holzproduktion nutzbar. In Naturwaldreservaten erfolgt keine Holznutzung. In Sonderwaldreservaten ist dies der Fall und sogar zwingend nötig. Allerdings ist das oft bloss defizitär möglich. Deshalb gibt es insbesondere im Alpenraum und auf der Alpensüdseite Regionen mit hohen Anteilen von ungenutzten Beständen mit steigenden Holzvorräten und Mortalität. 

Stehend, liegend, tot oder lebend belassenes Biotopholz führt nach dessen Abbau zu einem nährstoffreichen Humus. Besonders bei der Buche sind oft über die Hälfte der essenziellen Nährstoffe wie Magnesium, Mangan, Phosphor, Calcium oder Kalium im Holz gespeichert.

Der hohe Stickstoffeintrag wiederum führt zu sehr hohem Zuwachs (rund 8.5 Erntefestmeter pro Jahr und Hektar). Eine vollständige Nutzung des Holzes würde also auf lange Sicht die Nährstoffbilanz der Böden dauerhaft verringern und damit den Holzzuwachs drastisch sinken lassen. Der Schutz der Biodiversität durch Belassen von Biotopholz dient also langfristig auch der Energieproduktion aus Holz.

Wälder, die nicht mehr bewirtschaftet werden, erhöhen in der Regel ihre Biomasse. Wenn es nicht zu grossflächigen Störungen kommt, pendelt sich dies irgendwann auf höherem Speicherniveau für Kohlenstoff ein. Bis zu diesem Zeitpunkt handelt es sich um eine Kohlenstoffsenke. Die Bewirtschaftung hat bezüglich Kohlenstoffbilanz den Vorteil, dass fortwährend mit dem (verbauten) Holz Kohlenstoff gebunden und eingelagert wird und fossile Energien substituiert bleiben. 

Um die künftig möglichen Holzerntepoten­ziale abzuschätzen, wurden durch die WSL an ihrem Forum Suisse Romande drei Szenarien simuliert: Vorratsanstieg, höher Zuwachs und grosse Nachfrage nach Energieholz. Bei allen drei Szenarien fallen bestimmte Mengen an Holz an, die im Wald liegen bleiben oder energetisch genutzt werden können.

Liegen gebliebenes Totholz kann wertvolle ökologische Funktionen erfüllen, Energieholz kann auch wirtschaftlich interessant sein, und es substituiert ­fossile Energieträger. Nachhaltigkeit ist daher mehrdimensional zu betrachten, auch die ökonomische Nachhaltigkeit muss respektiert werden.

Externe Expertise aus Ebrach 

Wie divergierende Ziele der Holznutzung und des Naturschutzes unter einen Hut zu bringen sind, ­zeigte Ulrich Mergner, Forstbetriebsleiter der bayerischen Staatsforsten in Ebrach, auf. Im Sinn einer Optimierung statt einer Maximierung werden dort die in den Naturreservaten nachweisbaren Waldarten wieder angesiedelt, ohne auf die Holznutzung völlig zu verzichten.

Als wichtigster Weiser gilt die Artengruppe der xylobionten, also Holz bewohnenden Käferarten. Diese verfügen im Vergleich zu andern Artengruppen nur über eine geringe Ausbreitungsdynamik und benötigen zum Erhalt der Populationen eine gute Vernetzung an Habitatstrukturen. In Ebrach sind 480 derartige Käferarten bekannt.

Der Forstbetrieb Ebrach ist mit einem ­jährlichen Holzeinschlag von 100 000 Festmetern, davon rund einem Viertel Brennholz, einer der ­grössten Energieholzproduzenten in Bayern. Er ­besitzt ein Naturschutzkonzept als fest verankerten Bestandteil seines Waldbewirtschaftungskonzepts.

So etwa ­verbleiben 15 bis 20 % des eingeschlagenen Holzes nach der Ernte als liegendes Totholz im Wald, darunter auch starkes Totholz, lebenswichtig vor allem für xylobionte Pilzarten. In sämtlichen bewirtschafteten Waldbeständen werden zehn Biotopbäume je Hektar angestrebt – Bäume also mit Höhlen, mit Kon­solenpilzen oder mit frei liegendem Holzkörper. Künftig sollen im Betrieb Ebrach 150 000 solcher Bäume stehen. 

Sechs Naturwaldreservate zwischen 23 und 180 ha (430 ha gesamt) sichern repräsentative Standorte, die teils bereits seit Jahrzehnten ungenutzt sind. Sie sind so etwas wie die «Lebensversicherung» für die Waldartenvielfalt. Auf der gesamten Waldfläche des Forstbetriebs verteilt finden sich Kleinflächen von 0.3 bis 20 ha Grösse, die mit einer grösseren Anzahl ökologisch höherwertiger Bäume bestockt sind.

Sie sind sogenannte «Tritt­steine», die der Artenvielfalt als Zwischenlandung bei der Ausbreitung dienen. Die Reservate sind damit wirksam vernetzt. Zu diesen rund 200 Trittsteinen kommen 40 km ökologisch wertvolle Waldränder, insgesamt 700 ha Fläche, die dauerhaft der Bewirtschaftung entzogen sind.

Niederwaldwirtschaft 

Werner Konold von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg in Breisgau referierte am Forum WSL Suisse Romande zum Thema «Niederwald als Energiequelle». Er ist der festen Überzeugung, dass in Mitteleuropa, wo alles Kulturlandschaft ist, der Verlust der biotischen Vielfalt primär über Nutzungssysteme zu bremsen ist.

Daher plädierte er für die Wiederaufnahme der Niederwaldwirtschaft im Rahmen einer übergeordneten Strategie, die Waldnutzungsformen zu diversifizieren und eine grössere Raum-Zeit-Dynamik in die Landschaft zu bringen. Willkommene Nebenerscheinung seien dabei Naturschutzeffekte.

Und in der Schweiz? 

Eine WSL-Diskussionsgruppe sucht nun für die Schweiz nach Lösungen, bei denen sich die Waldwirtschaft und die Förderung der Biodiversität gegenseitig annähern und somit von Massnahmen gleichermassen profitieren. Geplant ist das Ausformulieren eines Arbeitspapiers zuhanden der Waldwirtschaft, des Naturschut­zes und der Wissenschaft.


Weitere Informationen

Download des WSL-Berichts zum Thema Energieholz und Waldbiodiversität:
wsl.ch/dienstleistungen/publikationen/pdf/15447.pdf

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