Trink­was­ser im Dich­te­stress

Der Bund schlägt Alarm: Hunderte Grundwasserbrunnen sind von der Stilllegung bedroht, weil sie ungenügend geschützt sind. Die Raumplanung hat zu wenig aufgepasst. Der Kanton Solothurn will nun Gegensteuer geben.

Publikationsdatum
26-04-2019

Densingen ist beileibe nicht der Motor der Schweiz, aber ein Zahnrad, das läuft und läuft. Im fleissigen Dorf, eingeklemmt zwischen Autobahn A2 und Jurahügeln, verkehren fast so viele Arbeiter wie ständige Einwohner. Auch deshalb übertrifft die 6000-Seelen-Gemeinde das nationale Bruttoinlandprodukt um 35 %. Für die «Hauptstadtregion Schweiz», die das westliche Mittelland umfasst, ist Oensingen ein «Top Entwicklungsstandort».

Dumm nur, dass man sich dort eben selbst das Wasser abzugraben scheint. Nicht, was die wirtschaftliche Leistung betrifft, sondern im wahrsten Sinn des Worts: Das Grundwasserpumpwerk Moos, das sämtliches Trink- und Brauchwasser für die Haus­halte und Firmen liefern muss, wird vor allem von ­Letzteren bedrohlich eingekreist. Es steht mitten in einem fast 1 km2 grossen Gewerbegebiet, was für Gewässerexperten eine Art Tabubruch ist.

Vor 50 Jahren wurde die Pumpstation auf Ackerland weit ausserhalb des Siedlungsgebiets gebaut. Jetzt ist es eingekesselt: Die Anlage, die sauberes Grundwasser aus 30 m Tiefe an die Erdoberfläche holt, ist sogar akut bedroht. Das kantonale Amt für Umwelt verlangt von der Gemeinde inzwischen, die Wasserbeschaffung so schnell wie ­möglich besser abzusichern und nach Alternativen zu suchen. Wir befragten den kantonalen Experten.

TEC21: Herr Hug, warum darf das Pumpwerk Moos nicht weiterhin Grundwasser fördern?
Rainer Hug
: Wasser liefert der Brunnen effektiv genug, und auch die Qualität ist bislang nicht zu beanstanden. Doch das Problem ist: Das Einzugsgebiet der Fassung ist zu wenig gut geschützt.

Warum nicht?
Die Fassung liegt mitten in einer Industriezone, und rundherum ist praktisch alles überbaut. Damit steigt das Risiko, dass das Grundwasser unmittelbar verunreinigt werden kann. Gefährlich sind etwa Heizöltanks oder Betriebs­tank­stellen; bei Lecks oder anderen Zwischenfällen kann Öl oder Benzin in den Untergrund versickern. Noch problematischer sind die benachbarten Abwasser­leitungen: Falls diese undicht werden, können sie das Grundwasser lange Zeit unbemerkt verschmutzen.

Werden gesetzliche Regeln nicht beachtet?
Die Gewässerschutzverordnung schreibt für jede Pumpstation einen Umkreis von mindestens 100 m vor, der frei von Bauten und Anlagen zu halten ist. Dieser Sicherheitsabstand wird mit den Grundwasserschutzzonen 1 und 2 festgelegt. Er muss noch grösser sein, wenn das Grundwasser nicht mindestens zehn Tage braucht, um vom Rand der Freihaltezone bis zur Pumpfassung zu fliessen. In dieser Zeit soll der Boden eventuelle Verunreinigungen filtern oder bakteriell abbauen können.

Was kann die Gemeinde jetzt tun?
Zum einen soll die Gemeinde künftig das Wasser in der Fassung und im nahen Einzugsgebiet kontinuierlich auf potenzielle Schadstoffe über­wachen. Zum anderen muss sie sich auf ein zweites Standbein für die Wasserbeschaffung abstützen können, etwa indem sie sich an einer bestehenden, gut geschützten Grundwasserfassung anschliesst. In der Nachbarschaft stehen beispielsweise leis­tungs­­fähige und nahezu konfliktfreie Fassungen mit Reserven für einen Anschluss bereit.

Muss die eigene Fassung nicht aufgehoben werden?
Oensingen hat eine Frist von zehn Jahren erhalten. Ab dann darf das Pumpwerk Moos nur noch reduziert benutzt werden. Und ab dann soll das Werk bei einer Verunreinigung vom Netz genommen werden können, ohne die Versorgung der Gemeinde einschränken zu müssen. Trotzdem muss die ­Ge­meinde die Grundwasserschutzzone nun so weit möglich an die gesetzlichen Vorgaben anpassen. Kann die 100-m-Regel nicht eingehalten werden, braucht es andere, verschärfte Schutzmassnahmen.

Warum muss das nicht schneller gehen?
Rechtlich ist die Situation sogar so: Die Konzession für die Grundwassernutzung läuft erst 2040 ab. Den Schutzstandard jetzt schon zu aktua­lisieren war das Resultat von Verhandlungen zwischen dem Kanton und der Gemeinde. Da nun die letzten Flächen in der Schutzzone S3 überbaut ­wer­den sollen, musste der Kanton intervenieren. Die hydrogeologischen Bedingungen an diesem Standort entschärfen das Problem aber ein wenig: Der Grundwasserträger befindet sich im Vergleich zu anderen Fassungen weit unten. Dank der mächtigen Schutzschicht ist das Grundwasser von Oensingen besser geschützt, was uns Zeit für die Umsetzung gibt.

Ist Oensingen ein Spezialfall?
Leider nein, sondern beispielhaft für ein halbes Dutzend Trinkwasserfassungen im Kanton Solothurn. Die Ausdehnung des Siedlungsraums und der Bau von Verkehrsinfrastruktur wie Strassen und Tunnels setzen den Schutz der bestehenden Versorgung unter grossen Druck. Dass eine Grundwasserschutzzone S2 überbaut ist oder sich mit rechtmässigen Bauzonen überlagert, trifft jedoch für viele Gemeinden im gesamten Schweizer Mittelland zu. 

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 16-17/2019 «Trinkwasser: Der Kreislauf stockt».

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