Schutzwaldpflege rechnet sich
Zwei Fallstudien zeigen auf, wie der Schutzwald entlang von Bahnlinien die Risiken reduziert. Gemäss den Nutzen-Kosten-Analysen sind die Massnahmen zur Pflege der untersuchten Schutzwälder wirtschaftlich.
Die Schweiz ist ein Gebirgsland, und wo Berge sind, treten auch Naturgefahren auf: Lawinen, Steinschlag, Rutschungen, Murgänge. Mit technischen Schutzbauten lassen sich die Risiken wesentlich reduzieren oder gänzlich eliminieren. Doch Lawinenverbauungen, Steinschlagnetze, Geschiebesammler, Auffangdämme oder gar Galerien zu erstellen und zu unterhalten, ist kostspielig. Eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Naturgefahren spielen daher die Schutzwälder. Das sind Wälder, die ein anerkanntes Schadenpotenzial gegen eine bestehende Naturgefahr schützen oder die damit verbundenen Risiken reduzieren.1
Die Wirkung des Schutzwaldes beurteilen
Seit einigen Jahren unternimmt das Bundesamt für Umwelt (Bafu) Anstrengungen, um die Wirkungen des Schutzwalds analog zu technischen Schutzmassnahmen gemäss der im Ingenieurwesen etablierten Methode PROTECT beurteilen zu können (vgl. Hinweis unten).
Grundsätzlich sei das möglich, sagt Benjamin Lange von der Abteilung Gefahrenprävention des Bafu. «Dabei sind jedoch die Eigenheiten des biologischen Systems ‹Wald› zu berücksichtigen.» So wachsen zum Beispiel Bäume vergleichsweise langsam. Die dominierenden Baumarten und Standortbedingungen prägen den Charakter des jeweiligen Walds, der als lebendes System reagiert und sich dynamisch entwickelt.
Zwei Fallstudien zeigen nun beispielhaft, wie sich die Wirkung der Schutzwälder beurteilen lässt. Anhand einer Risikoanalyse wurde deren Risikoreduktion aufgezeigt. Schliesslich wies man die Kosten für die Schutzwaldpflege aus, stellte diese dem Nutzen gegenüber und konnte sodann Aussagen zur Wirtschaftlichkeit machen. Als Beispiele dienten Schutzwälder an Strecken der Schweizerischen Bundesbahnen SBB, die zusammen mit dem Bafu die beiden Fallstudien in Auftrag gegeben hatte.2
Die Wahl der Untersuchungsobjekte fiel zum einen auf ein Steinschlaggebiet im Berner Jura an der Strecke zwischen Moutier und Court. Zum anderen untersuchte man Schutzwälder bezüglich ihrer Wirkung zur Verhinderung von flachgründigen Rutschungen im Entlebuch in der Nähe von Wolhusen sowie im Tessin in Gambarogno an der Strecke zwischen Magadino und der Schweizer Grenze Richtung Luino.
Steinschlag wie auch flachgründige Rutschungen zählen zu den Naturgefahren, mit denen die SBB immer wieder konfrontiert sind. Aktuell plant das Bafu eine dritte Fallstudie, die den Lawinengefahren gewidmet und für 2021 vorgesehen ist.
Schutz vor Stein- und Blockschlag
Die Fallstudie «Protect Bio – Steinschlag Gorge de Court» wurde vom Ingenieurbüro geoformer aus Brig durchgeführt. Die Auftragnehmer führten mit einem Simulationsmodell Sturzbahnberechnungen für Ereignisse mit unterschiedlicher Wiederkehrperiode und Blockgrösse bei unterschiedlichen Waldzuständen durch («ohne Wald», «mit aktuellem Wald» und «mit optimalem Idealwald»).
Die Risikoanalyse erfolgte mit der bei Naturgefahrenprojekten üblichen Bewertungssoftware EconoMe (Version 4.0).3 Wie die Ergebnisse zeigen, ist die jährliche monetäre Risikoreduktion rund doppelt so hoch ist wie die aufgewendeten Kosten für die Schutzwaldpflege pro Jahr. Mit einem idealen Waldzustand liesse sich das Verhältnis noch etwas verbessern. Die Wirtschaftlichkeit bezüglich Nutzen und Kosten ist damit klar gegeben.
Es zeigte sich aber auch, dass das individuelle Todesfallrisiko selbst mit einem Idealwald zwar deutlich sinkt, sich aber nicht auf den in der Schweiz allgemein angestrebten Wert reduzieren lässt.4 Dieses Schutzniveau könnte laut den Autoren der Fallstudie nur mit zusätzlichen Massnahmen wie etwa Steinschlagschutznetzen eingehalten werden. Diese würden aber hohe Kosten verursachen.
Schutz vor flachgründigen Rutschungen
Die zweite Fallstudie mit dem Titel «Wirkungen des Waldes gegen flachgründige Rutschungen und Risikoreduktion auf Bahnanlagen und Bahnbetrieb der SBB AG» führten Mitarbeitende der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL durch. Die Gefahrenanalyse von flachgründigen Rutschungen erfolgte in der Praxis bisher meistens gutachterlich. Eine Quantifizierung der Waldwirkung kann über den verstärkenden Effekt der Wurzeln der Bäume auf den Boden erfolgen. In Zusammenhang mit einer Risikoanalyse für Rutschungen auf Gleisinfrastruktur ist dies anhand der Beurteilung von Anriss- und Auslaufszenarien zum ersten Mal durchgeführt worden.
In allen drei Untersuchungsgebieten zeigte sich ein deutlicher Effekt des Schutzwalds bezüglich der Risikoreduktion. Bei der Nutzen-Kosten-Betrachtung ergaben sich jedoch grosse Unterschiede. Während im Entlebuch das Verhältnis aufgrund des hohen Personenaufkommens sehr deutlich positiv ausfiel, war es in Gambarogno nur knapp positiv. Würden dort aber die vielen Güterzüge bei der Risikoanalyse berücksichtigt (was derzeit mit der Software EconoMe nicht geschieht), würde das Nutzen-Kosten-Verhältnis deutlicher ausfallen.
Der Richtwert des individuellen Todesfallrisikos wird in Gambarogno eingehalten, während dies an den beiden Untersuchungsorten im Entlebuch nicht der Fall ist. Es könnten sich dort, wie bei der Strecke im Berner Jura, somit weitere Massnahmen aufdrängen.
Wertvolle Informationen
«Die Fallstudien geben uns sehr wertvolle Informationen bezüglich der Wirkung der Schutzwälder», sagt Karin Hilfiker von der Fachstelle Natur und Naturrisiken der SBB. «Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Pflege des Schutzwalds oftmals lohnt.» Aktuell würden die SBB für die Pflege der Schutzwälder jährlich knapp zwei Millionen Franken aufwenden. Der Schutzwald allein könne aber nicht immer alle Schutzziele gewährleisten, so Hilfiker. An stark exponierten Streckenabschnitten müssten deshalb technische Schutzmassnahmen realisiert oder ergänzend Warnsysteme aufgebaut werden. Die Ergebnisse zu den Personenrisiken der beiden Fallstudien würden analysiert. Weil technische Schutzbauten oft teuer und die Mittel dafür beschränkt seien, müsse das Geld dort eingesetzt werden, wo es am meisten zur Risikoreduktion beitrage.
Auch beim Bafu erachtet man die beiden Fallstudien als wichtigen Schritt. «Sie zeigen den Weg auf, wie anhand von nachvollziehbaren Kriterien die Wirkung des Schutzwalds mit technischen Schutzmassnahmen verglichen werden kann», sagt Benjamin Lange. Dies sei eine Voraussetzung, um verschiedene Varianten prüfen und beurteilen zu können.
Zur Methode «ProtectBio»
Technische Schutzmassnahmen im Bereich der Naturgefahren lassen sich anhand der Methode «PROTECT» beurteilen. Dabei kommen die im Ingenieurwesen üblichen Kriterien der Tragsicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit zur Anwendung. Die Methode ist im Rahmen des Projekts «ProtectBio» auf den Schutzwald ausgeweitet worden.5
So wird etwa bei der Tragsicherheit davon ausgegangen, dass diese erreicht ist, wenn die Einwirkungen die Tragfähigkeit eines Waldbestands bzw. der Bäume nicht übersteigen. Die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit ergeben sich aus der natürlichen Leistungsfähigkeit des gesamten Walds – entscheidend dafür ist der effektive, aktuelle Zustand des Schutzwalds im Vergleich zum entsprechenden Anforderungsprofil.
Für die verschiedenen Naturgefahren gelten unterschiedliche Anforderungsprofile. Diese sind im Leitfaden «Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald» (NaiS) beschrieben. Bei der Dauerhaftigkeit geht es darum, dass die Anforderungen an die Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit über längere Zeit erfüllt bleiben. Bei einem Schutzwald bedeutet das, dass nicht nur sein aktueller Zustand massgebend ist, sondern wie sich dieser beispielsweise in den nächsten 50 Jahren entwickeln wird.
Sind die Kriterien der Tragsicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit alle erfüllt, ergibt sich eine hohe Zuverlässigkeit. Die periodisch durchgeführte Schutzwaldpflege entspricht dem Unterhalt der technischen Schutzbauten.
Anmerkungen
1 «Schutzwald in der Schweiz – Vom Projekt SilvaProtect-CH zum harmonisierten Schutzwald», Bafu, 2013
2 Download der Fallstudien
3 EconoMe – Wirkung und Wirtschaftlichkeit von Schutzmassnahmen gegen Naturgefahren
4 Zu den individuellen Personenrisiken vgl. auch: «Mehr als ein Fünftel der Bauzonen sind gefährdet», TEC21 12-13/2016
5 «Wirkung von Schutzwald gegen gravitative Naturgefahren – Protect-Bio», Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen Nr. 9, 2014