Tupperware-Party für mehr Natur
Binding Preis für Biodiversität
Im Mittelland breiten sich Wildblumen und seltene Insekten aus, dank einem vor fünf Jahren lancierten Graswurzelprojekt. Mit «Natur findet Stadt» gewinnt das Naturama Aargau nun den höchstdotierten Umweltpreis der Schweiz. Der pragmatische Ansatz zur Biodiversitätsförderung erfrischt.
Im Siedlungsgebiet sind Pflanzen und Tiere Mangelware. Im Kanton Aargau ist deshalb mehr Platz willkommen: Seit 2015 schaffen Privatgartenbesitzer und Gemeinden neue Räume für die Biodiversität. Einst uniforme Stein- und Katalog-Hausgärten haben sich in bunte Wiesen mit viel Gezirpe und Gesumme verwandelt.
Wo früher ein Autoparkplatz den Boden versiegelte, dürfen Passanten die Früchte einer öffentlichen Obstwiese naschen. Eine Hundewiese wurde zugunsten von Naturhecke, Trittsteinbiotop und Spielplatz aufgehoben. Und auf einer Baubrache können Spaziergänger anstelle eines Gestrüpps neuerdings Wildbienen und Eidechsen beobachten.
Den Aufruf «Natur findet Stadt» lancierte die Badener Stadtökologin Corinne Schmidlin vor fünf Jahren. Mit Mund-zu-Mund-Propaganda – «wie an einer Tupperware-Party» – sollten Hobbygärtner auf mehr Naturnähe aufmerksam gemacht werden. Der Appell fruchtet noch immer: Inzwischen sind daraus über 60 grosse und kleine Lebensräume für wilde Blumen und Gräser sowie für Insekten und Reptilien entstanden.
Wissenschaftliche Erhebungen ergaben, dass sich über 120 verschiedene Arten solche Kleinräume teilen. «Natur findet Stadt» ist auf eine Gesamtfläche von beinahe fünf Hektar angewachsen. Nun stach das grüne Mitmach-Projekt über 70 Konkurrenten aus der ganzen Schweiz aus und erhält den diesjährigen Binding-Preis für Biodiversität. Die Auszeichnung ist hochdotiert, mit 100'000 Franken, und zugleich eine Premiere. In den letzten Jahrzehnten hatte sich die Sophie- und Karl-Binding-Stiftung mit einem Preis für naturnahen Waldbau engagiert.
Das Besondere an «Natur findet Stadt» sei die unkomplizierte, öffentlichkeitswirksame Arbeitsweise. «Die Umweltbildung wird mit partizipativem Handeln kombiniert», so Jurypräsident Markus Fischer. Das Verbreitungsprinzip ist einfach: Alle, die mitmachen wollen, sind dabei, vorausgesetzt sie oder er steuert eine eigene Fläche bei und wird selbst beim «naturgärtnern» aktiv.
Naturama und Gemeinden helfen ihrerseits beratend mit. Von letzteren wird selbst eine Vorbildfunktion erwartet: Sie haben ihrerseits Flächen zur Renaturierung – etwa Verkehrskreisel oder Strassenränder – freizugeben. Zwölf Gemeinden beteiligen sich offiziell; weitere haben ihr Interesse angemeldet. «Sie merken, dass die Biodiversität einen Wohnort auch für Menschen attraktiver macht», ergänzt Jurypräsident Markus Fischer.
Der Aargauer Renaturierungsverbund ist weiter auf Wachstumskurs. Lokale Natur- und Vogelschutzvereine sowie Schulen sind mit dabei; auch professionelle Gartenbaubetriebe oder Immobilieninvestoren machen neuerdings mit. Kurse für das Mähen von Hand oder Arbeitseinsätze für Schulen runden das Begrünungsprogramm ab.
Die Trägerschaft ging inzwischen an das Naturama, das naturkundliche Museum im Aargau über. Auch der Kanton hilft mit, notfalls auch finanziell. Die öffentliche Übergabe des Binding-Preises an «Natur findet Stadt» ist nach den Sommerferien geplant.
Infos zu allen Projekteingaben:
www.preis-biodiversitaet.ch
Binding-Preis für Biodiversität
Der erste Binding-Preis für Biodiversität stösst auf grosses Echo: Für die Award-Premiere wurden 74 Projekte aus der ganzen Schweiz eingereicht. Gesucht waren innovative Projekte im Siedlungsraum mit Vorbildcharakter. Die eingegebenen Projekte werden als Katalog guter Beispiele für Biodiversitätsförderung im Siedlungsgebiet auf einer gemeinsamen Datenbank der Binding Stiftung mit «Mission B» veröffentlicht.
In einem mehrstufigen Prozess wählte die Jury unter Vorsitz des Weltbiodiversitätsrats-Mitglieds und Berner Universitätsprofessors Markus Fischer den Preisträger aus. Zur Fachjury gehören zudem:
- Manuela Di Giulio, Geschäftsführerin Schweizerische Akademische Gesellschaft für Umweltforschung und Ökologie
- Claudia Moll, Co-Präsidentin Bund Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen
- Catherine Strehler Perrin, Abteilungschefin «Biodiversité et Paysage» Kanton Waadt
- Peter Lehmann, ehem. Verwaltungsratspräsident sanu future learning AG
- Daniel Lehmann Pollheimer, stv. Geschäftsführer Schweizerischer Verband kommunale Infrastruktur