Spek­ta­ku­lä­re Tauch­ar­bei­ten

Revision der Stauanlage Punt dal Gall

Die Engadiner Kraftwerke revidieren wichtige Anlagenteile an ihrer grössten Staumauer. Zum Schutz des Spöl kommen Sättigungstaucher zum Einsatz. Ein Besuch auf der Baustelle am Lago di Livigno.

Publikationsdatum
24-11-2016
Revision
25-11-2016

Nach der Fahrt durch den schmalen Tunnel Munt la Schera vom Zoll in La Drossa nach Punt dal Gall öffnet sich der Blick auf den Lago di Livigno. Im Stausee liegt eine schwimmende Plattform vor der Bogenmauer. Wir stehen an der Stelle, wo sich einst die Baracken der Arbeiter befanden, die die Staumauer gebaut haben. Claudio Taisch zeigt auf eine rostige Metallkonstruktion. «Das ist der ­Rechen, der tief unten im Stausee festes Material daran hinderte, in den Dotiereinlauf zu gelangen», sagt der Mitarbeiter der Engadiner Kraftwerke AG (EKW). 

Der Dotierwassereinlauf mündet in eine Leitung durch die 25 m dicke Staumauer. Das Dotierwasser speist zwei kleine Turbinen am Fuss der Staumauer und versorgt gleichzeitig den Spöl mit Restwasser, der als Gebirgsbach von Punt dal Gall durch den Nationalpark nach Zernez fliesst. Im Sommer entfernten Taucher der französischen Firma Hydrokarst in einer Tiefe von mehr als 100 m den Rechen. Eine Tauchglocke brachte die Spezialisten dorthin, wo sie ins Wasser stiegen und diverse Arbeiten ausführten.

Panne wirft Pläne um

Nach einer Betriebszeit von 45 Jahren sind an der Stauanlage Punt dal Gall der EKW umfangreiche Revisionsarbeiten durchzuführen. Im Vordergrund stehen dabei der Einlauf des Grundablasses, über den der Stausee im Notfall entleert werden kann, sowie der gleich daneben angeordnete Dotierwassereinlauf (vgl. Karte S. 14) Normalerweise würde dafür der Stausee entleert – so war es vor einigen Jahren auch geplant.

Doch dann geschah Ende März 2013 eine folgenreiche Panne. Der Seespiegel war sehr tief, sodass Schlamm aus dem See in den Spöl gelangte. In der Folge verstopfte die Dotieranlage. Zahlreiche Bachforellen verendeten. Als bemerkt wurde, dass kein Wasser mehr im Spöl fliesst, öffneten Angestellte des Kraftwerks den Grundablass; es war die einzige Möglichkeit, den Gebirgsbach wieder mit Wasser zu versorgen (vgl. TEC21 40/2014).

Eine komplette Entleerung des Sees für die Revision der Anlage hätte nochmals einen massiven Schlammaustrag auslösen können. Betroffen gewesen wäre ausgerechnet wieder der grösste Fluss im Schweizerischen Nationalpark. Die Verantwortlichen der EKW wollten dieses Risiko nicht eingehen und suchten nach einer anderen Lösung. So entstand die Idee, das Verfahren des Sättigungstauchens einzusetzen (vgl. Kasten unten). Damit die Revision der Anlagenteile im Trockenen vorgenommen werden kann, befestigten Taucher an der Staumauer bei den Einläufen zwei Abschlüsse. Gleichzeitig liessen die EKW Inspektionsarbeiten am Betriebswassereinlauf durchführen. Durch diesen gelangt das Wasser in den Druckstollen und treibt die Turbinen in Ova Spin an. Die Kosten für das Sanierungsprojekt betragen rund 25 Millionen Franken, wobei sich allein die komplizierten Taucharbeiten auf rund 12 Millionen Franken belaufen.

Im Frühling galt es zuerst, den 750 m² grossen Ponton aufzubauen. Über hundert Sattelschlepperladungen brachten das für die Taucharbeiten benötigte Material zum Umschlagplatz nach Ova Spin; ein Autokran beförderte die insgesamt 650 Tonnen Material von der Staumauer auf den Ponton.

Unberechenbares Terrain

Mitte Juni starteten die Taucharbeiten. Zuerst sollten abgelagerte Sedimente im Halbtrichter vor den beiden Einläufen entfernt werden. Eine Unterwasserpumpe saugte 1300 bis 1500 m3 Schlamm ab und deponierte diesen 200 m weiter im See auf Schweizer Territorium. Doch wenige Tage nach Beginn der Taucharbeiten glitt ein Murgang in den Stausee. «Dieser beförderte wieder frische Sedimente in den Halbtrichter, und die Taucharbeiten mussten wegen schlechter Sicht drei Tage eingestellt werden», berichtet Claudio Taisch, der Projektleiter der Revisionsarbeiten.

Auch stiessen die Taucher auf sperrige Betonbrocken aus der Bauzeit. Deshalb konnte in der ersten Tauchphase lediglich der 16 m² grosse Abschluss beim Dotiereinlauf montiert werden. Über einen aufgesetzten Trompeteneinlauf wird das Dotierwasser künftig 9 m höher gefasst. Dadurch reduziert sich das Risiko eines erneuten Schlammaustrags in den Spöl deutlich.

Die schweren Brocken barg ein Autokran in der zweiten Tauchphase im September. Mit einem Greifer wurden 600 m³ Material (121 Mulden) aus dem Halbtrichter geborgen und am ehemaligen Barackenstandort deponiert. Schliesslich gelang es, auch den 37 m² grossen Abschluss vor dem Grundablass an der Staumauer zu befestigen.

Sorgfältige Koordination

Das ist der Stand der Dinge, den wir bei unserem Besuch vorfinden. Inzwischen sind wir mit einem Boot auf den Ponton gefahren. Dort empfängt uns Eric Papilloud. «Wir waren sehr erleichtert, als wir sahen, dass der Abschluss passt und absolut dicht ist», sagt der Mitarbeiter der Walliser Firma Hydro Exploitation, die die Arbeiten auf dem Ponton koordiniert. «Insbesondere die Zusammenarbeit von Tauchern, Tauchchef und Kranführer war eine gros­se Herausforderung.» Als sich der Abschluss an der richtigen Stelle befand, konnten die Taucher über ein Mannsloch in den Einlauf gelangen. Über eine Umlenkung zog der Kran den schweren Deckel an die Mauer heran, wo ihn die Taucher befestigten.

Wieder an Land, fahren wir an den Fuss der Staumauer. Hier laufen die Revisionsarbeiten der Anlagenteile auf Hochtouren. Auch der 2 m breite und 5 m hohe Grund­ablasskanal durch die Staumauer wird erneuert. Wir stehen wenige Meter vor dem Deckel. Die Vorstellung, dass auf diesen eine gewaltige Wassersäule drückt, lässt uns Besucher erschaudern. Die beiden Schützen des Grundablasses sind ausgebaut und werden von den Kraftwerken Oberhasli in Innert­kirchen revidiert. «Vor allem an der Betriebsschütze zeigten sich mas­sive Abnutzungserscheinungen», sagt Taisch. Diese wurde in den letzten Jahren intensiv be­ansprucht, auch weil die Engadiner Kraftwerke über den Grundablass aus ökologischen Gründen jedes Jahr zwei künstliche Hochwasser durch den Spöl rauschen lassen. 

Abzweigung statt Klappe 

Letzte Station des Besuchs ist die Drosselklappenkammer. Mit den Drosselklappen lässt sich die Betriebswasserleitung zu den Turbinen vom Seewasser absperren. Eine der beiden Drosselklappen ist ausgebaut. Sie ist bereits revidiert, aber noch nicht wieder eingebaut. An ihrer Stelle zweigt eine provisorische Leitung ab, über die der Spöl mit Restwasser versorgt wird. Während die Dotierwasseranlage ausser Betrieb ist, muss stets eine genügende Restwassermenge auf einem anderen Weg gewährleistet werden. Als der Stausee im Sommer ganz voll war, konnte dafür die Hochwasser­entlastung benutzt werden. Seit Mitte September wird nun ein kleiner Teil des Betriebswassers für den Spöl abgezweigt. 

Schadstoffe trüben Bilanz 

In der ersten Novemberhälfte fand die dritte und letzte Tauchphase statt. Dabei wurde unter anderem der Abschluss vor dem Grundablass wieder entfernt. Die Arbeiten konnten gerade noch rechtzeitig vor dem Winter abgeschlossen werden. 

Der Erfolg wird allerdings getrübt. Ende September ergaben Messungen auf der Baustelle erhöhte Konzentrationen des Schadstoffs PCB (Polychlorierte Biphenyle). Die Grenzwerte in der Atemluft waren nicht überschritten, erhöhte Werte wurden aber im Bachbett des Spöl gemessen. Um das genaue Ausmass der Verunreinigung festzustellen, werden nun weitere Messungen durchgeführt. Sollte der Fluss im Nationalpark tatsächlich stark verunreinigt sein, so wäre das bitter. Denn das aufwendige Verfahren mit den Sättigungstauchern wurde vor allem auch gewählt, um dem Ökosystem möglichst keinen Schaden zuzufügen.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Engadiner Kraftwerke, Zernez

Projektierung
IM Maggia Engineering

Planung Umwelt
Ecowert, Domat/Ems

Unterwasserarbeiten
Hydroexploitation, Sion, TSM Perrottet, Sugiez

Unterwassertaucharbeiten
Hydrokarst, Sassenage (F)

Revision Drosselklappen
Adams Schweiz, Serneus

Revision Hochwasserentlastung
Erne Metallbau, Leuggern

Revision Grundablass
KWO, Grimsel Hydro, Innertkirchen


Sättigungstauchen

Die Methode des Sättigungstauchens kam in der Schweiz bisher erst einmal zur Anwendung (2012 bei der Stau­mauer Hongrin oberhalb von Montreux). Die vier Sättigungstaucher leben auf der Plattform auf dem Stausee bis zu ei­nem Monat in einer Druckkammer, die den gleichen Luftdruck aufweist wie an ihrem Arbeitsort unter Wasser. Über eine kleine Druckschleuse werden sie mit Nahrung versorgt. Mit einer Tauch­glocke gelangen die Spezialisten in 110 m Tiefe, steigen aus und können ei­nige Stunden im Wasser arbeiten. Über eine «Nabelschnur» werden sie mit Tauchgas versorgt; ihr Anzug wird mit warmem Wasser geheizt.

Taucharbeiten so tief im Wasser bedingen ein Druckkammersystem. Je höher der Druck, dem ein Mensch aus­ gesetzt ist (hier 10 bar), desto mehr Gase werden im Blut gelöst. Sinkt der Druck rasch, kommt es zu lebensgefähr­lichen Blasenbildungen. Ohne Tauch­glocke und Druckkammer bräuchte ein Taucher jedesmal fast vier Tage, um aus 110 m Tiefe aufzutauchen.

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