Schmuck und Son­nen­uhr

Edle Materialien, präzise verarbeitet: Ein traditionsreiches Uhren- und Schmuckgeschäft leistet sich an der Zürcher Bahnhofstrasse eine standesgemässe Fassade. Das geometrische Relief aus Cristallina-Marmor und die samtige Bronze im Sockel setzen ein starkes Zeichen gegen den austauschbaren architektonischen Auftritt internationaler Ketten.

Publikationsdatum
05-11-2021

Die Bahnhofstrasse in Zürich entstand Mitte des 19. Jahrhunderts als komplett neue städtebauliche Anlage. Umso bemerkenswerter ist ihre architektonische Vielfalt. Zwar hat diese in jüngster Zeit empfindlich gelitten: Lokale Traditionsgeschäfte können sich die hohen Mietpreise kaum noch leisten und werden durch Flagship-Stores globaler ­Unternehmen verdrängt, was vor allem in den Erdgeschossen zu einer wenig überraschenden Abfolge von standardisierten Corporate Architectures geführt hat. Wer jedoch den Kopf hebt, erkennt unterschiedlichste städtebau­liche Muster und gestalterische Positionen.

Auf der Westseite der Allee dominieren grosse Baukörper aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, hauptsächlich Banken, Hotels und Kaufhäuser. Im Osten dagegen, aufseiten der Altstadt, ist die Struktur kleinteiliger und mit modernen Bauten der Nachkriegszeit durchsetzt. 1968 wurde das Bally-Haus der Architekten Haefeli Moser Steiger fertiggestellt, ein Bau mit brutalistischen Betonlisenen und feingliedrigen, dunklen Metallausfachungen; in den 1970er-Jahren folgten ­weitere markante Neubauten, etwa das direkt benachbarte Les Ambassadeurs (1971, Architekt Paul Steger) und das Modissa-Haus an der Ecke zur Uraniastrasse (1975, Architekt Werner Gantenbein), beide mit dunklen Bronzefassaden, die sich scharf von der historischen Stein- und Putzarchitektur der Umgebung abheben.

Klassisch modern und steinern war dagegen die Fassade, die das Uhren- und Schmuckgeschäft ­Bucherer an der Ecke Bahnhofstrasse/Kuttelgasse 1965 erhielt. Die Architekten Carl Lippert und Arnold von Waldkirch ersetzten den klassizistischen Vorgängerbau von 1874 durch einen schlichten Quader mit einer glatten, von Bandfenstern gegliederten Marmorhaut in hellen Grautönen.

Die 1888 gegründete Uhren- und Schmuckhandlung Bucherer ist seit 1946 an der Bahnhofstrasse ­präsent. Sie gehört zu den wenigen alteingesessenen Familienunternehmen, die sich trotz enormem Preisdruck an der exklusiven Lage zu halten vermögen. 2019, nach sechs Jahrzehnten Betrieb, wurde das Gebäude von 1965 statisch und energetisch ertüchtigt, frisch eingerichtet und mit einer neuen, diesmal leuchtend weissen und facettierten Marmorfassade versehen.

Repräsentation in Marmor

Der 2019 fertiggestellte Eingriff knüpft sowohl baulich als auch ästhetisch an den Bestand aus den 1960er-Jahren an und interpretiert ihn neu. Die Architekten von Office Haratori aus Zürich und Office Winhov aus Amsterdam übernahmen das alte Tragwerk nicht zuletzt auch deshalb, weil ein Neubau in der damaligen Kubatur nach heutigem Recht nicht mehr bewilligungsfähig gewesen wäre. So blieb auch der gedrungene ­Sockel erhalten. Neu hinzugefügt haben die Archi­tekten zwei neue, nach vorn in die Bahnhofstrasse und nach hinten in die Kuttelgasse ragende Erker, die leise an den ursprünglichen Bau des 19. Jahrhunderts er­innern. Dazu kamen Vitrinen in der ehemals geschlossenen ­Fassade zur Augustinergasse, die das ver­meintliche Eckhaus zwischen den beiden Knicken der Bahn­hofstrasse zu einem Zeilenkopf umdeuten.

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Um die Erdbebensicherheit zu gewährleisten, kann das ertüchtigte Tragwerk seismische Bewegungen mitvollziehen. Die Proportionen der Marmorplatten, Fugen und Anker der Fassade sind so konzipiert, dass auch die Fassade beweglich ist; nebeneinandergereihte, rahmenartige Stabwerke übertragen ihre Lasten in das Stahlskelett. Eine Stahlhaut von 8 mm bildet die Ebene für die Einhängehaken der Marmorplatten und für die thermische Isolation. Um die Gebäudehülle schlank zu halten und wertvolle Verkaufsfläche im Innern zu gewinnen, wählte man 40 mm Vakuumdämmung.

Subtiles Spiel von Licht und Schatten

Die leuchtend weissen Marmorplatten sind geschliffen, bilden aber im Gegensatz zum Vorgängerbau keine ­ glatte Oberfläche. Die Stärke der Steine, die zu einer geometrischen Komposition zusammengefügt sind, ­variiert zwischen 60 und 160 mm. Das verleiht dem Bau eine starke physische Präsenz und nutzt die jahrtausendealte Konnotation von Marmor als geradezu sakra­lem Baustoff. Dabei erscheint der bevorzugte Stein griechischer Priester, römischer Kaiser und ambitionierter Päpste hier, an einem Konsumtempel, nicht ­prätentiös, sondern durchaus angemessen und zudem auch thematisch passend.

Die facettenreiche Struktur des Reliefs evoziert den Schliff von Edelsteinen; das feine Glitzern des Steins – es handelt sich um Cristallina-Marmor aus der Valle Maggia, den einzigen in der Schweiz abgebauten Marmor – verstärkt diesen Effekt zusätzlich. Die leichten Vor- und Rücksprünge erzeugen ein Spiel von Streiflicht und Schlagschatten, das sich je nach Tages- und Jahreszeit subtil verändert.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 35/2021 «Gehauen, gemeisselt, poliert».

Bildstrecke zur Arbeit im Steinbruch und in der Giesserei finden Sie hier.

Geschäftshaus an der Bahnhofstrasse, Zürich

 

Bauherrschaft: Bucherer Immobilien, Luzern

 

Architektur: Office Haratori, Zürich, und Office Winhov, Amsterdam

 

Tragkonstruktion: BlessHess, Luzern

 

Fassadenplanung: ap3, Zürich

 

Innenausbau Laden: Blocher Partners, Stuttgart

 

Steinmetzarbeiten: Graniti Maurino, Biasca

 

Bronzearbeiten: Kunstgiesserei St. Gallen, St. Gallen und Shanghai

 


Zahlen und Fakten

 

Vergabeverfahren: Studienauftrag 2015 mit vier eingeladenen Büros, 1. Preis. Fachjury: Arno Lederer, Stuttgart (Vorsitz); Arthur Rüegg, Zürich; Patrick Gmür, damals Direktor Amt für Städtebau, Zürich

 

Fertigstellung: 2019

 

Gebäudegrundfläche: 140 m²

 

Geschossfläche: 1080 m²

 

Hauptnutzfläche: 850 m²

 

Volumen SIA 416: 3735 m³

 

Cristallina-Virginio-Marmor: 59 m³, ca. 164 t

 

Bronzeguss: ca. 15 t

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