Zer­leg­bar­keit als Schlüs­sel zur Wie­der­ver­wen­dung

Zirkuläre Bauwirtschaft im modernen Holzbau bedeutet unter anderem die Wiederverwendung grosser Bauteile. Dies ist mit einem zusätzlichen und frühzeitigen Entwicklungs- und Planungsaufwand verbunden. Die damit einhergehenden Fragestellungen untersuchten die Autorinnen im Forschungsprojekt circularWOOD.

Publikationsdatum
14-07-2023
Sonja Geier
Dr.-Ing., stv. Leiterin CC Typologie & Planung in Architektur, HSLU

Mit zunehmender Ressourcenverknappung verschieben sich Prioritäten im Gebäudeentwurf und in der Planung. Bauteile, Elemente, Komponenten und Materialien dürfen am Ende ihres Lebenszyklus nicht länger zu Abfall werden. Ziel einer nachhaltigen Entwicklung sind möglichst geschlossene Materialkreisläufe, in denen durch Wiederverwendung oder -verwertung kein Qualitätsverlust entsteht. Dazu müssen gängige Gestaltungsprinzipien erweitert und der Fokus auf den Gebäuderückbau gerichtet werden.

Hier greift der Begriff Design for Disassembly (DfD). Er beschreibt ein zukunftsgerichtetes Entwurfs- und Planungsprinzip für kreislauffähige Gebäude, die so geplant und gebaut werden, dass sie einfach und möglichst zerstörungsfrei demontierbar, sortenrein trennbar und recycelbar sind. Auf dieser Grundlage soll beim Rückbau ein möglichst grosser Anteil an Baumaterialien am Ende des Lebenszyklus in eine hochwertige stoffliche Nachnutzung überführt werden.

Ob ein Rückbau wirtschaftlich sinnvoll ist, entscheidet in der Praxis der Aufwand, der dafür notwendig ist. Denn die theoretisch mögliche Rückbaubarkeit eines Gebäudes allein hat wenig Aussagekraft und muss im Kontext weiterer Aspekte wie Zugänglichkeit und Auffindbarkeit betrachtet werden, anhand derer sich Anforderungen an die Bauweise, Bauteile und Dokumentation ableiten.

Aspekte der Rückbaubarkeit

Rückbaubar ist ein Gebäude dann, wenn seine Einzelkomponenten am Ende der Lebensdauer wiederverwendet oder die eingesetzten Materialien recycelt werden können. Die Auswahl der Materialien und die Gestaltung des Konstruktionssystems sind wesentlich. CircularWOOD indentifiziert folgende Aspekte als entscheidend:

  • Zugänglichkeit: Die funktionalen Einzelsysteme eines Gebäudes oder Komponenten eines Bauteils müssen erreichbar sein. So können sie leicht getrennt und ausgetauscht oder ganze Bauteile demontiert werden.
  • Demontierbarkeit: Der zerstörungsfreie Abbau von Bauteilen muss durch deren konstruktive Integra­tion in die Gebäudestruktur gewährleistet sein.
  • Trennbarkeit: Einzelne Komponenten müssen zerstörungsfrei separiert werden können. Dabei ist die Sortenreinheit ein wichtiger Faktor.
  • Auffindbarkeit: Konstruktive Verbindungen innerhalb der Gebäudestrukturen oder Verbindungsmittel einzelner Komponenten müssen identifizierbar sein.Das ist wichtig, um die Effizienz und Sicherheit des Rückbauprozesses zu gewährleisten.

Bauteile und Komponenten leicht trennbar zu gestalten, ohne dass sie dabei zerstört werden, hat den Vorteil, dass sie austauschbar sind, ohne das gesamte Gebäude abreissen zu müssen. Dadurch werden Nutzungsdauer und Lebenszyklus verlängert.

«The Cradle»: ein Standard?

Beim Neubau des Bürogebäudes «The Cradle» in Düs­seldorf wurden die Prinzipien für die Kreislauf­fähigkeit des Gebäudes vom Immobilien-Projektentwickler Interboden bei der Planung und Umsetzung konsequent angewandt und umgesetzt. Der Bau ist so konzipiert, dass er vom Anfang bis ans Ende seiner Lebensdauer als Materiallager dient. Er zeigt, dass DfD – mit Blick auf die Grösse und Fügung der Bau­­teile – eine spezielle Planung und Entwicklung bis in die konstruktiven Details voraussetzt.

Während Erdgeschoss und zentrale Erschlies­sung aus Stahlbeton sind, überwiegt ab dem ersten Obergeschoss das Material Holz. Für die Deckenkon­struk­tionen kamen Brettsperrholz-Elemente zum Einsatz, für die Stützen wurde Brettschichtholz (BSH) verwendet. Die fachwerkartige, aussen liegende Fassadenkonstruktion, die demontierbar und rückbaubar ist, prägt den siebengeschossigen Neubau. Das Ingenieurholzbauunternehmen Derix verpflichtet sich als Hersteller, die Konstruktionsteile im Fall eines Rückbaus zurückzunehmen und kann diese für zukünftige Bauvorhaben als Materialressource nutzen.

Die Firma ist in Deutschland die erste Herstellerin von Holzbauteilen, die eine Rücknahmeverpflichtung vertraglich vereinbart. Markus Steppler, Vertriebsleiter bei der Derix-Gruppe sagt: «Wir sind kontinuierlich auf der Suche nach Möglichkeiten, das Bauen mit Holz noch nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten, als es schon ist.»

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DfD zeigt sich hier an einer konstruktiven Besonderheit: Die fachwerkartigen Fassadenelemente sind mit leim- und schraubenfreien Steckverbindungen zusammengesetzt. Dieser Bauteilanschluss funktioniert über das Eigengewicht der Elemente. Die damit mögliche Demontier- und Trennbarkeit sorgt für einen einfachen und zerstörungsfreien Rückbau, sodass die Bauelemente für eine zukünftige Nutzung wieder- beziehungsweise weiterverwendbar sind.

Verbunden und lösbar

Ein aus BSH gefrästes 3-D-Element, das mittels CNC-Technologie gefertigt wird, bildet die Steckverbindung der Fassadenelemente. Die für das Projekt entwickelte Steckverbindung besteht aus einer geschweissten Stahlplatte, auf die in vorbereitete Aussparungen eine Knagge aus Buchen-Furnierschicht­holz gestellt wird, nahezu ohne jegliche Klebe- oder Schraubverbindung. Die Steckverbindungsanschlüsse der Knagge sind mit Kopfplatten aus Stahl versehen. Darauf werden die BSH-Elemente gesteckt, die ebenfalls über entsprechende Aussparungen verfügen. Die Steckverbinder aus Buchen-Furnierschichtholz, die unverklebt und unverschraubt die notwendigen Schubkräfte aufnehmen können, befinden sich jeweils an den unteren und oberen Verbindungspunkten der Fachwerk-Fassadenträger.

Die Dokumentation für den Rückbau erfolgt grundsätzlich über die Erstellung eines digitalen Materialpasses, der die verbauten Materialien, die Informationen zu deren Eigenschaften, Einsatzort und Lebensdauer beinhaltet. Mit der Hinterlegung auf der Plattform Madaster sind diese Informationen langfristig digital zugänglich und stehen für einen möglichen späteren Rückbau auf Basis der Montagepläne zur Verfügung. Das ausführende Ingenieurholzbauunternehmen Derix hat bereits zum Zeitpunkt der Errichtung eine Rückbauanleitung für die Holzkonstruktion erstellt.

Forschungsprojekt circularWOOD (2021–2023)

 

CircularWOOD ist eine Kooperation des Lehrstuhls für Architektur und Holzbau der Technischen Universität München (TUM) und des Kompetenzzentrums Typo­logie&Planung in Architektur (CCTP) der Hochschule Luzern. Im Projekt wurde die Situation der Kreislaufwirtschaft im Holzbau in Deutschland und der Schweiz untersucht. Eine Fragestellung lautete, wie die Ska­lierbarkeit von Pilotprojekten umsetzbar ist. Das Forschungsprojekt circularWOOD wurde gefördert vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) aus Mitteln des Innovationsprogramms Zukunft Bau.

Das Projekt «The Cradle» ist ein wertvolles Beispiel für den kreislauffähigen Holzbau in Deutschland. Ausschlaggebend für die konsequente Umsetzung auf unterschiedlichen Ebenen waren der Wille und die Motivation des Projektentwicklers Interboden, der trotz vieler Herausforderungen und Mehraufwand bereit war, die Planung und Umsetzung eines kreislauffähigen Gebäudes zu realisieren. Akteure und Akteurinnen müssen im Rahmen solcher Projekte Pionierarbeit leisten, die vielfach mit «learning by doing» verbunden sind. Die Ursachen können häufig darauf zurückgeführt werden, dass bislang weder planerische Abläufe noch Kommunikations- und Dokumentationsprozesse für das kreislauffähige Bauen etabliert sind. Im Fall von «The ­ Cradle» sieht der Projektentwickler im Wissensvorsprung langfristig einen Mehrwert für das Unternehmen. Darüber hinaus können die Erkenntnisse auch für andere Planende wesentliche Impulse geben.

Systemische Erkenntnisse

Projektteams müssen DfD in Entwurf und Planung frühzeitig berücksichtigen. Fachwissen zu materialgerechtem Konstruieren, spezifischen Verbindungsmitteltechniken und zu Montage- und Demontageszenarien ist unerlässlich. Nachträgliche Anpassungen an eine Kreislauffähigkeit sind aufwendig oder nicht optimal zu integrieren und können zulasten ursprünglicher Gestaltungswünsche gehen. Die Untersuchung der Fallstudien in circularWOOD zeigt eine deutliche Verschiebung der Planungsabläufe.

Zu den Grundsätzen kreislaufgerechter Gebäude zählen neben deren Rückbaubarkeit und Wiederverwendung auch deren Anpassungsfähigkeit. Diese ist einerseits im Sinne unabhängiger Einzelsysteme und andererseits in der kompatiblen Lebensdauer von Materialien und Systemen zu verstehen. Von Beginn an bietet DfD die Möglichkeit, einzelne Komponenten bei Bedarf auszutauschen, ohne das gesamte Gebäude abzureissen.

In diesem Zusammenhang schuf John Habraken bereits in den 1960er-Jahren durch sein Prinzip der Open Architecture einen wertvollen Beitrag zum Übergang in eine nachhaltige und kreislauforientierte Bauweise. Ziel ist, dass sich ein Gebäude an die sich ändernden Bedürfnisse und Anforderungen der Nutzenden anpassen kann. Eine verlängerte Nutzungsdauer und ein längerer Lebenszyklus verschiebt das Ende der Lebensdauer auf einen späteren Zeitpunkt. DfD ist ein wesentlicher Aspekt in einem systemischen Denkansatz hin zum ressourcenschonenden und kreislaufgerechten Bauen.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 23–24/2023 «Die verlängerte Zukunft».

Mehr zum Thema finden Sie in unserem E-Dossier «Nachhaltiges Bauen».

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