Rau­te, Or­na­ment und Trag­werk

Anfang Juni 2011 wurde das Verwaltungsgebäude des Basler Pharmakonzerns Roche Diagnostics in Rotkreuz im Kanton Zug eröffnet. Es ist mit seinen 16 Stockwerken von weit her sichtbar, die diagonal angeordneten tragenden Fassadenstützen prägen das Erscheinungsbild des voll verglasten kubischen Baukörpers.

Publikationsdatum
14-02-2012
Revision
01-09-2015

Das Gebäude mit seinen rautenförmigen, hellen Sichtbetonfassadenstützen resultiert aus einer bereits in der Wettbewerbsphase von Burckhardt + Partner Architekten und WGG Schnetzer Puskas Ingenieure angestrebten Verschmelzung von Fassadenarchitektur und Tragwerk. Die Fassadenstützen haben neben ihrem formalen Ausdruck auch für den vertikalen und horizontalen Lastabtrag des rund 67 m hohen Büroturmes eine zentrale Bedeutung.

Sichtbares Tragwerk

Durch das flechtwerkartige Zusammenwirken entsteht ein röhrenförmiges umhüllendes Raumtragwerk, das wesentlich zur Aussteifung und zum Lastabtrag des Bürogebäudes beiträgt. 70 % seiner Steifigkeit erfährt das Tragwerk durch die schrägen Fassadenstützen. Die horizontalen Lasten infolge Erdbeben und Wind wirken hauptsächlich auf die Fassadenstützen, die Kerne tragen nur noch einen geringen Teil ab. Dadurch konnten die Wandstärken im Kernbereich reduziert und grössere Nutzflächen generiert werden. Das Tragwerk wurde auf die nutzungsspezifischen Anforderungen einer flexiblen Raum-gestaltung ausgelegt. Es tragen nur die Fassadenstützen, die 40 % der Vertikallast übernehmen, und die vier Kerne aus hellem Sichtbeton. Flachdecken überspannen die Geschosse stützenfrei, wodurch die Hauptnutzfläche als «Open Space» oder als Zellen-büro genutzt oder in Sitzungsräume ­eingeteilt werden kann. Sämtliche Nebennutzflächen, Steigzonen sowie Lift- und Treppenanlagen befinden sich in den Kernzonen, die neben ihrer statischen Funktion auch die Aufgabe des Nervenstrangs für Gebäudetechnik und Erschliessung übernehmen.

Bautechnik als Entwurfsfaktor

Die Planenden massen der «vierten Dimension» der Tragwerkslehre – der Materialisierung – einen hohen Stellenwert bei. Das Tragwerkskonzept beeinflusste die Bautechnik direkt, da die Fassadenstützen und die Kerne eine hohe Sichtbetonqualität aufweisen sollten. Wegen der anspruchsvollen ästhetischen Anforderungen, der erforderlichen Festigkeiten, der geometrisch gleichen oder ähnlichen Abmessungen und der ambitionierten Bautermine wurden die Stützen ­vorgefertigt. Auch die konstruktiv anspruchsvollen Kreuzungsbereiche der Bewehrungsstäbe sprachen für die Vorfabrikation. Um den Bewehrungsgehalt dennoch möglichst klein zu halten, setzten die Ingenieure höherfesten Bewehrungstahl mit einer Streckgrenze von fsk = 700 N/mm2 ein. Die von den Architekten und Ingenieuren gemeinsam entwickelten Stützengeometrien erlaubten es, die Fassaden-stützen vom Erdgeschoss bis ins 13. Obergeschoss als ­V- respektive als A-förmige Doppelstützen vorzufertigen – insgesamt 142 A-förmige Dop­pelstützen und 12 A-förmige Eck-Doppelstützen sowie 138 V-förmige Doppelstützen und 16 V-förmige Eck-Doppel-stützen. Die 44 zweigeschossigen Stützen im 14. und 15. Obergeschoss wurden aus ausführungstechnischen Gründen als Einzelstützen produziert und montiert. Für die Stützenkopplungen wurden ebenfalls Fertigteile vorfabriziert: Stützenfüsse aus Stahl übernehmen die komplexe Kraftübertragung aus Druck-, Schub- und teilweise Zugkräften.

Dach über Eingang

Die Vordächer folgen in der Gestaltung und Materialisierung dem Prinzip des Hochhaus-tragwerks. Zwei in Anlehnung an den dahinterliegenden Hochbau massiv ausgestaltete Rahmenstützen mit integrierter Deckenentwässerung stützen das 7 m weit gespannte Betondach. Die Deckenkonstruktion des Hochbaus nimmt die anfallenden Horizontalkräfte auf und sorgt dafür, dass das Vordach nicht nach vorne wegkippt. Das Dach selbst ist als faltwerkartige Deckenscheibe konstruiert, und der filigrane Deckenrand nimmt die 14 cm Stärke des Bandes der horizontalen Lufteinlässe der ­Gebäudefassade auf.

Fundation über Ortbetonpfähle

Das Hochhaus lagert auf einem zwei­geschossigen, rund 9 m tiefen Kasten. Die auf Fun-dationsniveau angetroffenen feinkörnigen See- und Tümpelsedimente sowie partiellen Moränenablagerungen konnten die hohen Lasten nicht abtragen. Die Ingenieure planten deshalb eine Tiefenfundation. Das Hochhaus wurde auf Ortbetonpfählen in den anstehen-den intakten Molassefels fundiert, wobei sämtliche Pfähle bereits vor Beginn der eigent-lichen Aushubarbeiten ab der Terrainoberkante gebohrt wurden, um Bauzeit und aufwendige Planiearbeiten für die Pfahlmaschinen einzusparen. Die Baugrubensicherung erfolgte mit eingerammten, vierfach rückverankerten Spundwänden.

Überlappende Bauetappen

Der Baumeister optimierte das Bauprogramm, indem er die Geschossdecken und die darüberliegenden Kernwände gleichzeitig bewehrte. Dadurch konnten unmittelbar nach dem Betonieren der Decke die Kernwände fertig geschalt und ebenfalls betoniert werden, während bereits die Fassadenstützen montiert wurden. Mit diesem Vorgehen erstellten die Arbeiter in durchschnittlich neun Arbeitstagen und in konventioneller Bauweise ein ganzes Regelgeschoss – trotz den komplexen und logistisch herausfordernden Installationen wie Akustiklamellen aus Faserzement, Tabsleitungen zur Bauteilaktivierung, Elektroeinlagen, sanitären Rohreinlagen, Einlagehülsen für die Medienführung im Doppelboden und Montagebefes­tigungsschienen für die «closed cavity façade»1.

Anmerkung

  1. Die zweischalige CCF-Fassade ist innen dreifach und aussen einfach verglast. Die Innenseite ist mit Dreifach-Isolierglaseinheiten einschliesslich zwei Low-e-Beschichtungen (mit niedriger Emissivität) verglast (Ug = 0.58 W/m2K), die Aussen-seite mit monolithischen VSG-Gläsern, jeweils in eisenoxydarmem Glas. So wird trotz Vollperforierung der Sonnenschutzlamellen ein Ucw-Wert von 0.84 W/(m²K) und ein g-Wert von 0.11 erzielt. Der geschlossene Fassadenzwischenraum ist dauerhaft vor Witterungseinflüssen geschützt, weshalb er nicht gereinigt werden muss und Sonnen-schutzanlagen mit empfindlicher Steuerung oder mit Lichtlenkung und Retroreflexion eingesetzt werden können. Ein Druckluftsystem führt dem abgedichteten Fassadenzwischenraum konstant saubere und trockene Luft zu, um Kondensat zu vermeiden.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Roche Diagnostics AG, vertreten durch projektrosenberg, Zürich


Architektur
Burckhardt + Partner Architekten AG, Basel


Tragwerksplanung
WGG Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Basel


Bauleitung
Demmel Bauleitungen AG, Wagen


Gebäudetechnik
Advens AG, Basel


Akustikberatung
Fraunhofer Institut für Bauphysik, Stuttgart


Baumeisterarbeiten
Implenia AG, Basel


Vorfabrikation Stützen
SACAC Schleuderbetonwerk AG, Lenzburg 

Magazine

Verwandte Beiträge