Pro­phe­zei­ung

Anlässlich des 500-jährigen Reformationsjubiläums gestalteten die Basler Architekten Christ & Gantenbein einen Pavillon, der die Geschichte der Schweizer Reformation am Wirkungsort Martin Luthers, in Wittenberg, präsentiert. Trotz seiner Schlichtheit wirkt er sakral.

Publikationsdatum
15-09-2017
Revision
19-09-2017

Deutschland feiert derzeit das 500-jährige Reformationsjubiläum. Eines der Hauptzentren der Feierlichkeiten ist das in Sachsen-Anhalt liegende Wittenberg, Wohnort und Wirkungsstätte Martin Luthers. Die von der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) veranstaltete und noch bis zum 20. September geöffnete «Weltausstellung Reformation» soll Geschichte und Gegenwart der Reformationsbewegung in aller Welt vermitteln. Als Bestandteil der «Weltausstellung» zeigt der Schweizerische Evange­lische Kirchenbund in dem vom Basler Büro Christ & Gantenbein gestalteten Pavillon «Prophezey» die spezifische Geschichte der Schweizer Reformation.

Hütte im Grünen

Nähert man sich dem im Witten­berger Stadtpark gelegenen Pavillon, dessen Name auf die von Zwingli gegründete Predigerschule «Pro­phezey» verweist, dann überrascht die recht bewegte Topografie des Parks. Sie bildet einen starken Kontrast zum keinerlei Höhen­unterschiede aufweisenden Stadtraum. Grund dafür ist die frühere Nutzung des Parkareals als Festungsanlage. Vom ehemaligen Festungswall aus betrachtet liegt der Pavillon einige Meter tiefer auf Höhe des einstigen Festungsgrabens. Angenehm schlicht und klar, aber auch nahezu mit der umgebenden Natur verschmelzend erscheint der weiss-dunkelgrüne Pavillon
mit dem weit auskragenden, steilen Satteldach von dieser erhöhten Position aus. Einen trivialen Schutz wie die Urhütte, aber auch Produktionsorte wollten die Architekten mit der Gestaltung des Pavillons  reflektieren, so beschreiben Christ & Gantenbein ihren Entwurf. Tatsächlich stellen sich beim Blick auf die langgestreckte, wellblechgedeckte und einige Zentimeter aufgestän­derte, leichte Holzkonstruktion Asso­zia­tionen an Schutzhütten ein, aber auch an landwirtschaftliche Ge­bäude. Dabei oszilliert die äussere Erscheinung des Pavillons zwischen Offenheit und Geschlossenheit. Die zwischen den schlanken Holzstützen angebrachten, schweren Planen können wie Vorhänge auf- und zugezogen werden und lassen so eine regelmässige Abfolge von offenen, der Natur zugewandten und abgeschlossenen, wettergeschützten Raumvolumen entstehen.

Intimität und Weite

Von einem Vorplatz aus erreicht man über eine abermals weisse Holztreppe zunächst eine der zwei Veranden des Pavillons. Diese erste fungiert bereits als Ausstellungsraum und präsentiert auf – selbstverständlich  weissen – Ausstellungstafeln die Biografien der wichtigsten Protagonisten der Schweizer Reformation. Die Tafeln erinnern dabei mit ihrer Form an die Silhouetten der hier vorgestellten Reformatoren, Zwingli, Calvin, Luther und Niklaus von Flüe. 

Danach betritt man das erste geschlossene Raumvolumen, das der Zürcher Bibel gewidmet ist. Sechs grosse, weisse Tafeln erzählen im intimen, jedoch luftigen, weil nach oben offenen Raumvolumen die Geschichte der ersten vollständigen Bibelübersetzung ins Deutsche. Der Besucher liest als weiteren Bezug zum Thema in der gesamten Ausstellung den Text in einer Schrift­art, die der ersten, 1531 gedruckten Zürcher Bibel entliehen wurde.

Wortwörtlich im Zentrum des Pavillons steht im anschliessenden, wieder offenen Ausstellungsraum ein zeitgenössischer Nachbau einer historischen Druckerpresse aus dem 16. Jahrhundert. Hier können Besucher – passend zum Werkstattcharakter des Pavillons – einzelne Seiten der Zürcher Bibel nachdrucken. 

Danach folgt das zweite, durch das schwere Textilgewebe umschlossene und diesmal der «Künstlerei» gewidmete Raumvolumen, das Christ & Gantenbein mit einer dunkelgrün gestrichenen, hölzernen Querwand nochmals in zwei kleinere Kammern unterteilten. In der ersten Kammer, auf der Querwand, erblicken Besucher einen Holzschnitt von Hans Holbein dem Jüngeren, der als Illustration für die Zürcher Bibel angefertigt wurde und eine Szene aus der Apokalypse zeigt.

Natur und Religion

Den letzten Ausstellungsteil hinter der Querwand widmeten die Kuratoren Gabriel de Montmollin und Juri Steiner der Einkehr und Besinnung. Zwei Bänke laden zum Verweilen ein. Im Hintergrund läuft die Jazzversion eines Chorals. Auf einem runden Bildschirm erblickt man ein live übertragenes Videobild des Gartens hinter dem Pavillon. Natürlichkeit und Künstlichkeit, gesellschaftliche Umbrüche durch Buchdruck und Digitalisierung – subtil verweisen die Ausstellungsmacher auf diese Themen. 

Im letzten Raum spürt man auch am stärksten das, was Christ & Gantenbein in ihrer Entwurfsbeschreibung mit «Heiligkeit» bezeichnen. So lässt das Weiss der Konstruktion an die bilderlosen und ebenfalls oft weissen Innenräume reformierter Kirchen denken. «Heiligkeit» in der Natur zu finden – wie es der letzte Raum suggeriert –, ist ein den Schweizer Reformatoren keineswegs fremder Gedanke. Ruft Calvin in seinen Bibelkommentaren doch dazu auf, das «schöne Schauspiel» der Natur zu bewundern. Um diesem Aufruf zu folgen, muss man am Ende nur noch mit wenigen Schritten auf die zweite Veranda des überaus anregend und anspielungsreich gestalteten Ausstellungspavillons treten.

Weitere spannende Pavillon-Projekte finden Sie im gleichnamigen E-Dossier!

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