Öko­lo­gi­sches Glau­bens­be­kennt­nis

Hagneck

Das Wasserkraftwerk am Bielersee setzt neue Massstäbe bezüglich ­Ökologie, Denkmalschutz und Architektur. Der Makel: Unter den gegenwärtigen Marktbedingungen lässt es sich nicht rentabel betreiben.

Publikationsdatum
10-03-2016
Revision
01-11-2018

Mit der Juragewässerkorrektion und dem Bau des Hagneckkanals im Berner Seeland entstand Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Landschaft. Damit die Aare in den Bielersee fliessen konnte, musste der Kanal durch den Seerücken geführt werden. Mit der Zeit begann die Aare sich einzugraben. und die steilen Böschungen im Hagneckeinschnitt drohten abzurutschen. 

Abhilfe schuf erst der Bau eines Wehrs bei der Mündung des Kanals in den Bielersee, das die Voraussetzungen für die Nutzung der Wasserkraft schuf. Es waren Pioniere aus Biel und dem Kanton Bern, die den Bau des Kraftwerks Hagneck vorantrieben. 1899 in Betrieb genommen, war es das Gründungskraftwerk der BKW, der ­Bernischen Kraftwerke. 

Nach hundert Jahren war die Zeit für einen Ersatz der alten Anlage gekommen. Erste Pläne dazu entstanden 1994. Die tiefen Strommarktpreise um die Jahrtausendwende stellten das Vorhaben aber infrage. Dennoch fiel 2004 der Grundsatzentscheid für den Bau ­eines neuen Kraftwerks. Das Hochwasser 2005 bestätigte zudem, dass auch der Hochwasserschutz verbessert werden musste. Durch das alte Wehr konnte im Hochwasserfall nicht genug Wasser abfliessen. 

Durchbruch dank Gestaltungswettbewerb

Mit den ersten Projektideen stiessen die Bielersee Kraftwerke – das Kraftwerk Hagneck gehört je zur Hälfte der Stadt Biel und der BKW – jedoch auf Ablehnung. Zum einen war das alte Wehr denkmalgeschützt. Zum anderen ist das Hagneckdelta eine geschützte Aue von nationaler Bedeutung und ein wichtiges Vogelschutzgebiet.

Vertiefte Untersuchungen zeigten, dass das alte Wehr nicht erhalten werden konnte. Als Gegenleistung für dessen Abbruch wurde den Projektverantwort­lichen jedoch auferlegt, einen Ge­staltungswettbewerb für das neue Kraftwerk und dessen Umgebung durchzuführen.

Den Wettbewerb gewonnen hat das Team mit dem Architekten Christian Penzel, dem Bauingenieur Martin Valier und dem Land­schafts­architekten Raymond Vogel. Ihn habe die Aufgabe interessiert, ein Infrastrukturbauwerk optimal in eine so sensible Landschaft einzubetten, sagt Christian Penzel. Und das ist dem Team auch gelungen.

Der wohl entscheidende Einfall war, die Wehrbrücke nicht oben auf den Pfeilern zu führen, sondern rund 3 m tiefer zu legen und vor der grossen Maschi­nenhalle vorbeizuführen. Laut Penzel konnten so Kraftwerk und Wehr plastisch in Erscheinung gebracht und die Anschlussbauwerke tief gehalten werden. Dadurch kommt die Anlage optimal zur Geltung und gliedert sich harmonisch in die Landschaft ein. Das neue Maschinen­gebäude weist mit den grossen Fenstern eine ähnliche Grunddisposition auf wie das alte Kraftwerk. 

Der Wettbewerb habe sich als Glücksfall erwiesen, sagte Andreas Stettler, der Verwaltungsratspräsident der Bielerseekraftwerke, an der offiziellen Eröffnung. Das Kraftwerk sei ideal in die Landschaft integriert. Auch Hermann Ineichen, Mitglied der Konzern­leitung der BKW, ist von dem Re­sul­tat überzeugt. Aus seiner Sicht ist das Kraftwerk Hagneck gegenwärtig das eleganteste und schönste Wasserkraftwerk der Schweiz.

Spannende Wegführung

Insbesondere vom nördlichen Zugangsweg ergeben sich spannende Blicke auf das alte und das neue Kraftwerk. Dazu trägt auch die neue Brücke über den alten Oberwasserkanal bei. Weiter fällt die farbliche Einbettung des Bauwerks auf. Sie nimmt die Farbe des Molassefelses auf, der beim Hagneckeinschnitt an die Oberfläche tritt. Ursprünglich war Beton mit Jurakalk vorgesehen. Um der Alkali-Aggregat-Reaktion vorzubeugen, musste jedoch ein ­spezieller Zement verwendet werden. Die gewünschte Färbung wurde deshalb mit einem Farbzuschlag erzielt.

Bis der gewünschte erdig-warme Farbton vorlag, waren laut Penzel ­zahlreiche Versuche nötig. Für das Umgehungsgewässer und die Umgebungsgestaltung verwendete man Jurakalksteinblöcke, insgesamt 9800 Tonnen. Von der ersten Idee bis zum fertigen Bauwerk ergaben sich viele Anpassungen. Dank dem Einsatz von BIM konnten die Änderungen in die laufende Planung integriert werden.

Das Kraftwerk nutzt das Gefälle von maximal 9.15 m zwischen dem Hagneckkanal und dem Bielersee. Die neue Anlage erzeugt 30 % mehr Strom als das alte Kraftwerk. Die zwei grossen Rohrturbinen im neuen Maschinenhaus steuern den grössten Teil dazu bei (vgl. Kennzahlen, siehe Kasten). Hinzu kommen zwei kleinere Turbinen, die das Wasser für die Speisung des Umgehungsgewässers nutzen.

Von den fünf alten Turbinen wird zudem eine weiter betrieben. Die jährlich erzeugten 110 GWh Strom decken den Bedarf von 27 500 Haushalten oder einen Drittel des gesamten Strombedarfs der Stadt Biel. Speziell ist, dass auch ein sogenannter Schwarzstart möglich ist. Sollte das Stromnetz einmal komplett ausfallen, benötigt ein Kraftwerk Notstromaggregate, um aus eigener Kraft wieder starten zu können. 

Gestaltete Fischwanderhilfe

Ohne ökologische Ausgleichsmassnahmen lässt sich ein solches Projekt nicht realisieren. Dazu ­zählen die Fischwanderhilfen. Denn im Bielersee und in der Aare kommen mindestens 37 Fischarten vor, die das Kraftwerk gefahrlos passieren können sollen. 

Ein Gerinne, das einem natürlichen Bach nachempfunden ist, verbindet den Abschnitt unterhalb des Wehrs sowie den alten Unterwasserkanal mit dem Hagneckkanal. Damit die Fische den Einstieg finden, bedarf es einer Lockströmung. Im Sommer werden dafür insgesamt 3800 l/s, im Winter 2400 l/s eingesetzt. Weitere 2000 l/s speisen das Umgehungsgerinne. Die für die Fisch­wanderhilfe benötigte Wassermenge entspricht somit 1.4 bis 1.8 % der Ausbauwassermenge. 

Spezielle Einrichtungen beim Turbineneinlauf sollen zudem absteigende Fische ins Umgehungsgerinne leiten. Ein eben gestartetes Monitoring wird klären, wie gut die Fischwanderhilfe für den Auf- und Abstieg funktioniert.

Als weitere ökologische Massnahme wird der ehemalige Unterwasserkanal in eine Auen­landschaft umgewandelt. Auch an wandernde Käfer hat man gedacht. Ein in die Wehrbrücke integrierter Kiesstreifen soll die Querung erleichtern. Die Kosten der ökologischen Massnahmen belaufen sich auf knapp 10 % der gesamten Investitionskosten von rund 150 Mio. Franken.

Schwierige Rahmenbedingungen

Das neue Kraftwerk beeindruckt. Und trotzdem bleibt die ganz grosse Freude aus. Die BKW liess nämlich verlauten, schon beim Investitionsentscheid sei klar gewesen, dass sich das Kraftwerk – die Stromgestehungskosten im Kraftwerk Hagneck betragen 10 Rp./kWh – nicht rentabel betreiben lasse. «Wir haben es trotzdem gebaut, weil wir an die Wasserkraft glauben», sagte Hermann Ineichen von der BKW.

Man habe ein Zeichen setzen wollen. Freilich könne man dies nicht bei jedem Grossprojekt tun. Das schwierige Marktumfeld hemme Investitionen. Laut Ineichen sind allein im Kan-ton Bern gegenwärtig Projekte im Umfang von rund einer Milliarde Franken nicht möglich. 

Den Einwand, die ökologischen Massnahmen verteuerten die Wasserkraft unverhältnismässig, lässt Barbara Egger-Jenzer, Vorsteherin der Direktion für Bau, Verkehr und Energie des Kantons Bern, nicht gelten. Ohne Berücksichtigung der Ökologie könne heute gar nichts mehr gebaut werden. Die Regierungsrätin ist fest davon überzeugt, dass die Wasserkraft in der Schweiz die wichtigste Stromerzeugungsquelle bleibt und die aktuelle Krise überwunden wird.

Derzeit ist nur nicht klar, wie. Eine kluge Politik und vielleicht auch andere Rah­menbedingungen sind nötig, damit Wasserkraft, Natur, Landschaft und unsere Denkmäler nicht auf der ­Strecke bleiben. Und damit darüber hin­aus die Chance besteht, dass gute Ar­chitektur entstehen kann.

Kennzahlen Kraftwerk und Wehranlage


Turbinen
– 2 Rohrturbinen (Kaplan) mit einer installierten Leistung von je 10.4 MW
– 1 Turbine mit einer Leistung von 0.28 MW, angetrieben durch das Wasser, das für die Erzeugung der Lockströmungen benötigt wird
– 1 Turbine mit einer Leistung von 0.03 MW, angetrieben durch Wasser, das für das Verteilbecken im Umgehungsgerinne benötigt wird
– 1 Turbine mit 3 MW Leistung im alten Kraftwerk (Wiederinbetriebnahme Ende 2016)


Stromproduktion
110 GWh/a


Ausbauwassermenge
320 m3/s


Maximales Gefälle (Hagneckkanal–Bielersee)
9.15 m


Baukosten
150 Mio. Fr.


Konzessionsdauer
80 Jahre


Mittlerer Abfluss der Aare
177 m3/s


Auslegung Wehr
Abfluss 2700 m3/s (Jahrtausendhochwasser)


Bootstransportanlage
Automatische Standseilbahn für Schiffe bis 10 m / 2 t

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