Nützen oder schützen
Erfahrungen im Hochbau
Als Mitinhaber des Nachfolgebüros von Ingenieur Heinz Hossdorf hat René Guillod den Bau und jetzt auch den Umbau von zwei Schalenbauten mitverfolgt. Für den Erhalt ist die Bereitschaft der am Bau Beteiligten ebenso wichtig wie ein dauerhaftes Originaltragwerk.
Der Umgang mit Ingenieurbauwerken, wenn es um Umbauten und Instandsetzungen geht, hängt stark davon ab, inwieweit die öffentlichen Schutzvorgaben mit den Bedürfnissen der Bauherrschaft vereinbar sind. Im Hochbau arbeitet der Ingenieur in der Regel im Team mit dem federführenden Architekten auf eine gesamtheitliche Lösung hin. Bei gewissen Aufgaben trägt er sogar wesentlich zur Qualität und Einzigartigkeit des Resultats bei. Der technische Wert solcher Bauten ist gleichzusetzen mit den architektonischen, städtebaulichen oder geschichtlichen Werten, die bei den Inventaren von schutzwürdigen Gebäuden massgebend sind. Dabei wird die herausragende Leistung definiert, die für die Nachwelt sichtbar erhalten werden soll.
Neben diesen öffentlichen Schutzvorgaben stehen die Interessen des Bauherrn im Mittelpunkt. Für ihn ist der Erhalt sinnvoll, wenn er das Werk weiterhin und uneingeschränkt nutzen kann, die Kosten für den Unterhalt verhältnismässig sind und keine unüberblickbaren Risiken bestehen. Entscheidend ist somit, wie das Tragwerk den veränderten Nutzungen angepasst werden kann, ob Alterungsschäden zuverlässig behoben und neue Anforderungen für die Sicherheit erfüllt werden können. Dazu müssen sich die Projektierenden in die Entwurfsphilosophie der Autoren einfühlen und die damaligen Konstruktionstechniken kennen.
Zwei Beispiele sollen die eingangs aufgestellte These illustrieren: das Theater Basel und das Coop-Verteilzentrum in Wangen bei Olten. Beide sind eindrückliche Zeugen der Schalenbauweise der 1960er- und 1970er-Jahre. Im ersten Fall veranlasste die öffentlich anerkannte Bedeutung des Bauwerks einen sorgfältigen Umgang mit dem Bestand. Im zweiten Fall führte jedoch der Wunsch nach maximaler Nutzung zum schrittweisen Abbruch, dies trotz mahnender Hinweise auf den kulturellen Wertverlust.
Sorgfalt bei Kulturbauten
Die Konzeption des Theaters in Basel ist das Resultat einer Teamarbeit von Architekten, Ingenieuren und Betriebsplanern für einen Wettbewerb im Jahr 1963. Am augenfälligsten tritt das Bauwerk mit der Dachform in Erscheinung. Eine Membran mit 12 cm Betonstärke überspannt eine 60 m lange Zone vom Eingang bis zur Bühne und hält den ganzen Bereich für die Zuschauer und die Begegnungen im Foyer wahrnehmbar wie unter einem Tuch zusammen.
Das Bauwerk wurde 2005 in das Inventar der Basler Denkmalpflege aufgenommen, mit einer Würdigung der Autoren Schwarz, Gutmann, Gloor und Schüpbach als Architekten, Heinz Hossdorf als Bauingenieur und Herbert Grohmann als Bühnenplaner für den bedeutendsten Basler Kulturbau der zweiten Jahrhunderthälfte.
40 Jahre nach der Eröffnung mussten die Infrastruktur und die Betriebseinrichtungen dem Stand der neuen Techniken angepasst werden. Damit wurden zusätzliche Sicherheitsmassnahmen für die Evakuierung im Brandfall umgesetzt sowie Tragelemente ertüchtigt, die bei Erdbeben aufgrund neuer Erkenntnisse nicht mehr genügten.
Als ehemaliger projektleitender Bauingenieur des Neubaus stand ich im Auftrag des Bauherrn dem Generalplaner der Instandsetzung als beratender «Wissensträger» bei. Mit der Vermittlung der speziellen Merkmale des statischen und konstruktiven Originalkonzepts konnten die Planer strukturelle Anpassungen entwickeln, die dem Ausdruck des Bauwerks entsprechen.
Die funktionalen Auffaltungen am Dachrand, geformt für die Stabilisierung der Membran, wurden zur Rauchentlastung umgenutzt, jedoch ohne dass ihr formaler Ausdruck verloren ging. Die periodischen Wartungsarbeiten am Dach erfolgen im Schutz unsichtbarer Sicherungseinrichtungen anstatt konventionell mit Geländern am Dachrand.
Entgegen den ursprünglichen Vorschlägen wurden die Erdbeben- und Brandsicherheit ohne wahrnehmbare Anpassungen am Tragwerk gewährleistet. Die Dachmembran erfüllt in ihrem Originalzustand den Brandwiderstand. Hingegen sind die normierten Erdbebenlasten seit der Erstellung 1978 um ein Vielfaches gestiegen, weshalb eine stärkere Aussteifung der Tragwerksteile über den Galerien unumgänglich wurde.
Doch anstatt die Wände beiderseits des Zuschauerraums zu verlängern und die Nutzung zu beeinträchtigen, konnte mit einer Verstärkung des originalen horizontalen Verbands über der Decke des Parketts die notwendige Sicherheit erreicht werden. Dieses Fachwerk verbindet die Wände über den Galerien zu einem torsionssteifen Ganzen, das die Horizontallasten über die Wände ableiten kann. Dank den Vorkenntnissen über die ursprüngliche statische Konzeption konnten diese Massnahmen zielgerichtet und mit weniger Aufwand geplant werden.
Zweckmässigkeit bei Industriebauten
In den Jahren 1959–1961 baute der Verband Schweizerischer Konsumvereine (VSK, heute Coop) ein 24 000 m2 grosses Verteilzentrum, wo Heinz Hossdorfs Konstruktionsvorschlag mit extern vorgespannten Sheddächern zur Ausführung kam. Dabei ermöglichte eine noch unerprobte Technik eine schnellere Bauweise mit niedrigeren Kosten und besserer Materialqualität. Die Konzeption und die Bauweise fanden in der Baufachwelt grosse Beachtung und wurden als Pionierleistung vielfach publiziert. Prof. Dr. Peter Marti der ETH Zürich würdigte das Verteilzentrum als eines der ersten Segmentbauten mit externer Vorspannung.
Die Realisierung des ursprünglichen Projekts betreute Hossdorf selbst. Etwa 25 Jahre später bestellte der Bauherr eine Zustandsbeurteilung bezüglich der Tragsicherheit zusammen mit Vorschlägen für eine wärmetechnische Sanierung beim Ingenieurbüro Weiss- Guillod-Gisi (WGG), dem Nachfolgebüro von Heinz Hossdorf. Der Bauherr verlangte nachvollziehbare Aussagen zur Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit den externen Spannkabeln.
Die versprödete Eindeckung aus Welleternitplatten schränkte den Zugang zu den externen Spannkabeln ein. Dies zwang zu einer indirekten Schätzung der Korrosion durch Messungen an den Spannköpfen, woraus die Fachspezialisten eine fleckenhafte Oberflächenkorrosion an ca. 50 % der Spannkabel interpretierten. Erst der Ersatz oder die Ergänzung der externen Vorspannung, auszuführen über dem laufenden Betrieb, hätten die Sheds langfristig ertüchtigt.
Aus diesen Gründen kostete der Erhalt der Sheds mehr als deren Ersatz durch ein neues Flachdach auf der Höhe des zulässigen Bauprofils. Der Bauherr schrieb einen Generalplanerwettbewerb mit dieser Vorgabe aus und setzte diese Lösung in den Jahren 1996/97 um. Zur Sicherung wurden sämtliche Shedelemente unter dem Stahlfachwerk des neuen Flachdachs aufgehängt.
Die externen Spannkabel – das aussergewöhnliche Element dieser Konstruktion – wurden somit funktionslos. Seither werden die aufgehängten Sheds schrittweise ausgebaut, um mechanisierte Hochregallager mit 13 m Nutzhöhe bis unter das Flachdach einzubauen. Diese Betriebsoptimierung führt dazu, dass heute nur noch ein Drittel der ursprünglichen Dachelemente vorhanden ist.
Bereitschaft als Schlüssel des Erhalts
Entscheidend für den Abbruch der Sheddächer war letztlich die maximale Nutzung des räumlichen Potenzials für den betrieblichen Ausbau. Darüber hinaus fehlte die Wertschätzung gegenüber einem Werk, das aus Sicht der Geschichte der Bautechnik wohl revolutionärer war als das Hängedach des Theaters Basel. Weder bei der Zustandsuntersuchung noch beim darauf folgenden Wettbewerb wurde Heinz Hossdorf, der Autor des Bauwerks, von der Bauherrschaft beigezogen. Mit seinem Vorwissen als Projektverfasser hätte er möglicherweise das Risiko der Spannkabelkorrosion relativieren können.
Der Vorschlag von WGG, das Sheddach für den Raumgewinn schrittweise anzuheben, wäre technisch machbar gewesen. Dies bedingte jedoch eine Zonenänderung für die Bauhöhe und konnte ohne aktive Unterstützung der Bauherrschaft nicht weiterverfolgt werden. Zuletzt ist es bedauerlich, dass der Vorschlag von Prof. Marti, einen minimalen Anteil der Shedkonstruktion für Forschungszwecke und als baukulturellen Zeugen zu erhalten, nicht berücksichtigt wurde.
Beide Beispiele zeigen, dass ein erfolgreicher Erhalt zwar in der Hand des projektierenden Ingenieurs und der am Bau beteiligten Akteuren liegt. Doch im gleichen Masse ist er von der innewohnenden, langfristigen Gebrauchstauglichkeit der originalen Konzeption abhängig.