Was bleibt nach dem Hype?

Bürogebäude Hortus, Allschwil

In Allschwil ist ein Vorzeigeprojekt für klimagerechtes Bauen entstanden, über das schon viel geschrieben wurde. Was sind seine Besonderheiten und was wird sich auf andere Bauten übertragen lassen?

Publikationsdatum
22-07-2025

Zwischen der französischen Grenze und dem Siedlungsgebiet von Allschwil, Baselland, liegt der Main Campus. Er stellt sowohl räumlich als auch inhaltlich die Verbindung zu Basel als einem der wichtigsten Lifescience-Standorte weltweit her und führt in Allschwil einen neuen Massstab ein – auf der einen Seite des Dorfbachs eine gewachsene Zeilen- und Reihenbebauung mit Mischnutzung, auf der anderen Seite viel grössere, dicht gesetzte Volumen, ausschliesslich für Lifescience- und IT-Firmen.

Auch das Tempo ist ein anderes. Bis 2030 soll auf 7.5 ha ein Campus mit internationaler Ausstrahlung und 8000 neuen Arbeitsplätzen entstehen. Der Masterplan aus dem Jahr 2010 stammt von Burckhardt Architektur und wurde später von Herzog & de Meuron überarbeitet. Das Bürgerspital Basel hat die sechzehn Baufelder im Baurecht an verschiedene Firmen abgegeben. Elf davon erwarb die Immobilienentwicklerin Senn; sie gab Herzog & de Meuron den Planungsauftrag für neun der Baufelder. 

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Beim Betreten des Areals wirkt das Bürogebäude Hortus trotz seines Fussabdrucks von 2992 m² neben seinen voluminösen Nachbarn etwas gedrungen. Der Abstand zum Parkhaus im Südwesten beträgt nur wenige Meter; vom «Main Campus Head Quarter» im Südosten trennt es eine kleine Quartierstrasse. 

Senn setzte von Anfang an ambitionierte Nachhaltigkeitsziele, die auf dem SIA-Effizienzpfad Energie basieren. Es sollten vorrangig regenerative Materialien verwendet werden. Jedes Teil musste wiederverwend­bar, reparierbar, recycel- oder kompostierbar sein. Auf Untergeschosse und oberirdische Parkplätze sollte verzichtet werden. Das Gebäude soll die für die Erstellung aufgewandte Energie innerhalb von 30 Jahren zurückzahlen und danach zum Plusenergiehaus werden. Zugleich musste es rentabel und sozial nachhaltig sein.

Schwarminspiration

Dem Projekt ging eine siebenmonatige Forschungsphase voraus, in der zunächst Senn die internen Nachhaltigkeitsziele erarbeitete und dann Workshops mit den ­Architekten von Herzog & de Meuron, den Bauingenieuren von ZPF sowie Architekturpsychologinnen, Lichtspezialisten, Ärztinnen und Biodiversitätsexperten durchführte. Johannes Eisenhut, der Geschäftsführer von Senn Development, meint, auch der Planungsprozess sei anders gewesen als bei konventionellen Projekten: «Es macht Sinn, wenn ein Ping-Pong zwischen Spezialisten entsteht und parallel in allen Dimensionen gedacht wird. Das kann nicht ein Mensch allein, das kann nur eine Gruppe.» 

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Um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, hat das Team den Fussabdruck der Bauteile fortlaufend überprüft und auf dieser Basis über ihren Einsatz entschieden. ZPF-Ingenieure berechneten, dass 50 % der CO²-Emissionen des Rohbaus bei den Decken und Stützen anfallen. Also widmete man sich zunächst diesen Bereichen. Parallel entschied das Projektteam, mit Holz zu arbeiten. Das erforderte wiederum thermische Masse, die die sommerliche Hitze speichern und anschlies­send wieder abgeben kann.

Da es sich um ein Bürogebäude mit offenem Grundriss handelt, sind dafür vor allem die Decken wichtig. Eisenhut schildert die Geburtsstunde der Holz-Lehm­-Hourdisdecke so: «Da gab es diesen Moment, in dem wir auf die Auslegeordnung schauten und dann war da dieser Schnitt der heutigen Hortusdecke mit den v-förmigen Holzträgern und dazwischenliegenden Lehmbögen, als verschiedene Personen plötzlich das Gefühl hatten, das könnte was sein. Der Bauingenieur meinte, damit wären die Kosten- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Der Architekt sagte, das sei ästhetisch. Der Haustechniker meinte, Lehm sei wichtig für die thermische Masse. Der beteiligte Arzt lobte den guten Feuchtigkeitshaushalt. Und dann bist du in so einem Raum und merkst: Das hat was.»

In der Folge entwickelten ZPF-Ingenieure und Herzog & de Meuron das Bauteil gemeinsam weiter. Auch aus Sicht des Projektleiters Alexander Franz war der Prozess ungewöhnlich: «Klassischerweise arbeitet man als Architekt ja erst einmal an einem Konzept: Man geht vom Städtebau aus und landet schliesslich beim Detail. Bei Hortus haben wir diesen Prozess umgedreht. Wir haben vom ersten Tag an mit sehr vielen Fachplanerinnen und Spezialisten zusammengearbeitet, um dieses Decken­element zu entwickeln. Daraus ist dann Hortus hervorgegangen.» 

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Für die Produktion der Holz-Lehm-Decke errichtete das ausführende Unternehmen Blumer Lehmann in Zusammenarbeit mit Lehm Ton Erde eine Feldfabrik auf einem Nachbargrundstück. Es war ein Glücksfall, dass es ebenfalls der Bauherrschaft gehörte. Dort wurde der Lehm aus dem Aushub mit Kies vermischt und anschlies­send per Hand und Roboter in die Holzelemente gestampft.

Mit den Gegebenheiten entwerfen

Im Inneren des Gebäudes überrascht ein offener Grundriss mit einem Stützenwald. Die Dimensionen des Deckenmoduls aus Holz-Lehm wählten die Architekten in Anlehnung an die Seco-Empfehlungen für Einzelbüros in den Massen 2.8 m mal 5.6 m aus; diesem Raster folgen auch die Stützen. Bei der Planung bemerkten sie, dass die Flexibilität durch die vielen Stützen eigentlich nicht beeinträchtigt wird, da diese so angeordnet sind, dass sie gut nutzbare Einheiten bilden.

Franz meint dazu: «Für mich war eine der grössten Erkenntnisse dieses Projekts, dass der Gedanke ‹so stützenfrei wie möglich› eigentlich keine Rolle mehr spielt, wenn man ein Stützenraster clever gestaltet.» In der Folge verlagerten sie auch die v-förmige Erdbebenaussteifung von der Fassade ins Gebäudeinnere. Anders als bei den meisten Bürogebäuden bestehen beim Hortus sogar die Treppenkerne aus Holz.

Wegen des Brandschutzes sind sie mit Lehmplatten verkleidet und verputzt. Offene Schiebetüren, die sich nur im Brandfall schliessen, regen dazu an, die Treppe zu benutzen. Die Treppe selbst ist, ebenfalls aus Brandschutzgründen, in Schwarzstahl (d. h. roh und ohne Beschichtung) gefertigt.

Das Gebäude schwebt auf Einzelfundamenten aus Beton, wodurch die gesamte Grundplatte in Holz ausgeführt werden konnte. Die Fassaden des beinahe quadratischen, viergeschossigen Gebäudes mit Dachgeschoss sind auf allen vier Seiten ähnlich. Nur der Eingangsbereich wird durch eine schmale, hölzerne Plattform hervorgehoben. Hinter der Öffnung von der Grösse eines Garagentores leitet eine Rampe die Besuchenden in den begrünten Innenhof.

Geheizt wird mit Fernwärme und Fernkälte aus der Energiezentrale des Main Campus. Eine Erdsonden­wärmepumpenanlage stellt die Fernwärme bereit, während ein Freecooling-System die Fernkälte liefert. Photovoltaikanlagen auf Dach und Fassade mit insgesamt 5000 m² Fläche erzeugen jährlich rund 800 000 kWh Strom.

Schwarze, horizontale, leicht ausgestellte Brüstungsbänder mit Standard-PV-Paneelen prägen die Fassade. Die weissen Holz-Metall-Fenster stehen dazu im starken Kontrast. Die Ecken wurden offen belassen und ebenfalls weiss gestrichen. So soll aussen im Gegensatz zum hölzernen Inneren ein eher technischer Ausdruck entstehen.

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Ein neues Zukunftsbild 

Hortus ist Mitte Juni 2025 eröffnet worden. Es beweist, dass sich ein ästhetisch ansprechendes Gebäude mit 86 % erneuerbaren Materialien realisieren lässt, dessen Emissionen beim Bau unter dem ambitionierten Richtwert der SIA-Norm 390/1 von 7 kg CO²-eq/m²a liegen und dessen Betriebsenergie nur halb so hoch ist wie im Merkblatt SIA 2040 vorgesehen.

Das eingangs erwähnte Ziel, Hortus würde seine Erstellungsenergie innerhalb von 30 Jahren zurückzahlen, ist ein guter Beitrag für die Energiewende, entspricht laut Ökobilanzexperte Rolf Frischknecht aber nicht der Rechenweise der SIA 2040 (und 390/1). Gemäss letzterer wird die Primärenergie der PV-Anlage in selbst genutzte und ins Netz eingespeiste Strommengen aufgeteilt.

Der Strom, den das Gebäude selbst nutzt, hilft dabei den eigenen Energiebedarf (und damit den Primärenergie-Fuss­abdruck) zu verringern, weil damit der Netzstrombezug gesenkt wird. Den Solarstrom, der ins Netz eingespeist wird, nutzt jemand anderes – nicht das Gebäude selbst. Daher kann das Gebäude ihn nicht anrechnen, um seinen eigenen Energiever­brauch « zurückzuzahlen ».

Aus gestalterischer Sicht ist bemerkenswert, dass die Architekten keinem vordefinierten Bild folgten, sondern das Gebäude aus den Bedingungen heraus entwarfen: Das schwarze PV-Paneel hat im Vergleich zu farbigen Paneelen den grössten Ertrag, also wird die Fassade schwarz; kleinere Fenster verringern den U-­Wert der Fassade, also arbeitet man mit einem Glasanteil von unter 50 %.

Die technischen und materiellen Anforderungen des klimagerechten Bauens anzunehmen und diesem Neuen eine Gestalt zu geben, ist aktuell die wichtigste Aufgabe von Architekturschaffenden und das Verdienst von Herzog & de Meuron in diesem Projekt.

Johannes Eisenhut formuliert es so: «Ich denke, dass das, was Hortus leistet, nicht im Baulichen, sondern in der Lesung liegt. Hortus macht einen Vorschlag, wie eine bauliche Zukunft aussehen könnte, der bisherige Zukunftsbilder challenged. Wenn wir vor 20 Jahren über ‹Buildings of the Future› gesprochen hätten, dann wären das Fosters und Chipperfields gewesen. Und die Vorstellung von der Zukunft würde an ‹2001: A Space Odyssey› erinnern: viel Weiss und Glas. Und jetzt kommt Hortus und sagt, die Zukunft könnte auch so aussehen: Massivholz, Erde und trotzdem Design.»

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 15/2025 «Mehr oder weniger Lehm»

Bürogebäude Hortus, Allschwil
 

Bauherrschaft
Senn Resources, St. Gallen
 

Architektur
Herzog & de Meuron, Basel
 

Bauingenieurwesen
ZPF Ingenieure, Basel
 

Konzept Nachhaltigkeit / HLKSE
Senn Technology, St. Gallen
 

PV-Anlage
Planeco, Münchenstein
 

Holzbau/Feldfabrik
Blumer Lehmann, Gossau
 

Weitere Beteiligte
Erne Bauunternehmung, Basel; 
Mema Metallbau Marti, Ennenda; 
Basler Haustechnik, Muttenz; 
Erich Keller, Sulgen; Lippuner Energie und Metallbautechnik, Basel
 

Fertigstellung
Mai 2025

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