Wo die Sonne willkommen ist
Das Symposium Solares Bauen besuchte erstmals Basel und gab Einblick in die regionale Vielfalt an neuer Solararchitektur. Die Architekten finden Freude an Innovationen bei Konstruktion und Entwurf.
Wer sich Basel nähert, erblickt sofort das neue Wahrzeichen der Stadt am Rhein. Die Roche-Zwillingstürme sind Riesen, die die bisherige Silhouette bei weitem dominieren. Ihr Ausdruck einer «Alles-ist-möglich»-Architektur gefällt jedoch nicht überall.
Nur Lob heimsten die Basler Turmbauer, das Architekturbüro Herzog & de Meuron, dagegen am Symposium Solares Bauen für ein kleineres Werk und eine alternative Haltung ein. Alexander Franz, Leiter der bürointernen Nachhaltigkeitsabteilung, präsentierte das Projekt «Hortus», eines der ersten klimaneutralen Bürohäuser der Schweiz, das im Vorort Allschwil entsteht (TEC21 11/2022). Es sei als «Pionierprojekt für die Bauökologie» gedacht. Bei der Präsentation staunte das versammelte Publikum, wie gekonnt die Stararchitekten neuerdings auch mit nachhaltigen Bauwerken umgehen können.
Das Gebäude selbst ist ein Winzling, auch verglichen mit den grossen Geschäftsbauten, die das Büro gleich neben dem Hortus realisiert. Doch in Sachen CO2-Bilanz verspricht das viergeschossige, kompakte Bürohaus mit Innenhof einen grossen Sprung nach vorn. Gemäss aktuellem Planungsstand wird es nur halb so viel graue Energie konsumieren wie zur Erstellung von 2000-Watt-kompatiblen Bauwerken erforderlich ist. Und Letztere sind bereits um den Faktor drei besser als ein gesetzeskonformer Neubau.
Bauteile neu erfunden
Zum «neuen Verständnis des Bauens» gehören laut Franz konstruktive Innovationen. So hängen die PV-Fassadenmodule an einem Gerüst aus Holz. «Und wir schauen darauf, dass die Abdeckgläser aus Europa stammen und die Fertigung der Solarmodule in der Schweiz erfolgt.» Eine noch grössere Herausforderung war der Entwurfsprozess. Dieser sei im Vergleich zu konventionellen Projekten auf links gedreht worden. «Anstelle den Entwurf vom grossen zum kleinen voranzutreiben, erfanden wir zuerst einzelne Bauteile komplett neu», so der HdM-Nachhaltigkeitsfachmann. Dazu schilderte er, wie der Prototyp eines Holz-Lehm-Deckengewölbes entwickelt und als 1:1-Modell auf Sicherheitsaspekte überprüft werden musste.
Die Idee dahinter: Der Neubau Hortus soll sich innerhalb einer Generation energetisch selbst amortisieren (siehe «Sind Solarhäuser auch «Netto-Null»?», unten). Dafür brauche es Reduktion, Substitution und Produktion: Der Leichtbau verzichtet ausser im Sockel auf Beton, und besteht sonst aus nachwachsenden und wiederverwendbaren Rohstoffen – darunter Fichten- und Buchenholz sowie Zellulose und Strohballen zum Dämmen. Damit die verbaute Masse ihrerseits den thermischen Komfort passiv mitprägt, stammt auch das mineralische Material, nämlich Lehm, aus der Natur.
Nach 27 Jahren amortisiert
«Diesen Herbst folgt die nächste Testrunde: Wir erstellen ein Mock-Up, um die raumklimatischen Bedingungen zu erproben», so Franz. Dazu wird die Gebäudetechnik auf das Wesentliche reduziert. Eine Lüftungsanlage ist nicht vorgesehen; im Gegenzug sollen PV-Module an den Fensterbrüstungen Energie für den Eigenverbrauch liefern. Nach 27 Jahren sollen die Überschüsse denselben summarischen Energiewert erreichen wie der Aufwand für die Gebäudeerstellung, zeigen die aktuellen Bilanzierungen.
Ein ähnlich ambitioniertes und im voraus berechnetes Vorhaben hat sich auch Graubünden ausgedacht. Der neue Verkehrsstützpunkt der Kantonspolizei soll in einem ebenfalls «klimaneutralen» Gebäude untergebracht werden. Architekt Toufiq Ismael (Comamala Imsail Architekten) gab am Solarsymposium seinerseits Einblick in den Planungsstand des Bündner Leuchtturmprojekts. Ein wichtiges Anliegen war ihm, auch auf mittlerweile überwundene Hürden hinzuweisen: «Wir diskutierten oft über Normen.» Denn oft lasse sich ein suffizientes und ressourcenschonendes Gebäude nur realisieren, wenn davon abgewichen werden darf und die Nutzer auf gewisse Komfortanforderungen verzichten.
Erstmals mit Besichtigungen
Zwingender Bestandteil des Bündner Polizeigebäudes werden ebenfalls die PV-Module an der Fassade sein. Als rundlaufende Klebdächer angeordnet, können sie Strom erzeugen und gleichzeitig vor Sonnenstrahlen schützen. «Möglichst viel natürliches Licht ist weiterhin willkommen», ergänzt Architekt Ismael. Ein vorgefertigtes Raummodul gebe Gewissheit, dass die erwarteten Betriebsbedingungen auch hier mit Lowtech-Massnahmen eingehalten werden.
Die vierte Austragung des Symposiums, das vom Fachverband Swissolar gemeinsam mit espazium – Der Verlag für Baukultur veranstaltet wird, war erstmals mit einer Besichtigung von realisierten Vorhaben verbunden. So wurde die Wohnüberbauung Heuwinkel in Allschwil, ein Ersatzneubau mit PV-Dach und -Fassaden, vor Ort erklärt. Und der neue Sitz des kantonalen Umweltamts war die letzte Etappe auf der solaren Rundtour durch Basel. Letztere trägt eine PV- Hülle zur Schau, deren Glasdesign einem Haute-Couture-Kleid in Einzelanfertigung entspricht. Wäre das nicht ein besseres Wahrzeichen für die nachhaltige Stadt am Rhein?
Sind Solarhäuser auch «Netto-Null»?
Die beiden am Solarsymposium präsentierten «klimaneutralen» Gebäude – das Hortus in Allschwil und der Polizeistützpunkt in Chur – beruhen auf einer identischen Formel: Bei Bau und Betrieb werden fossilfreie und erneuerbare Ressourcen bevorzugt. Gerne erwähnen die Besteller und Projektverfasser aber, dass der minimierte Bedarf an grauer Energie dank der gebäudeintegrierten Solarstromproduktion energetisch vollständig amortisiert werde. Netto-Null oder klimaneutral sei so, zumindest rechnerisch, erreicht.
Eine Klärung dieses Sachverhalts bot das Referat von Rolf Frischknecht, ein international bekannter Ökobilanzexperte. Er plädierte dafür, die Mathematik und die Klimaphysik auseinanderzuhalten. Denn die Photovoltaik erzeuge zwar viel weniger CO2-Emissionen als andere Energieproduktionsvarianten. Doch «eine negative Emissionstechnologie, mit der man Treibhausgase aus der Atmosphäre eliminieren kann», sei sie nicht. Und ebenso wenig könnten Photovoltaikanlagen die CO2-Emissionen beim Bau kompensieren.
Umso mehr empfiehlt Frischknecht den Bauherrschaften und Architekten: «Bei Erstellung, Betrieb und Rückbau von Gebäuden ist der Fussabdruck weiter zu verringern.»