Haus statt Par­ken

Parkhäuser mögen als Bautyp nicht am Ende sein, werden aber immer häufiger für andere Nutzungen umgebaut. Inmitten der Städte bergen sie Raumreserven, und im fast-postfossilen Zeitalter erfährt ihr Genius Loci neue Wertschätzung. Sechs Beispiele aus Berlin, Stuttgart und Allschwil.

Publikationsdatum
25-12-2023

Klunkerkranich, Berlin: im Rhythmus der Parkplätze

Wenig ist so ernüchternd wie ein Nachtclub am Tag. Der Horizont ist verhangen, kalter Wind lässt die Pfützen frieren. Die Lichterketten sind so abgestorben wie die Pflanzen in den Holzkübeln. Die Geburt des Nachtlebens aus dem Parkhaus ist an diesem Winternachmittag allzu deutlich zu spüren. Nicht allein am Weg vom Aufzug aus einer Shoppingmall quer über leere Parkplätze hinüber zur Betonschnecke, die aufs Dach führt, auch an der Aura einer Tristesse, die wohl keinem anderen Bautyp so anhaftet wie dem Parkhaus.

Knapp acht Stunden später, und alles ist anders. Die Querung der Parkplätze erscheint als beabsichtigte Ruhe vor dem Sturm – die Steigerung der Spannung, ob hier oben denn wirklich was stattfindet. Um die Ecke gebogen, die Spindel hinauf, bei Nacht sind alle Pflanzen grau, aber die Lichterketten machen kleine Sterne in der Kälte, wenn’s sonst schon keine gibt. Ein unverfehlbares Wummern weist den Weg an Bierbänken vorbei und eine Eisentreppe hinauf zu einer Holzhütte. Die steht auf dem einstigen Parkdeck 7 unter dem Himmel über Berlin, stilistisch aber steht sie irgendwo zwischen Oberbayern und National Park Rustic, der schweren Holzarchitektur, die die Lodges amerikanischer Nationalparks aus den 1930er-Jahren auszeichnet.

Und man fühlt sich hier genauso willkommen. Die Bässe sorgen für einen weichen Klangteppich, der die Holzdielen sanft beben lässt; die ebenso hölzernen Wände reflektieren den Sound in unerwarteter Wärme. Verdammt weit weg ist das alles vom Autoabstellen, wofür dieses oberste Deck einer Hochgarage im Berliner Stadtteil Neukölln einmal geschaffen wurde. Ungleich freundlicher die rhythmische Bewegung zahlloser Körper, die alle zusammen und jeder für sich auf den Brettern hüpfen, erstaunlich unmanieriert, keine Pose für andere, und auch DJane und DJ stehen entspannt und vergnügt wippend in einer Art metallener Wolke an ihrem Pult und beschenken das Publikum mit einem steten leichten Spannungsaufbau, wenn elektronisch verfremdete Stimmen oder Harfenklänge kurzzeitig das stete Hämmern ablösen, bis der Rhythmus fast verloren zu gehen droht, das Gewippe zu unsicher suchendem Wanken wird, um dann endlich wieder in steter Zuverlässigkeit in ein neues Buhm-Buhm-Buhm zu fallen.

Da sind sie dann doch, die Parkplätze, die hier längst vom Tanzboden überdeckt sind, aber sich zwei Etagen tiefer noch immer aneinanderreihen wie die elektronischen Takte, 5-001, 5-002, 5-003, was sich ein Parkplatzplaner einst ausdachte, um die Abstellplätze fein säuberlich zu nummerieren, hallt hier oben wider als stete Ordnung eines neuen Takts, der denjenigen der Viertakter ablöst und statt Ölflecken und Pfützen Klangschnipsel und Soundbäder ausbreitet.

Es sei einfach «ein zu schöner Platz, um Autos rumstehen zu lassen», meint Robin Schellenberg. Zusammen mit Dorle Martinek und Julian Reetz gründete er vor mittlerweile zehn Jahren den «Klunkerkranich» auf dem Parkhausdeck, von dem sich eine atemberaubende Sicht über die Berliner Dächerlandschaft bietet. Für Autos lohnten sich die obersten und damit entlegensten Etagen des zum Einkaufszentrum «Neukölln Arcaden» gehörenden Parkhauses nie, der Betreiber hatte sie aus ökonomischen Gründen längst geschlossen und war froh, sie an den Club zu vermieten. Zunächst auf drei Jahre, dann auf weitere zehn.

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Damit verfestigten sich auch die baulichen Strukturen: Zu zwei anfangs aufgestellten Containern kam ein Holzdach dazwischen, dann Wände, schliesslich noch die höher gelegene Holzhütte. Dieser Ursprungsmythos der Architektur im Eigenbau jedoch ist sorgfältig von den Clubbetreibern geplant, im Verbund mit einer Architektin und Bauingenieuren fürs Technische und Rechtliche. Denn hier ist man oberhalb der Berliner Traufhöhe und damit im Bereich von Ansprüchen, die sonst für Hochhäuser gelten, etwa in Bezug auf Windlasten. Und von Anfang an war der «Klunkerkranich» nicht nur Club, sondern auch Garten: Pflanzen spriessen aus zahllosen Kübeln oder auch mal aus einer alten Badewanne, auch das genau berechnet, denn deren Substrat darf nicht zu schwer sein, und nicht jede Spezies fühlt sich hier oben wohl. Auf dem Parkhaus sitzt nun also ein Park, ein bisschen Lunapark auch mit verschiedenen Hüttchen und den bunten Lampen und in seiner labyrinthischen Anlage. Ein Park und Häuser.

Kalle Neukölln, Berlin: alter Beton, freigelegt und neu verpackt

Das Problem alter Parkhäuser sind immer die Decken. Gerade mal 13 bis 15 Zentimeter sind die hier dick. Und dazu kommt noch, dass «die ja auch geschummelt haben vor 40 Jahren», wie man auf der Baustelle hört. «Die», das sind die Bauarbeiter, die in den 1970er-Jahren den Beton gossen für das Parkhaus hinter dem einstigen Quelle-Kaufhaus in Berlin-Neukölln. Dick mit weisser Latexfarbe gestrichen war das Innere des Parkhauses, und um die zu entfernen, mussten die Stützen, Wände und Decken wassergestrahlt werden. Das legte einigen Schmu offen: viel zu dünn mit Beton überzogene Bewehrungseisen und manchmal sogar offene Fugen zwischen den einzelnen Bodenplatten, die plötzlich eine Etage tiefer blicken liessen. Die Fehler der Vorgängergeneration wurden ausgebessert, die Struktur nachhaltig ertüchtigt, und entstanden ist nun ein dem Deckweiss beraubtes, ursprünglich nie so intendiertes Sichtbetoninterieur.

Für den Bauherrn, einen Immobilienentwickler aus Berlin, ist das ein ideales Umfeld für eine «community», die bald in die einstigen Parketagen einziehen soll. Ein Co-Working-Space soll hier entstehen, und im Vorderhaus, dem einstigen Kaufhaus, unter anderem ein «Foodcourt». Für die neue Nutzung stellen nicht allein die dünnen Bodenplatten eine Herausforderung dar, sondern auch ein weiteres Charakteristikum von Parkhäusern: ihre grosse Tiefe. Daher wurde das Innere hier ausgestanzt: Aus den Parkdecks hat man das mittlere Drittel herausgeschnitten, ein grosses zentrales Rechteck, sodass ein grosszügiger, gläsern überdachter Lichthof entstand und die Tiefe der neuen Büros reduziert wurde. Zum Reiz der Mietflächen dürfte zukünftig auch eine neue Dachterrasse inklusive Pool beitragen, der eine weitere Herausforderung für die Statik darstellte, zu den alten Betonstützen kamen ein paar neue.

Nicht zu Unrecht rühmt der Bauherr sich, den Bau nicht abgerissen zu haben. Das galt allerdings nicht für die Erschliessungsrampen, die zwischen Kauf- und Parkhaus standen. Dieser zumeist eigentümlichste Gebäudeteil eines Parkhauses wurde hier abgebaut, um einen Wintergarten entstehen zu lassen. Dass man die Garage überhaupt erhalten hat, ist auch der heute nicht mehr zulässigen Grundstücksausnutzung zu verdanken, das räumt der Immobilienentwickler Hans Stier un­umwunden ein. Ausschlaggebend sei das aber nicht gewesen, sondern der Wunsch, hier einen unverwechselbaren Ort zu schaffen: «Es gibt heute einfach eine Faszination für Umnutzungen, für die Liebe und Kreativität, die da hineinfliessen.» Die sollen auch den zukünftigen Geist des Komplexes bestimmen, der in Anlehnung an die Anschrift Karl-Marx-Strasse kumpelhaft «Kalle Neukölln» heissen wird.

Kant-Garagen, Berlin: das perfekt platzierte Sofa

Das älteste erhaltene Parkhaus Berlins ist im Gegensatz zu den allermeisten seiner Artgenossen ein anerkanntes Baudenkmal. Entstanden ist es 1930 an der Kantstrasse im bourgeoisen Berliner Westen am Rand der Innenstadt. Hier waren selbst im damals nur schwach motorisierten Deutschland genügend Automobile vorhanden, um deren Behausung erforderlich und lukrativ zu machen.

Was für ein Luxusobjekt ein solches Gefährt damals gleichwohl noch darstellte, beweisen die einzelnen, mit Rolltoren verschliessbaren Boxen, die sich innerhalb des modernen Stahlbetonskelettbaus befinden. Es ist beinahe ein Wunder, dass zahlreiche dieser Boxen die Wandlung des Autos zum Massenverkehrsmittel überstanden. Noch bis 2017 konnte man in den Kant-Garagen parken und im Erdgeschoss sogar tanken, auch wenn der Bau längst arg ramponiert war. Die Denkmalpflege und die Qualität des Bauwerks trotzten dem Abrisswillen des damaligen Eigentümers, bis sich ein empathischer neuer Besitzer fand und von diesem die für künstlerisch ambitionierte Projekte bekannte ­Johanne Nalbach als Architektin verpflichtet wurde.

Der ursprünglich aus Hamburg stammende ­Möbelladen «Stilwerk» hat den gesamten Komplex im Herbst 2022 als Mieter übernommen. Die nun dort platzierten Designerstücke finden in der modernistischen Garage einen einzigartigen Rahmen – nicht allein in der Werbung sehen grosse Sofas auf einem Parkplatz noch besser aus als im Wohnzimmer. Die einstigen Boxen eignen sich zudem unerwartet gut für ein Store-in- Store-Konzept, wie man es nun im ersten Obergeschoss findet, wo verschiedene Möbelhersteller ihre Produkte ein wenig basarähnlich nebeneinandergereiht präsentieren. Die neuen Eingriffe üben sich in Zurückhaltung, die prägnante filigrane Glasfassade zur Kantstrasse wurde durch eine zeitgenössische Aufdopplung ein halben Meter dahinter thermisch aktualisiert. Damit entstand zugleich ein reizvolles Schaufenster aus Drahtglas, durch das sich nur die Silhouetten der berühmten Möbelstücke abzeichnen. Für die wenigen neuen Einbauten im Innern – im wesentlichen Toiletten und ein Aufzug – hätte man sich gleichwohl eine entschiedenere materielle, farbliche und formale Trennung vom ­Bestandsbau vorstellen können.

Und ein wenig Leben fehlt dem im Oktober 2022 wiedereröffneten Bauwerk noch. So leicht lassen sich 300 Parkplätze eben doch nicht mit Möbeln füllen. Im Erdgeschoss sind noch verschiedene gastronomische Nutzungen geplant. Ästhetisch reizvoll wäre es gewesen, das Parken zwischen den Designersofas noch so lange zu erlauben, bis die neuen Nutzungen das Auto vollends verdrängt hätten. Das mag ein petrolverliebt utopischer Gedanke sein – der gleichwohl deutlich macht, dass ein jedes Parkhaus mit Ölflecken und Abgasen auch ein Stück seiner Aura einbüsst.

Innovation Garage, Allschwil: die Garage als Urhütte der New Economy

In Berlin scheint die Tatsache, dass die Stellplatzverordnung bereits seit 1997 einige wenige Parkplätze für gehbehinderte Menschen verlangt und darüber hinaus nur Fahrradstellplätze vorschreibt, die Umnutzung von Parkhäusern beflügelt zu haben. In der Schweiz – und auch in den meisten Kommunen Deutschlands – ist der Glaube an automobile Allerreichbarkeit hingegen noch fest in Planungsvorschriften zementiert. Für das Baselink-Areal in Allschwil bei Basel, ein Neubaugebiet zur Ansiedlung von Biotechnologiefirmen und für einen Ableger der Uni Basel, sah der Masterplan 630 Stellplätze vor; der Umweltverträglichkeitsbericht wiederum fixierte genau diese Zahl als Maximum.

Das Immobilienunternehmen Senn realisierte die verlangte Parkfläche in einer Stahlkonstruktion mit Betonböden von Goldbeck Rhomberg – ein «Normparkhaus», wie es Johannes Eisenhut von Senn nennt. Der Systembau bot allerdings genau 600 Quadratmeter Fläche zu viel, auf denen keine weiteren Stellplätze gebaut werden durften. Stattdessen stellte man eine thermisch ummantelte Box in eine Ecke des Erdgeschosses, entworfen von den Basler Architekten Felippi Wyssen. Die dient der Uni Basel als «Innovation Office»: Büro und Anlauf- sowie Koordinationsstelle für innovative unternehmerische Ausgründungen aus der Universität. Aus dem an sich banalen Parkhaus wird so die klangvolle «Innovation Garage». Idee und Name beziehen sich auf den Mythos, dass zahlreiche Technologiefirmen im Silicon Valley angeblich in einer Garage gegründet wurden: Apple in den 1970er-Jahren in der Garage des ­Elternhauses von Steve Jobs, und Hewlett-Packard ­bereits in den 1930er-Jahren.

Baulich ganz so zukunftsweisend, wie man erwarten könnte, ist der innovative Allschwiler Garagenraum dann aber doch nicht: Die Räume für die Uni haben eine grössere Raumhöhe als die Parketagen. Das tut den Innenräumen gut. Ein Weiterwachsen der Büros ins Bauwerk hinein, ein schrittweises Kapern der simplen Parketagen und eine fortlaufende Verdrängung der Autos sind damit aber ausgeschlossen und auch nicht vorgesehen. Dennoch sieht Eisenhut, der die benachbarten Parzellen ebenfalls mit Felippi Wyssen und nach Plänen von Herzog & de Meuron und also mit höchsten baukulturellen Ansprüchen bebaut, die Wahl des Systemparkhauses als Statement, dass «dessen Lebensdauer vielleicht nicht unbegrenzt ist».

Züblin-Garage, Stuttgart: der Drive-Thru als White Cube

Die Züblin-Garage am Rande der Stuttgarter Innenstadt entstand in den frühen 1960er-Jahren und präsentiert sich auf den ersten Blick ziemlich bullig, nicht untypisch für den Brutalismus. Massige Brüstungen umfangen die Parkebenen, dazwischen tief verschattete Öffnungsschlitze. Umso wirkungsvoller, was sich im Innern findet. Nämlich nicht allein eine fischgrätähnlich zum Fahrweg angeordnete Serie von Stellplätzen auf schiefen Ebenen, sondern diesem Rampenweg entlang eine Galerie für zeitgenössische Fotografie.

Die Fotos sind als Plakate auf die zentrale Wand tapeziert und bis auf volle Deckenhöhe vergrössert. Das Parkhaus ist Drive-Thru und White Cube zugleich und damit eine ebenso perfekte wie unerwartete Fusion zweier amerikanischer Produkte der Hoch- und der Alltagskultur. Seit 2014 bestückt eine Gruppe von Stuttgarter Fotografinnen und Fotografen das Parkhaus jährlich im Sommer mit eigenen Werken und solchen einiger Gastkünstler. So findet sich am Kopf eines Stellplatzes Donald Trump in Überlebensgrösse auf einem der fiktiven Porträts der Britin Alison Jackson beim Betrachten eines «Playboy»-Hefts oder auch eine unheimliche Szenerie mit Rotkäppchen inmitten eines düsteren Interieurs voll ausgestopfter Tiere von Bernd Kammerer. Betrachten kann das ein jeder zu Fuss im gemächlichen Durchschreiten der vier Etagen und bis aufs Dachparkdeck hinauf – oder auch beim Durchfahren aus dem Autofenster.

«Der Parkhausbetreiber fand das klasse», erzählt Frank Bayh, einer der Initiatoren. Michael Gamisch vom Parkservice Hüfner, der im ganzen süd­deutschen Raum Parkhäuser betreibt, bestätigt das:
«So bekommt man Menschen ins Parkhaus, die man sonst nicht dorthin kriegt – die vielleicht gar kein Auto haben.» Dass das Auto hier nicht verdrängt und ersetzt, sondern ergänzt wird, macht das Projekt lebendiger als viele andere Parkhausumnutzungen. Denn die Züblin-Garage ist nach wie vor ein normales Parkhaus, die Stunde Autoabstellen kostet 2.50 Euro. Die Wagen aber werden hier zum dreidimensionalen Vordergrund der Bilder, jeder ein Stück Pop Art.

Und während des Lockdowns in der Pandemie war die Züblin-Garage das einzige geöffnete Museum in Stuttgart, mit Führung per Podcast. Der Pachtvertrag für den Bau läuft Ende 2023 aus, und damit dürfte diese einzigartige Konstellation aus Kunst und Abgasen – «Fumes and Perfumes» nennt sich die Galerie – eine neue Form annehmen. Inspiriert vom Erfolg der künstlerischen Übernahme, schlägt der Parkhausbetreiber selbst vor, die Hälfte des Parkhauses zu erhalten und die andere Hälfte zu Kleinwohnungen umzubauen, inklusive Abstellplätzen für Lastenfahrräder und eines bereits erfolgreich laufenden Sommerkinos auf dem Dach.

Weitere Beiträge zum Thema «Architektur und Auto» finden Sie in unserem gleichnamigen Dossier.

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