Eine Winterreise durch den Iran
Auf den Spuren der präislamischen, islamischen und persischen Baukunst – unterwegs per Auto und Bus von Shiraz nach Teheran.
Was schon der Film «Taxi Teheran» von Jafar Panahi witzig und tiefgründig veranschaulicht hat, bestätigt sich während meiner Reise von Shiraz zurück in die iranische Hauptstadt: Der private Ort auf vier Rädern bedeutet eine kleine Freiheit im restriktiven Staat. Im Auto erfährt man hier Dinge, über die man öffentlich nicht zu sprechen wagt. Da hört kein Unerwünschter mit, ausserdem hat man Zeit bis zur Ankunft. Und zwischendurch nutzt mancher Iraner das Warten vor dem Rotlicht für einen Flirt mit der Fahrerin auf der gegenüberliegenden Strassenseite – denn im Iran ist auch Flirten verboten.
Shiraz sei – so haben Freunde mir versichert – die freundlichste Stadt des Landes. Tatsächlich erscheint der Geburtsort bekannter Dichter wie Hafez südlich und leicht. Gerade im winterlichen Licht wirkt die Architektur der persischen Paläste zarter und verspielter, und die bemalten Kacheln und Mosaike der Moscheen sind bunter gestaltet als anderswo. Basar und Hammam des weisen Schahs Vakil sind bekannt für ihre kunstfertigen Kuppeln, unter denen es nach getrockneten Früchten, Gummisohlen und staubigen Teppichen riecht. Doch Mohamad, ein Wasseringenieur, der mich vom Flughafen abholt, erzählt mir auf der Fahrt zu seinen Eltern von einer anderen Realität. Die Wasserknappheit in der Gegend werde prekärer, und trotzdem hielten die Bauern an ihren alten offenen Bewässerungstechniken fest. Sie seien gegen dringend notwendige neue Verfahren. Bereits am nächsten Rotlicht will mir ein Junge durchs offene Fenster Narzissen verkaufen. Ihr Duft schwebt noch lang durch das Wageninnere. Die Läden an den Strassen sind seit Stunden blendend hell ausgeleuchtet. Auch die hohen Palasträume der Kadscharenzeit sind in der kalten Jahreshälfte gut beheizt. Ich stelle fest: Iran hat kein Energieproblem – so wie man in der Schweiz noch keine Wasserprobleme kennt. Entsprechend grosszügig geht man hier wie dort mit der vorhandenen Ressource um.
Die Zagros-Berge, die ich einige Tage später im Bus nach Yazd überquere, der Wiege des Zoroastriertums, führen mir vor Augen, wie sehr Iran ein Wüstenstaat ist: Weit oben auf den Gipfeln liegt Schnee – nur von da kommt im trockenen Sommer das Wasser, das mittels der traditionellen Qanat unterirdisch ins Tal geführt wird. Während der siebenstündigen Fahrt lehrt mich meine Sitznachbarin die arabischen Zahlen, bis wir von den Felsen vor Yazd im lilafarbenen Abendlicht empfangen werden. Dahinter erstreckt sich die Wüste Lut bis nach Afghanistan. Aus Sand, Stroh und Kameldung sind naheliegenderweise auch die Häuser der Altstadt. In ihren sandfarbenen Gassen kann man sich leicht verirren. Das einheitliche Baumaterial fasziniert mich – ausser Lehm und etwas Holz ist wenig anderes zu sehen. Auch ausserhalb des Zentrums gibt es Quartiere mit mehrstöckigen Lehmbauten, die jedoch allmählich zu traurigen Haufen zerbröckeln. Die Halden unterscheiden sich von den Sanddünen vor der Stadt eigentlich nur durch den Abfall.
Am nächsten Tag fahre ich mit dem Bus nach Chak Chak. Aus dem Autroradio trällern «Paroles, paroles ...» und andere französische Chansons. Da Gesang in der Öffentlichkeit verboten ist, hört man sich die Lieder im Auto an. Hossein, der mich begleitet, erzählt die Geschichte von der präislamischen Prinzessin Nikbanou, die sich in Chak Chak vor den Muslimen versteckte. Als sie eines Morgens ins Tal blickte, sah sie das Heer ihrer Feinde die Strasse hinauf kommen. Verzweifelt bat sie den Berg um Hilfe, worauf dieser sich öffnete. Als sich der Fels nach ihrem Sprung in den Spalt wieder schloss, da blieb ein Zweig, den sie mit sich trug, hängen. Beweis dafür ist ein Baum, der sich heute entschieden aus einer Felsspalte zwängt. Hier treffen sich jedes Jahr Anhänger dieser wohl friedlichsten aller Religionen aus aller Welt. Die Aussicht auf das Tal und die Strasse, die sich nach oben schlängelt, lässt die Geschichte der Prinzessin in der Vorstellung der Besucher immer wieder neu aufleben.
Die nobelste und berühmteste Stadt Irans, Isfahan, liegt eine halbe Tagesreise weiter nordwestlich. Die mehrstöckige Fussgängerbrücke Pol-e Chadschu steht im flachen Bett des ausgetrockneten Zayandeh Rud. Das Bauwerk ist selbst in der Mittagssonne ein belebter Ort. Leute picknicken auf den Treppen zum Ufer, und Jugendliche vollführen schwindelerregende Kunststücke auf dem steinernen Brückenfirst. Auf der unteren Ebene spielen Kinder, während sich die Erwachsenen im Schatten zwischen den Pfeilern ausruhen. Der freundlich belebte Ort ist ein Gegenbild zur abendlichen Rückfahrt mit einem traurigen Taxifahrer. Bis ich ihn am Zielort in der Innenstadt verlasse, repetiert er energisch und zwanghaft die Sätze: «First, I must sell my shop; second, I must go to Japan; third, I must write down everything – then you will understand, this country is trouble.» Düstere Dinge über die Vergangenheit des Manns durchkreuzen meine Gedanken.
Im 2. Teil: Danielle Fischer unterwegs vom Bazar zum Ferdwosi-Platz. Zum Artikel