«Die be­trieb­li­che Zu­kunft hängt vom Hard­turm ab»

EM 2008 Rückblick 2 / 3

Wie attraktiv sind Stadionbauten mitten in der Stadt? Silvia Kistler und Andreas Bachmann von der Stadt Zürich berichten über ihre Erfahrungen mit dem Letzigrundstadion.

Publikationsdatum
16-06-2016
Revision
16-06-2016

TEC21: Frau Kistler, Herr Bachmann, was ist aus Ihrer Sicht einzigartig am Letzigrundstadion?

Silvia Kistler: Die Idee ­der Architekten und des Zürcher Stadt­rats war, ein offenes Kombi-­Stadion zu bauen, eine Art Muschel, die in der Erde liegt. So ist ein Stadion entstanden, das ­sich nach aussen öffnet, mit dem umliegenden Quartier direkt verbunden und frei zugänglich ist. Zudem wird das Stadion seit 2009 zu 100 % mit erneuerbarer Energie betrieben: mit Pelletheizung, Solar­energie und Biogas.

TEC21: Wie hat sich dieses offene Stadion­konzept bewährt?

Andreas Bachmann: Das Letzigrundstadion ist sehr viel­seitig nutzbar und eignet sich ­­für die unterschiedlichsten Veranstaltungen. Es hat sich gezeigt, dass ab 15 000 Zuschauern so richtig Stimmung aufkommt und dass die Atmosphäre speziell im Sommer bei den ganz grossen Veranstaltungen absolut genial wird. 

TEC21:Wie stark wird heute der Letzigrund vom Quartier genutzt?

Andreas Bachmann: Heute sind ­die hinteren Sportplätze bei der Hardgutstrasse, der Durchgang und der Zugang zu den allgemeinen Räumlichkeiten tagsüber offen. Das Restaurant «Oval», die Sportklinik, die Geschäftsstellen der «Special Olympics» und des Leichtathletikclubs sind für die Öffentlichkeit zugänglich. 

Silvia Kistler: Das Interesse an Sportplätzen in den Quartieren ist gross, und dafür gibt es auch die verschiedenen Sportanlagen der Stadt Zürich, die von Vereinen und den Schulen genutzt werden können, im Umkreis des Letzigrunds z. B. die Sportanlage Utogrund oder die Sporthalle Hardau. 

TEC21: Wurde aus dem Leicht­athletik- und Eventstadion mittlerweile ein Fussballstadion?

Silvia Kistler: Die ursprüngliche Idee des Kombi-Stadions besteht bis heute. Über die Vor- und Nachteile wurde in den vergangenen Jahren genügend debattiert.

Andreas Bachmann: Damit die EM 2008 im Letzigrund ausgetragen werden konnte und das Stadion den strengen Anforderungen  von Fifa und Uefa gerecht wurde, mussten damals im Vorfeld einige Anpassungen vorgenommen werden. So wurde aus dem Letzigrund auch ein Fussballstadion, was sich längerfristig und aus heutiger Sicht sicher bewährt hat. So können heute problemlos Champions-League- oder Länderspiele im Letzigrund stattfinden. Der Fussball absorbiert momentan den Letzigrund sehr stark, obwohl eigentlich nur die Meisterschaftsspiele hier stattfinden und die Homebases der Clubs gar nicht im Letzigrund untergebracht sind. 

TEC21: Wird der Letzigrund heute noch als Leichtathletikstadion ­und Eventstätte genutzt? 

Andreas Bachmann: Im Letzigrund findet jedes Jahr das weltbekannte Leichtathletikmeeting «Weltklasse Zürich» statt, und 2014 wurde ­­hier die Leichtathletik-Europameisterschaft ausgetragen. Auch die Leichtathletik-Schweizermeisterschaft fand schon im Letzi statt. Täglich trainieren auf den Anlagen rund 200 Athleten aus verschiedenen Teams und Kadern des Leichtathletikclubs Zürich und des Schweizer Nationalteams.

Weiter sind im Letzigrund jährlich vier grosse Konzerte zugelassen, und für diese ist das Stadion schweizweit einfach genial und einzigartig. Im Vergleich zu Bern mit rund 44 000 Plätzen ist Zürich mit 50 000 Plätzen für Künstler und Veranstalter sehr interessant, vor allem auch in finanzieller Hinsicht. Neben den grossen Events kommen pro Jahr noch rund 300 weitere Anlässe dazu, an denen Räumlichkeiten gemietet werden, von der kleinen VIP-Lounge bis zum Medien­zentrum oder zur grossen Halle für Generalversammlungen. 

TEC21: Wie ist die Akzeptanz im Quartier für ­den Stadion­betrieb? 

Andreas Bachmann: Die Akzeptanz für die grossen Konzerte ist im Quartier vorhanden, und man freut sich jeweils auf die lang im Voraus angekündigten Events und Veranstaltungen. 

Silvia Kistler: Der Stadionbetrieb hat im Quartier eine lange Tradition. Seit der Hardturm nicht mehr zur Verfügung steht, hat sich der Fussballbetrieb im Letzigrund praktisch verdoppelt, was von beiden Seiten Entgegenkommen und Toleranz erfordert. 

TEC21: Wie sieht die Zukunft des Letzigrunds aus? 

Silvia Kistler: Das neue Hardturmstadion wäre die Heimat für die Grasshoppers und den FCZ. Die betriebliche Zukunft des Letzigrunds hängt also sehr stark von diesen Neubauplänen ab. ­Der Wunsch von allen wäre, in dieser Sache möglichst rasch Klarheit zu erhalten. 

Andreas Bachmann: Im Moment herrscht ein Schwebezustand, und eine längerfristige Planung und Ausrichtung des ganzen Betriebs ist aufgrund der vielen offenen Fragen eher schwierig. Egal, wie ­sich die Geschichte mit dem Hardturm weiterentwickelt, für die Zukunft des Letzigrunds sind zahlreiche interessante Ideen und Konzepte vorhanden, auf die wir uns auf jeden Fall freuen dürfen – mit oder ohne Fussball.

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