Der Umbau der Stadt
Wie müssen wir unsere Städte transformieren, um sozial und ökologisch nachhaltig gestaltete Siedlungsräume zu erhalten? Das war die Frage, die im Zentrum des diesjährigen ETH Forums Wohnungsbau stand.
Ersatzneubau ist das Unwort des Jahres 2022. Eigentlich war es das schon 2021 und wenn man sich die heutigen Wettbewerbsausschreibungen ansieht, wird uns der Ersatzneubau als Allheilmittel für die Transformation der Stadt und als Werkzeug zur «Nachverdichtung» noch eine lange Zeit begleiten. Wie sinnvoll diese Vorgehensweise jedoch ist, fragen sich viele Akteurinnen und Akteure im städtebaulichen und architektonischen Betrieb der Schweiz schon länger.
Auch am diesjährigen ETH Forum Wohnungsbau mit dem Titel «Metamorphosen!» wurde zwischenzeitlich die Fragwürdigkeit dieser Praxis angesprochen. In seinem Vortrag sprach Reto Knutti, Professor für Klimaphysik und Delegierter für Nachhaltigkeit der ETH Zürich über die Herausforderungen des Klimawandels für unsere Gesellschaft. Die steile Kurve des CO2-Anstiegs in der Atmosphäre in Knuttis Vortrag erinnerte an die Versprechen des Pariser Klimaabkommens. Auch die Schweiz hat das Pariser Klimaabkommen ratifiziert. Darin verpflichtet sie sich, ihre Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 50 Prozent zu reduzieren und bis 2050 Nettonull zu erreichen (also nur so viel CO2 auszustossen, wie auf natürlichem oder technischem Weg der Atmosphäre entzogen werden kann). Dies bedeutet eine massive Änderung für die Bauwirtschaft, die 25 Prozent der CO2-Emissionen in der Schweiz verursacht.
Dies bringt uns wieder zurück zum Ersatzneubau: Alexa Bodammer, Dozentin und Projektleiterin für Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung, Institut für Soziokulturelle Entwicklung, Hochschule Luzern und Angelus Eisinger, Direktor Planungsdachverband Region Zürich und Umgebung RZU zeigten das Ausmass der Ersatzneubaupraxis auf. Im Jahr 2021 wurden in der Stadt Zürich 1768 Wohnungen abgebrochen. Demgegenüber stehen 1930 neue Wohnungen. Jedoch hat sich das Wohnangebot in diesem Jahr nur um 10% erhöht.
Man kann also allenfalls von einer Nachverdichtung in Baumasse, jedoch kaum von einer Nachverdichtung von Wohnraum in der Region Zürich sprechen. Und in anderen Schweizer Städten sieht die Bilanz nicht besser aus. Wenn sogar in Situationen, in denen der Erhalt der Baumasse einfach zu bewerkstelligen wäre, dem Abriss der Vorzug gegeben wird (so geschehen beim Wettbewerb für das Schulhaus Höckler in Zürich Manegg https://www.espazium.ch/de/aktuelles/fuer-wen-bauen-wir und https://www.espazium.ch/de/aktuelles/inget-skolhus-foer-klimatet-kein-schulhaus-fuer-das-klima ), stellt sich die Frage, wie gross der politische Wille wirklich ist.
Die Politik spielt bei der Reduktion von CO2 eine grosse Rolle. Natürlich kann an die Verantwortung von Einzelpersonen appelliert werden, zum Beispiel weniger zu fliegen oder kein Fleisch mehr zu essen. Aber auf die Baupraxis und die damit zusammenhängenden Mechanismen hat der einzelne Mensch kaum Einfluss.
Die Zahlen von Alexa Bodammer und Angelus Eisinger zeigen, dass mit der aktuellen Strategie des Ersatzneubaus kein CO2 eingespart wird. Auch eine Verbesserung der angespannten Wohnungssituation in Schweizer Städten ist so nicht möglich. Mehr Wohnraum wäre insbesondere für eine soziale Nachhaltigkeit der Städte und deren kontinuierlich wachsende Bevölkerungszahl wichtig.
Wenn wir bauen, dann muss Weiterbauen das Ziel sein. Und es müssen stärkere Ambitionen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus angestrebt werden. Manche politischen Massnahmen geben Hoffnung. So unterstützt die Stadt Zürich gemeinnützige Wohnbauträger mit der Vergabe von Baurechten unterhalb der Marktbedingungen, zum Beispiel mit zinsgünstigen Darlehen und Bürgschaften. Jedoch wird auch Kritik an dieser Praxis geäussert, da sie nicht als wirksame Wohnungspolitik zugunsten der Ärmsten effektiv ist.
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit gehören zusammen
Ein gutes Beispiel für Erhalt von Bausubstanz und soziale Wohnbaupolitik gab Prof. Marta Moreira von MMBB Architects aus Brasilien am ETH Forum Wohnbau. Das Projekt «SESC 24 de Maio» in Sao Paulo zeigt beispielhaft, wie Grossstadtmetropolen weiterentwickelt, Vorhandenes umgeformt und Räume, die urbanes Leben ermöglichen, neu entstehen können. Den ehemaligen Firmensitz des Möbelkaufhauses Mesbla hat Marta Moreira mit ihrem Büro gemeinsam mit dem brasilianischen Architekten Paulo Mendes da Rocha zu einem Kultur- und Freizeitzentrum umgestaltet. Öffentlich zugänglicher Raum für eine vielseitige Stadtgemeinschaft steht der gängigen Praxis der Privatisierung in Brasiliens Städten gegenüber.
Die Inhalte des ETH Forums verschoben sich im Laufe der Veranstaltung immer stärker von der ökologischen zur sozialen Nachhaltigkeit. Auch in seinem Resümee sprach Hubert Klumpner hauptsächlich über das Thema Partizipation im stadtbaupolitischen und architektonischen Betrieb, über die Durchmischung der Stadt und darüber, welche Chancen und Möglichkeiten für die Agenda 2030 der Stadt Zürich bestehen.
Alle Beiträge gibt es hier als Video zum Nachschauen sowie teilweise als pdf zum Download.