Inget skolhus för klimatet – Kein Schulhaus für das Klima
Ein Kommentar von Paul Knüsel
Erst drei Jahre sind vergangen, seit Schülerinnen und Schüler den Unterricht zu schwänzen und freitags vor dem Zürcher Rathaus für das Klima zu streiken begannen. Ihre Botschaft wurde erhört, die Stadtregierung rief kurz darauf den Klimanotstand aus. Während es auf der Strasse wieder ruhiger wurde, gingen die Fachleute in den Amtsstuben eifrig über die Bücher. «Klimaneutral bis 2040» lautete ihr überraschend eindeutiges Verdikt. Noch im letzten Jahr präsentierten Politik und Verwaltung einen selbstbewussten Plan, wie man die Stadt in knapp 20 Jahren fast komplett von CO2-Emissionen befreien kann. Was noch fehlt, ist der Segen der Bevölkerung: Über das Update der bisherigen 2000-Watt-Ziele wird eine Volksabstimmung befinden. Der Urnengang folgt bereits diesen Mai. Und auch sonst drängt die Zeit. Ist es da nicht opportun, die Behörde geht zunächst pragmatisch vor und nimmt eigene Chancen wahr? Immerhin besitzt die Stadt mehrere Tausend Liegenschaften, wo sie tun und lassen kann, was und wie sie will.
Bewährte pädagogische Prinzipien
Beim Architekturwettbewerb für die neue Schulanlage Höckler wäre es möglich gewesen, ein Schulhaus nach den Vorstellungen der Klimajugend zu bauen. Doch deren mutmasslicher Favorit landete nur auf dem zweiten Platz. Der Jury stand der Sinn eher nach bewährten pädagogischen Prinzipien als nach einem Wahrzeichen fürs Klima. Zum Gewinner wurde der Entwurf «Willkommen an Bord», weil er die Bedürfnisse und Abläufe eines Unterrichtsalltags einfach und übersichtlich organisiert. Der zweitrangierte Entwurf «Werkstadt» war dem Gremium dagegen architektonisch zu verspielt und baurechtlich zu gewagt. Letzterer hätte die beiden Werkhallen stehen lassen und gemäss den Projektverfassern 900 Tonnen CO2 eingespart; beim Siegerprojekt gehen sie zugunsten des Neubaus verloren.
Der Entscheid der Jury ist ernüchternd und setzt eine eigene Pointe: Das Siegerprojekt verwendet und visualisiert den klimafeindlichen Baustoff Beton so prominent wie sonst kein anderer Konkurrent. Auch führte die unmittelbare Zugehörigkeit zum 2000-Watt-Vorzeigequartier «Greencity» erstaunlicherweise nicht zur nächsten ökologischen Parforceleistung.
Architekten lernen schnell
Um der Klimajugend diesen Stimmungskiller zu erklären, bedarf es einer kurzen Geschichte. Deren Anfang lässt sich weder auf ein Datum noch auf einen Protestanlass fixieren. Vielmehr begann die Diskussion über den grossen Rohstoffverschleiss beim Bauen an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten. Architekten, die erstmals für die Stadt Zürich bauen, lernen jedoch seit mehr als einem Jahrzehnt: Ein Gebäude konsumiert viel Energie im Betrieb, die graue Energie für die Erstellung zählt aber auch. Umso mehr wundert sich die junge Berufsgeneration über den lokalen Ersatzneubau-Boom, und immer lauter wird die Architekturszene aufgefordert, sich intensiver mit klimafreundlicheren Alternativen zur Tabula-Rasa-Methode zu befassen. Nur am Rande sei der laufende Disput um den drohenden Abriss der Maaghallen in Zürich-West erwähnt, an dem sich arrivierte Berufsvertreter sehr aktiv beteiligen. So war es nur eine Frage der Zeit, bis das neue Denken in der Architektur das Wettbewerbswesen erreicht. Gar für Aufruhr sorgte die Auswahl von Ersatzbauten für die städtische Wohnsiedlung am Salzweg. Ein Nachwuchsduo missachtete das definierte Programm und landete mit dem Vorschlag, die Hauszeilen weiterzubauen, anstatt abzubrechen, einen Publikumserfolg. Die Jury kam nicht umhin, dem Projekt trotz formeller Disqualifikation einen Anerkennungspreis zuzusprechen.
Ein zweites Mal wollte sich die Zürcher Behörde nicht auf dem linken Fuss erwischen lassen. Sie passte das Reglement für künftige Wettbewerbe an: Auch wenn Ersatzneubau gefragt ist, sollen Architekten Bestehendes weiter nutzen dürfen. Testobjekt dafür war das Schulhaus Höckler, was für das Hochbaudepartement allerdings ein gewisses Risiko barg: Weder sind die Manegg-Hallen eine baukulturelle Ikone, noch beeindrucken ihre Dimensionen derart, dass ein Abbruch eigentlich fast selbstverständlich wäre. Die amtsinterne Analyse ergab denn auch Unvereinbarkeit zwischen Bestand und Bauprogramm. Erstaunlich ist bloss, dass fast ein Fünftel aller teilnehmenden Architekturteams – mitunter diejenigen mit viel Praxiserfahrung – mit der schmächtigen Substanz weiterarbeiten wollte und die zwei bestehenden Werkhallen auf kreativste Art und Weise dem verlangten Schulraum einverleibte.
Die gute Nachricht daran ist: Die Architekturpraxis ist flexibel und versiert. Sie hält heute schon lokale Lösungen bereit, um das globale CO2-Budget von morgen zu entlasten. Die schlechte Nachricht dagegen lautet: Dasselbe lässt sich über die Stadtplanung nur bedingt sagen. Will auch sie ihren Beitrag zur Schonung der fossilen Ressourcen leisten, beginnt ihre Arbeit lange bevor Entwürfe skizziert oder Baupläne abgesteckt werden. In der Manegg aber reagierte die Behörde zu spät.
Nicht in allem ein Vorzeigeareal
Der Umbruch auf dem Areal der alten Papierfabrik an der Sihl ist noch im Gang, die Anleitung dafür dennoch 16 Jahre alt. Der erste Gestaltungsplan war bereits mit vielen ökologischen Ideen gespickt. Bis heute brüsten sich die Greencity-Investoren und der Planungsträger, die Stadt Zürich, mit gutem Grund dafür: Die Wohn- und Geschäftsbauten erfüllen höchste Nachhaltigkeitsstandards. Derweil stritt das Parlament darüber, wie mit einem Fahrtenmodell das drohende Verkehrschaos rund um das Neubauquartier zu verhindern sei. Ungleich weniger Aufmerksamkeit erhielt der Bedarf an öffentlicher Quartierinfrastruktur.
Zugegeben: Die private Standortentwicklung nahm plötzlich Fahrt auf und lockte einige Nachahmer in direkter Nachbarschaft. Die einst abgelegene Gewerbefläche wird zum dichten, urbanen Wohnraum umgebaut, der zuletzt mehr Leute anlockte als Zürich-West. Im Lee der Nutzungsplanung aktualisierte die Behörde zwar ihre Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung und zur Zahl der erwarteten Schulkinder, aber verlor darob die räumliche Gesamtstrategie aus den Augen. Erst das Parlament erkannte, dass sich die Stadt aktiv um einen zusätzlichen Schulstandort bemühen sollte. Als die Stadt eigene Parzellen erwerben wollte, war jedoch fast alles schon vergeben.
Standort als multifunktionales Füllhorn
Das einzig verfügbare Grundstück wurde so entgegen seiner räumlichen Enge und anderer baurechtlicher Einschränkungen zum multifunktionalen Füllhorn. Ging die Schulkreisbehörde 2006 noch davon aus, ihren Bedarf an Betreuungs- und Unterrichtsräumen über ein Mietverhältnis mit den Wohnbauinvestoren sicherzustellen, braucht es nun Platz für einen stadteigenen Bau, der auch Raumprobleme benachbarter Schulhäuser löst. Das Ergebnis ist bekannt: Auf einer Grundfläche von gut 6500 m2 wird nun die benötigte Infrastruktur für mehrere hundert Schulkinder gebaut.
Gemessen am prall gefüllten Nutzungsprogramm darf die Erkenntnis aus diesem Wettbewerb nicht unterschätzt werden. Gute Architektur weiss auch mit Unebenheiten, oder in diesem Fall mit schmächtigen Hallen, selbstverständlich und materialschonend umzugehen. Gute Planung folgt derselben Logik: mit den verfügbaren Ressourcen weiterarbeiten oder, noch besser, der eigenen Nachfrage die Möglichkeiten des Bestands gegenüberstellen. Beim Schulhaus Höckler wurde an vieles gedacht, was die Kinder in den nächsten Jahren für ihren Unterricht benötigen. Was für deren Zukunft aber mittelbar wichtig ist – eine Netto-Null-Bilanz bei den CO2-Emissionen – davon haben die erwachsenen Fachleute in der Planungsbehörde und im Auswahlgremium zu wenig berücksichtigt. Ein Happy End für das Klima ist (noch) nicht in Sicht.
Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch
Bericht zum Wettbewerbsresultat