Der Ber­ner Weg zur über­kom­mu­na­len Pla­nung

Regionales Denken ist in der Raumplanung ein Gebot der Stunde. Der Kanton Bern geht voran: Er hat Regionalkonferenzen ins Leben gerufen und flächendeckend regionale Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzepte erarbeitet. So konsequent institutionalisiert kein anderer Kanton die überkommunale Zusammenarbeit. Die Anstrengung trägt erste Früchte.

Publikationsdatum
24-12-2013
Revision
13-10-2015

Der Kanton Bern ist in puncto Bevölkerung und Fläche der zweitgrösste Kanton der Schweiz. Er erstreckt sich vom Jura über das Mittelland bis zu Eiger, Mönch und Jungfrau. Der heterogene Kanton umfasst neben der Hauptstadt, einigen mittelgrossen Städten und bekannten Tourismusorten auch ländliche Gebiete wie das Emmental oder das Diemtigtal im Berner Oberland. Wie überall in der Schweiz haben die Gemeinden einen grossen Stellenwert. Das erschwert überkommunales Denken. Gelegentlich finden aber Reformen statt, die ausserhalb der betroffenen Region kaum wahrgenommen werden. Im Kanton Bern, der den Ruf eines traditionellen und wenig beweglichen eidgenössischen Standes hat, ist man derzeit daran, einen für Schweizer Verhältnisse bemerkenswert grossen Schritt vorwärts zu machen. Eine noch radikalere Gebietsreform haben in letzter Zeit nur die Glarner mit der Reduktion auf drei Gemeinden vollzogen. 

Regionalkonferenzen stärken die Regionen

Das Kernstück der Berner Reform ist die Einführung von Regionalkonferenzen. Der Kanton ist in sechs Regionen eingeteilt worden. In drei Regionen hat die Bevölkerung inzwischen dem Konzept zugestimmt. Den Anfang machte 2008 die Region Oberland Ost; es war die erste Regionalkonferenz der Schweiz. 2009 folgte Bern-Mittelland, 2012 das Emmental. In den Regionen Thun Oberland West und im Oberaargau hingegen scheiterten die Vorlagen. Eine Mehrheit der Stimmenden war zwar für das Regionalkonferenz-Modell, eine Mehrheit der Gemeinden lehnte es aber ab. Im Berner Jura fand noch keine Abstimmung statt, weil zuerst die Frage der Kantonszugehörigkeit zu klären war.1

Eine der Aufgaben der Regionalkonferenz ist die Abstimmung der Verkehrs- und Siedlungsplanung. Sie ist zudem für die regionale Richtplanung, Kulturförderung und Energieberatung zuständig. Die Gemeinden können weitere Aufgaben aus den Bereichen Wirtschaft oder Sozialpolitik an die Regionalkonferenz übertragen. Oberstes Gremium der Regionalkonferenz ist die Regionalversammlung, die aus allen Gemeindepräsidenten besteht. Die Regionalkonferenz kann Mehrheitsentscheidungen fällen. Jede Gemeinde hat ein Stimmengewicht, das ihrer Bevölkerungszahl entspricht.

Verkehr und Siedlung aufeinander abstimmen

Das Instrument für die Abstimmung von Verkehr und Siedlung sind die Regionalen Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzepte (RGSK). Seit 2012 liegen diese für den ganzen Kanton vor.2 Sie sind für die Behörden verbindlich. «In den Regionen, die bereits Regionalkonferenzen haben, waren diese für die Erarbeitung der RGSK zuständig», sagt Matthias Fischer, Projektleiter bei der Abteilung Kantonsplanung im Amt für Gemeinden und Raumordnung des Kantons Bern. In den anderen Fällen hat der Kanton zusammen mit den Planungsregionen diese Aufgabe übernommen. Die Schaffung der Regionalkonferenzen sei als Prozess zu sehen. Damit sie funktionierten, sei ein aktives Mitwirken der lokalen Behörden und der Gemeinden zentral, erklärt Fischer. Wenn die Regionalkonferenzen Erfolg haben, ziehen die Regionen, die eine solche im ersten Ablauf ablehnten, vielleicht dereinst nach. Unbestritten ist, dass eine regionale Zusammenarbeit in irgendeiner Form stattfinden muss.

Die Verkehrskonferenzen, die bisher für die Planung des öffentlichen Verkehrs zuständig waren, hatten bereits den Perimeter der aktuellen Regionen. Neu behandeln die Regionalkonferenzen aber auch den motorisierten Individualverkehr und den Langsamverkehr. In der Siedlungsplanung stehen die neuen RGSK zwischen dem kantonalen Richtplan und den kommunalen Richtplänen beziehungsweise den kommunalen Nutzungs- und Zonenplänen. Sie konkretisieren den relativ groben kantonalen Richtplan. Die eigentümerverbindliche Nutzungsplanung liegt aber weiterhin in der Kompetenz der Gemeinden. So kam es in letzter Zeit wiederholt vor, dass aus planerischer Sicht sinnvolle Einzonungen an gut erschlossener Lage in Agglomerationsgemeinden an der Urne oder an Gemeindeversammlungen scheiterten. Im Prinzip könnte die Regionalkonferenz eine Gemeinde mit dem Erlass einer regionalen Überbauungsordnung überstimmen. In der Praxis sei das bisher aber noch nie vorgekommen, sagt Fischer. Bei grösseren Siedlungserweiterungen sei jedoch gemäss dem revidierten Raumplanungsgesetz eine regionale Abstimmung nötig. 

Die sechs Berner Agglomerationsprogramme sind Bestandteile der jeweiligen RGSK. Gegenüber dem Bund ist zwar der Kanton der Ansprechpartner für die Agglomerationsprogramme, deren Erarbeitung hat er aber an die Regionen delegiert. Der Perimeter der Agglomerationen umfasst nur einen Teil der Regionen. Den Kreis grösser zu ziehen ist sinnvoll, weil die Agglomerationen in vielfältiger Weise mit den umliegenden ländlichen Gebieten verbunden sind.

Regionalkonferenz Bern-Mittelland als Beispiel

Die Regionalkonferenz Bern-Mittelland besteht seit 2010. Sie umfasst Bern als Zentrum (ca. 122.700 Einwohner), die Kerngemeinden (ca. 80.000 Einwohner), die Agglomerationsgemeinden (ca. 130.000 Einwohner) sowie die ländlichen Gemeinden (ca. 50.000 Einwohner). Mit mehr als 380.000 Personen entspricht die Bevölkerung der Region Bern-Mittelland derjenigen des Kantons Luzern. Sie ist nicht mit der Hauptstadtregion im bundesrätlichen Raumkonzept Schweiz zu verwechseln, die über den Kanton hinausreicht.3 

Die Zusammenarbeit zwischen den Agglomerationsgemeinden und den ländlichen Gemeinden funktioniere in der Regel gut, sagt Jos Aeschbacher, Leiter des Bereichs Raumplanung bei der Regionalkonferenz Bern-Mittelland. Die einzelnen Gemeinden seien zwar mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert, doch wachse das gegenseitige Verständnis. Im schweizerischen Vergleich ist die Agglomeration Bern in den letzten Jahren nur wenig gewachsen. Diesen Rückstand will man aufholen. Die Regionalkonferenz Bern lancierte im August deshalb die Informationskampagne «Boden gutmachen». Damit will man eine Diskussion über Wachstum, Bautätigkeit und regionale Entwicklung auslösen. Um ein moderates Wachstum zu ermöglichen, seien Verdichtungen bestehender Siedlungsgebiete und Einzonungen an gut erschlossenen Lagen notwendig, heisst es auf der Webseite der Regionalkonferenz.4 Das Wachstum soll aber auf eine Weise erfolgen, die haushälterisch mit dem Boden umgeht, Zersiedlung und Pendlerverkehr eindämmt und die Qualitäten der Region bewahrt. Bei den aus planerischer Sicht sinnvollen Einzonungen in den Agglomerationsgemeinden braucht es laut Aeschbacher aber noch Überzeugungsarbeit. 

Die Themen werden oft projektbezogen angegangen. Dabei bringen Fachleute und Behördenvertreter ihr Wissen ein. Moderierte Workshops sind eine gute Möglichkeit, Anliegen aus den Gemeinden aufzunehmen und zu bündeln. Ein konkretes Beispiel ist das Regionale Hochhauskonzept, das die Spielregeln für Hochhausprojekte verbindlich festlegt. Im Gebiet von Bern, Köniz, Ittigen, Ostermundigen und Wohlen sind unter anderem Gebiete festgelegt worden, die sich für Hochhäuser eignen.5 Ein anderes Anliegen sind durchgehende Velorouten. 2012 verabschiedete die Regionalkonferenz ein Leitbild für den Langsamverkehr. In einem nächsten Schritt wird nun die Netzplanung für den Veloverkehr an die Hand genommen.6 

Ein «Grünes Band» um die Kernagglomeration

Wer vom Berner Hausberg Gurten über die Stadt und das umliegende Land blickt, dem fällt auf, wie stark durchgrünt die Agglomeration ist. Siedlungen sind mit Kultur- und Naturlandschaften eng verzahnt. Die Regionalkonferenz Bern-Mittelland hat im Rahmen des RGSK einen Leitplan erarbeitet.7 Als Zukunftsbild der Region nimmt der Leitplan eine Schlüsselstellung bei der Diskussion über die künftige Entwicklung ein. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem «Grünen Band» zu, das sich um die Kernagglomeration Bern zieht. Es bezeichnet einen stadtnahen Erholungsraum, der aus landwirtschaftlich genutzten und naturnahen Flächen besteht. Es ist Zäsur, gleichzeitig aber auch Bindeglied zwischen der inneren städtischen und der äusseren ländlichen Landschaft. Die Gemeinde Köniz war Vorreiterin bei der Beachtung dieses Landschaftselements, indem sie das Siedlungsgebiet vorbildlich von der offenen Landschaft abgrenzte. Im «Grünen Band» gilt kein generelles Bauverbot, bei Bauvorhaben ist aber in jedem Fall ein besonderes Augenmerk auf den speziellen Charakter und die vielfältigen Funktionen dieses Grünsystems zu legen, insbesondere auf die Vernetzung zwischen innerer und äusserer Landschaft. Im Rahmen eines Landschaftsprojekts werden derzeit die im RGSK aufgeführten Ziele konkretisiert, dabei wird das bisher noch recht allgemeine Konzept des «Grünen Bands» vertieft und auf weitere Gemeinden übertragen. 

Erste Früchte

Aus den sechs RGSK haben die zuständigen Stellen des Kantons eine Synthese erstellt. In diesem durch den Regierungsrat genehmigten Bericht werden die in den Regionen vorgeschlagenen Massnahmen beurteilt und priorisiert. Diese Vorselektion wurde auch im Hinblick auf die Agglomerationsprogramme der zweiten Generation vorgenommen, die beim Bund Mitte 2012 zur Prüfung einzureichen waren. Die ersten Signale des Bundes sind positiv: Er hat in Aussicht gestellt, rund 50 wichtige Verkehrsprojekte in den Agglomerationen Bern, Biel, Burgdorf, Langenthal und Thun mitzufinanzieren. Dazu zählen unter anderem der Ausbau des Bahnhofs Bern sowie verschiedene Projekte der Tram Region Bern. Über die Verwendung der Mittel aus dem Infrastrukturfonds wird das Eidgenössische Parlament bis Anfang 2015 definitiv entscheiden.

Für Matthias Fischer fördern die RGSK das überkommunale Denken – eine Voraussetzung, um regional planen zu können. Damit könnte es gelingen, die Entwicklung an Orte zu lenken, wo sie sinnvoll und erwünscht ist. Lukas Bühlmann, der Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung, erachtet die Schaffung der Berner Regionalkonferenzen als bemerkenswerte Entwicklung in der helvetischen Planungslandschaft. Der Kanton habe mit dem Instrument der RGSK die Abstimmung von Siedlung und Verkehr in erstaunlich kurzer Zeit auf den Weg gebracht, findet er. Das revidierte Raumplanungsgesetz fordere, dass die Erweiterung der Siedlungsfläche regional abgestimmt werde. Mit den neu geschaffenen Strukturen sei der Kanton Bern sehr gut auf diese Aufgabe vorbereitet. 

Überwindung der institutionellen Zersplitterung

Georg Tobler, ehemaliger Leiter der Agglomerationspolitik beim Bundesamt für Raumentwicklung und heute selbstständiger Raumplaner und Geschäftsführer der Hauptstadtregion Schweiz, beurteilt die Berner Regionalkonferenzen ebenfalls positiv. Mit ihnen könne die institutionelle Zersplitterung endlich überwunden werden, denn die freiwillige Zusammenarbeit der Gemeinden stosse an Grenzen. In dieser Hinsicht habe man einen grossen Schritt nach vorn gemacht. Die Organisation der Regionalkonferenzen sei zudem relativ schlank und dank Mehrheitsentscheiden auch effizient. Die Agglomerationsprogramme seien nun in die RGSK und damit in ein verbindliches Planungsinstrument eingebettet, während bei Agglomerationsprogrammen in anderen Kantonen die institutionelle Grundlage oft noch wenig gefestigt sei. In Bern sind allerdings die Voraussetzungen dafür günstig, weil die Agglomerationen nur vereinzelt über die Kantonsgrenze hinausreichen. Auch in anderen Kantonen gibt es Bestrebungen, die regionale Zusammenarbeit zu stärken. Laut Bühlmann wurde dies bisher aber nirgends so konsequent umgesetzt wie im Kanton Bern.

Strategie für Agglomerationen und regionale Zusammenarbeit (SARZ)
2001 lancierte der Berner Regierungsrat das Projekt «Agglomerationsstrategie Kanton Bern». Hauptanliegen der Strategie für Agglomerationen und regionale Zusammenarbeit (SARZ) war, die Agglomerationen stärken, ohne den ländlichen Raum zu vernachlässigen. Zu diesem Zweck wurde das Regionalkonferenz-Modell entwickelt. Das Ziel der Regionalkonferenzen ist, die Zusammenarbeit der Gemeinden in wichtigen regionalen Fragen zu vereinfachen, verbindlicher und demokratischer zu gestalten. Die Berner Stimmberechtigten befürworteten die rechtliche Grundlage für die Einführung von sechs Regionalkonferenzen im Kanton Bern in einer kantonalen Volksabstimmung im Juni 2007 deutlich. Die entsprechenden Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen sind am 1. Januar 2008 in Kraft getreten. Sie bilden auch die Grundlage für die Erarbeitung der Regionalen Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzepte (RGSK).

Anmerkungen

  1. Am 24. November 2013 entschieden sich die Gemeinden des Berner Juras mit rund 72% der Stimmen für den Verbleib beim Kanton Bern.
  2. www.jgk.be.ch 
  3. Die Hauptstadtregion hat ihren Ursprung im Raumkonzept Schweiz. Sie zählt neben den drei Metropolitanräumen zu den vier grossstädtisch geprägten Handlungsräumen.
  4. «Boden gutmachen»
  5. www.bernmittelland.ch 
  6. Von den rund 200 identifizierten Schwachstellen in der Region sind 60 prioritäre Massnahmen abgeleitet worden. Über einen regionalen Velo-Richtplan sollen diese in die zweite Generation des RGSK einfliessen. «Velonetzplan für die ganze Region».
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