Auf Zurückhaltung und Vielfalt bedacht
Kantonale Baugesetze
Die Kantone sind verpflichtet, den planerischen Mehrwertausgleich auf Gesetzesstufe einzuführen. Die beschlossenen Vorschriften unterscheiden sich stark; es droht ein föderalistisches Regelsystem. Zwei Ökonomen zeigen die Chancen und Risiken der kantonalen Bestimmungen auf.
Vor fünf Jahren hat das Schweizer Stimmvolk das revidierte Raumplanungsgesetz (RPG) angenommen. Nun gelten präzisere Regeln für den Ausgleich von Planungsvorteilen als im «alten» Gesetz. Grundeigentümer, die ökonomisch von einer Änderung in der Nutzungsplanung profitieren, haben einen Anteil des Mehrwerts an die öffentliche Hand abzugeben – zum Beispiel dann, wenn eine Parzelle neu eingezont oder einer Zone mit höherer Ausnützung zugewiesen worden ist.
Nach wie vor sind die Kantone für den Ausgleich von Planungsvorteilen zuständig. Das revidierte Gesetz legt aber schweizweit fest, dass diese Vorteile mit einem Abgabesatz von mindestens 20 % ausgeglichen werden müssen. Ebenso wird der Verwendungszweck für den Ertrag aus der Mehrwertabgabe präzisiert: Einerseits sind damit Entschädigungen zu finanzieren, falls Planungen zu einer «Eigentumsbeschränkung mit Enteignungscharakter» führen, etwa bei der Rückzonung von Baulandreserven. Andererseits sollen damit raumplanerische Massnahmen unterschiedlicher Art finanziert werden können. Beispiele dafür sind die Aufwertung von Grünflächen oder Massnahmen zur haushälterischen Bodennutzung.
Wertsteigerung ohne eigenes Zutun
Eine Mehrwertabschöpfung lässt sich mit dem Argument rechtfertigen, dass ein öffentlicher Planungsentscheid bei Grundeigentümern zu «Windfall Profits» führt. Ohne eigenes Zutun erhöht sich der Vermögenswert des Grundeigentums. Solche Erhöhungen können sehr deutlich ausfallen: Eine sieben Jahre alte Studie1 kommt für Neueinzonungen auf einen durchschnittlichen Mehrwert von 398 Fr./m2. In urbanen Gebieten kann der Mehrwert aber mehr als das Dreifache dieses Schweizer Durchschnittswerts betragen.
Wie hoch soll die Abschöpfung sein, und wie ist der gesetzliche Mindestsatz von 20 % zu werten? Aus Gerechtigkeitssicht mag man für eine möglichst hohe Abschöpfung plädieren. Dem ist entgegenzuhalten, dass die planerischen Massnahmen, die zum Mehrwert führen, auch im öffentlichen Interesse liegen. Zusätzliche Flächen für Wohnen, Freizeit und Arbeiten ermöglichen eine kommunale und regionale Entwicklung. Zudem sorgen die kantonalen Grundstückgewinnsteuern bereits für eine gewisse Abschöpfung der Gewinne auf ein Grundeigentum.
Höhere Grundstückwerte schlagen sich auch in der Bemessung von Vermögens-, Einkommens- oder Gewinnsteuern nieder. Bei einer sehr hohen Mehrwertabgabe in Kombination mit der Grundstückgewinnsteuer könnte sich ein Hortungsproblem ergeben: Grundeigentümer verlieren das Interesse an einem Verkauf oder an einer Projektrealisierung und gehen dazu über, überbaubare Parzellen zu horten.
Ein Abgabesatz von 20 % mag trotz dieser Abwägungen tief erscheinen. Allerdings sind die Kantone frei, einen höheren Wert festzulegen oder es den Gemeinden zu überlassen, höhere Sätze anzuwenden. Eine aktuelle Übersicht2 der Vereinigung für Landesplanung (VLP-ASPAN) zeigt trotzdem: Viele Kantone übernehmen den Mindestsatz für den Mehrwertausgleich. Nur wenige haben höhere Abgabesätze festgelegt. Die Zurückhaltung der Kantone dürfte dem interkantonalen Standortwettbewerb geschuldet sein: Eine vergleichsweise hohe Mehrwertabschöpfung wird als Gefährdung der Standortattraktivität und der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten betrachtet. Der Mindestsatz auf Bundesebene setzt dem Wettbewerb unter den Kantonen eine Grenze. Und er bewirkt immerhin, dass dem Gerechtigkeitsargument in einem gewissen Umfang und flächendeckend Rechnung getragen wird.
Gestaltungsspielraum für die Kantone
Die Übersicht über die kantonalen Ausgleichsregeln macht gleichzeitig deutlich, wie die Kantone ihren Gestaltungsspielraum nutzen. Die Vielfalt an Lösungsansätzen ist aber nicht als Schwäche des nationalen Raumplanungsgesetzes einzustufen. Vielmehr drückt sie aus, dass die Kantone spezifische, auf ihre konkrete Situation ausgerichtete Lösungen suchen. Die Vielfalt stammt aber auch daher, dass die Mehrwertabschöpfung kein neues Instrument ist. Kantone und Gemeinden greifen schon lang darauf zurück, um spezifische Ziele zu verfolgen, ist der Studie «Mehrwert durch Verdichtung» der Metropolitankonferenz Zürich3 zu entnehmen.
Der Bezirk Küssnacht SZ finanziert aus der Mehrwertabschöpfung zum Beispiel kostengünstigen Wohnraum oder die Stadt Winterthur unter anderem die Gestaltung von Freiräumen. Die Auswertung von zehn solchen Fallbeispielen, bei denen die Mehrwertabschöpfung in urbanen und ländlichen Siedlungsgebieten unterschiedlich verwendet wird, kommt zum Schluss: Mit einem problemlösungsorientierten Einsatz des Instruments sind gute Erfahrungen gemacht worden. Die Umsetzung in der Praxis funktioniert. Die teilweise Abschöpfung von Planungsvorteilen wird als fair betrachtet, was zur Akzeptanz des Instruments beiträgt. Und schliesslich werden die Gestaltungsmöglichkeiten positiv gewertet, die sich aus dem Ertrag aus einer Mehrwertabgabe eröffnen.
Der Gestaltungsspielraum verursacht keinen unerwünschten föderalen Wildwuchs, sondern ermöglicht auf konkrete Ausgangslagen und Anliegen ausgerichtete Lösungen. Die Fallbeispiele zeigen auch eine Vielfalt bei der Abgabenhöhe. Auch hier wird Spielraum ausgerichtet auf die eigenen Anliegen genutzt: Die Bandbreite reicht von Sätzen unter 20 % wie in den Kantonen Aargau, Bern oder Zürich bis zu solchen von 50 % wie in Graubünden, Bern und Basel.
Das revidierte Raumplanungsgesetz verlangt nur bei Einzonungen zwingend eine Mehrwertabschöpfung von mindestens 20 %. Die Kantone sind frei, auch bei Um- und Aufzonungen einen Ausgleich von Planungsvorteilen vorzusehen. Einzelne Kantone haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, andere nicht. Bei Kantonen, die Um- und Aufzonungen nicht einbeziehen, dürften der interkantonale Standortwettbewerb, aber auch raumplanerische Überlegungen eine Rolle gespielt haben: Der Staat verzichtet auf eine Mehrwertabschöpfung, weil Um- und Aufzonungen der Zersiedlung entgegenwirken und damit aus raumplanerisch Sicht explizit erwünscht sind.
Erträge für Kantone oder Gemeinden?
Die meisten Kantone teilen sich die Erträge aus der Mehrwertabschöpfung mit den Gemeinden. Letztere können dank diesem Ertragssplitting erwünschte raumplanerische Massnahmen finanzieren und auch Grundeigentümer bei Rückzonungen entschädigen.
Entschädigungssysteme allein auf kommunaler Ebene sind aber nicht zielführend. In vielen Gemeinden dominiert entweder der Ein- sowie Um- und Aufzonungsdruck, oder sie müssen vor allem Bauzonen redimensionieren. In diesen Fällen kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich auf Gemeindeebene ein Gleichgewicht zwischen Mittelgenerierung und Mittelverwendung einstellt. Vielmehr ist zu empfehlen, dass die Kantone überkommunale Ausgleichssysteme schaffen, damit die raumplanerisch erwünschten und rechtlich mancherorts sogar zwingenden Rückzonungen nicht durch Finanzierungsprobleme behindert werden. Die Kantone könnten ihre Einnahmen aus der Mehrwertabgabe unter anderem für solche überkommunalen Ausgleichssysteme verwenden.
Nur geringe Lenkungswirkung
In der Diskussion um die Mehrwertabgabe wird oft nach der Wirkung auf die Siedlungsentwicklung nach innen gefragt. Dazu ist festzuhalten: Die Mehrwertabgabe ist nicht als Steuerungsinstrument konzipiert worden. Ihre Steuerungswirkung resultiert nicht aus der (beschränkten) Abschöpfung von Planungsvorteilen, sondern indirekt aus der Verwendung der generierten Einnahmen. Mit ihnen können Massnahmen finanziert werden, die sich positiv auf die bauliche Verdichtung auswirken und die sich angesichts knapper kommunaler Finanzhaushalte sonst möglicherweise nicht finanzieren liessen.
Sucht man in der Raumplanung nach griffigen Steuerungsinstrumenten für eine haushälterische Bodennutzung, landet man nicht bei der Mehrwertabschöpfung. Dafür eignen sich planerische Massnahmen oder allenfalls Lenkungsabgaben und handelbare Kontingente besser.4 Die Stärken einer Mehrwertabschöpfung liegen darin, einen Ausgleich zwischen privaten und öffentlichen Interessen zu schaffen. Die Abgabe soll dafür sorgen, dass Ergänzungsmassnahmen für die räumliche Verdichtung finanziert werden können.
Anmerkungen
- Konzepte zur Bauzonenverkleinerung – Abklärung der monetären Folgen und der Wirksamkeit von vier verschiedenen Konzepten. Studie im Auftrag des Bundesamts für Raumentwicklung 2011.
- Mehrwertausgleich in den Kantonen; Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN, Stand Januar 2018
- Mehrwert durch Verdichtung; Metropolitankonferenz Zürich 2013.
- Wege zu einer nachhaltigen Bodenpolitik, Thematische Synthese 5 des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68); Ecoplan 2018 (noch nicht veröffentlicht).
Was das Gesetz verlangt
Die meisten Kantone haben es bereits getan; elf Stände sind noch säumig, die neue Regelung verbindlich einzuführen. Am 1. Mai 2019 läuft die Frist des Bundes allerdings ab, den Mehrwertausgleich für die Nutzungsplanung in den kantonalen Bau- und Planungsgesetzen einzuführen. Artikel 5 des revidierten, nationalen Raumplanungsgesetzes (RPG) hat aus der früheren «Kann»-Regelung ein Obligatorium gemacht: Die Höhe der öffentlichen Abgabe muss mindestens 20 % des Planungsmehrwerts betragen. Dieser ergibt sich für Landeigentümer, wenn die Parzelle als Bauzone ausgewiesen wird respektive darauf eine höhere Ausnützung gestattet ist. Die Abgabe wird als Teil des Baubewilligungsverfahrens geregelt und ist vor dem Start einer Projektrealisierung fällig. Als Verwendungszweck sieht das RPG (Artikel 3) insbesondere «landschafts- und kulturlandschonende» Massnahmen vor. (Paul Knüsel)