The Day­light Award 2018: Licht und Zeit

Hiroshi Sambuichi ist Preisträger des Daylight Award 2018. In seiner Heimat Japan ist er vor allem für seine Werke in Hiroshima und auf der Museumsinsel Naoshima bekannt. Im Gespräch mit unseren Kollegen von Tracés verrät er, was für ihn eine nachhaltige, feinfühlige und in ihrer Umgebung verankerte Architektur ausmacht: Es ist die Zeit.

Publikationsdatum
25-11-2018
Revision
26-11-2018

Tracés: Herr Sambuichi, gleich nach Ihrer Ankunft in der Schweiz sind Sie zur Therme Vals gereist. Was haben Sie dort angetroffen?

Hiroshi Sambuichi: Leider konnte ich nicht wie geplant nach Vals fahren. Weil ich aber unbedingt etwas Ähnliches wie die traditionellen japanischen Thermalbäder, die Onsen, erleben wollte, besuchte ich das Thermalbad Val-d’Illiez im Wallis. Es war herrlich, in der wunderschönen Umgebung zu baden. Danach fuhr ich durch den Jura und bis nach Ronchamp. Mit dem Auto durch die Schweiz zu fahren war ein aussergewöhnliches Erlebnis. Ich konnte die Landschaften, Seen und Flüsse und vor allem die Bewegung des Wassers durch das Land beobachten.

Es heisst, Sie würden zwei bis drei Jahre nachdenken, bevor Sie mit einem Projekt überhaupt anfangen. Wie überzeugen Sie Ihre Kunden davon, Ihnen im heutigen wirtschaftlichen Umfeld so viel Zeit zu lassen? Plädieren Sie für mehr Langsamkeit?

Tatsächlich ist das das Erste, was ich einem potenziellen Kunden sage, wenn er auf mich zukommt: Ich brauche zwei Jahre Zeit für meine Untersuchungen, bevor ich mit dem Projekt beginne. Das ist die Grundvoraussetzung. Um das Beste aus einem Standort herauszuholen, muss man ihn von Grund auf kennen. Das ist letztlich auch im Interesse des Kunden. Wenn er versteht, dass das notwendig ist, kann er nur profitieren.

Das Gebot der Verlangsamung ist tatsächlich ein Teil der Botschaft, die ich vermitteln möchte. Ich möchte, dass die Menschen verstehen, dass eine tief in ihrer Umgebung verankerte Architektur nur dann entstehen kann, wenn man alle vorhandenen Kräfte im Detail kennt. Dann braucht es noch einmal Zeit, um dieses Wissen zu verinnerlichen und darüber nachzudenken. Handelt man übereilt, kann das in die Irre führen. Eine Zeit der Konzentration ist unerlässlich, um für jede Situation die angemessene Lösung zu finden.

Sie verstehen Architektur also nicht nur als bauliche Praxis, sondern auch als eine Art von Wissen?

Meine Art, Architektur zu praktizieren, gleicht dem Anbau von endemischen Pflanzenarten, die nur unter ganz bestimmten Bedingungen in einer spezifischen Umgebung gedeihen. Ich würde die Architektur als endemische Pflanze bezeichnen. Diese Pflanzen entwickeln sich in Abhängigkeit von den Bewegungen von Sonne, Wind und Wasser. Auch die Menschen sind zutiefst abhängig von diesen Elementen, und die Architektur muss sich auf der Grundlage dieser Faktoren entwickeln.

Was verstehen Sie unter einer «Architektur der beweglichen Materialien»?

Architektur beschäftigt sich in erster Linie mit beweglichen Materialien wie Luft, Wasser und Sonnenlicht. Die Menschen brauchen im Grunde keine Bauwerke, sie brauchen das richtige Mass von diesen beweglichen Materialien. Sie brauchen keine Fenster, sondern irgendeine Vorrichtung, einen Filter, der das Sonnenlicht nach innen bringt und die Luft draussen lässt. Das gilt für alle baulichen Details: Ein Dach ist zuallererst eine Vorrichtung, die Regenwasser ableitet. Es sind also die beweglichen Materialien, die der Architektur Form geben und bestimmte Lebensbedingungen für die Bewohner schaffen.

Ihre Werke orientieren sich aber auch stark an der jeweiligen lokalen Bautradition. Wie integrieren Sie regionales Handwerk in Ihre Arbeit?

Die meisten meiner Werke sind in der Region Hiroshima entstanden. Eine Ausnahme ist die Installation, die ich letztes Jahr in Kopenhagen geschaffen habe (Anm. der Redaktion: der Pavillon «The Water» im Zisternen-Museum). In allen anderen Fällen habe ich nur mit den Bedingungen der Region gearbeitet, die ich kenne. Es ist wichtig, dass auch die Handwerker, die den Bau ausführen, ein tiefes Verständnis für die natürlichen Ressourcen der Region Hiroshima mitbringen. Die Zimmermänner beispielsweise müssen tief in der Umgebung verankert sein.

Ihre Projekte sind durch einen engen Bezug zur Natur und zur Landschaft gekennzeichnet. Wie bauen Sie im städtischen Umfeld?

Ab welcher Grösse ist eine Ortschaft eine Stadt? Ich habe ein Projekt im Zentrum von Hiroshima umgesetzt, eine Aussichtsplattform auf demHiroshima Orizuru Tower, einem Hochhaus, das direkt neben der Atombombenkuppel steht. Das Projekt bringt einige Schönheiten der Stadt zur Geltung, die aufgrund der Geschichte, für die sie steht, vielleicht vergessen gegangen sind. In der Edo-Zeit war Hiroshima eine wunderschöne Stadt, die stark von ihren «beweglichen Materialien», vor allem von Wind und Wasser, geprägt war. Die Gezeiten und die Windrichtungen folgen einem konstanten, unverrückbaren Rhythmus. Vor gut 70 Jahren ist bekanntlich etwas Schreckliches passiert, und die Menschen haben das Gefühl, dass etwas für immer zerbrochen sei. Doch ein Jahr nach der Katastrophe begannen die Pflanzen wieder zu wachsen. Ich habe versucht, die Schönheit Hiroshimas zu zeigen, indem ich mich auf die Materialien konzentrierte, die für mich die besondere Natur dieser Stadt ausmachen.
 

Weitere Beiträge zum Daylight Award 2018: 
Daylight Award 2018: Die Gewinner
Daylight Award 2018: Kontemplation und Computation​

Verwandte Beiträge