Das Bro­cken­haus-Quar­tier

Ein übergeordnetes Regelwerk und der Planungsdialog waren zur Vereinheitlichung der 13 Wohnhäuser auf dem Hunziker-Areal gedacht. Dennoch ist die Gebäudemorphologie äusserst heterogen und autonom ausgestaltet worden.

Publikationsdatum
26-03-2015
Revision
06-10-2015

Die Besichtigung des Hunziker-Areals zwischen den Sunrise-Towern und der KVA Hagenholz kann irritierende Wirkung haben: An der Grenze zwischen Oerlikon und Schwamendingen entsteht gerade die grösste autoarme Siedlung der Schweiz. Doch weil dies noch einige Wochen dauern wird, versperrt anstelle eines (hoffentlich) gut organisierten Velodschungels eine Vielzahl von Pkw und Lieferwagen mögliche Flanierwege durch das Quartier respektive die Sicht auf ein frisch herausgeputztes Architekturensemble.

Selbst beim Blick über die Sockelgeschosse der neuen Häuser hinaus löst sich die Irritation nur bedingt auf. Das gemeinsame Wirken von fünf Architekturbüros hat einen bunten Reigen aus unterschiedlichsten Fassaden in ebenso vielen Farb-, Gestaltungs- und Konstruktionsvarianten hervorgebracht. Die Wohnhäuser selbst treten zwar fast einheitlich ­dimensioniert als brockenmässige Baukörper auf, ihr Ausdruck wirkt jedoch so breit assortiert wie das ­Mobiliar einer städtischen Brockenstube. Neben stil­echten Reproduktionen füllen zeitlose Kommoden, sperrige Prototypen und auch Dutzendware das Hunziker-Areal.

Mehr als nur eine Assoziation verweist auf Merkmale der Reformarchitektur1; ebenso sind Fragmente der klassischen Moderne oder romantisierende Elemente aus der Schweiz und Italien zu erkennen. Und während einzelne Häuser in bester Absicht urbane Coolness oder Grossbürgerflair verbreiten, schmücken sich andere mit alpinem Kolorit. Eine stimmige formale Klammer für die aussergewöhnliche Gebäudedimen­sion zu finden, scheint keine einfache Aufgabe gewesen zu sein. Doch zu viele Nachbarn leiden unter der zusammenhanglosen Vielfalt und wirken bemerkenswert farb- und eigenschaftslos.

Das Panoptikum der 13 verschiedenen Brockenhäuser wird vom Sichtbetonwürfel (pool Architekten) am Hunziker-Platz angeführt. Seine Vorzeigefront ist kahl und streng, trotz der an das Computerspiel Tetris erinnernden Fensterbemusterung. An der Nordflanke folgt ein siebenstöckiges Gebäude mit Holzfassade und umlaufender Balkonschicht (Müller Sigrist): Zusätzlichen Kontrast sollen die vertikalen Metallspaliere – nach erfolgter Begrünung – schaffen. Nach Süden und Westen runden pastell-dezente Bauzeilen das Gebäudeensemble um den Hunziker-Platz ab: Erst die stadtvillenartigen Häuser (Šik) und die Wohnmaschine (Duplex) sorgen für eine Beruhigung der Quartiermorphologie. An peripherer Lage tauchen damit verwandte Häuser sowie zurückhaltende Stadtparkhäuser (Futurafrosch) auf.

Doch je weiter weg vom Zentrum, umso schwerer fällt ihnen ihrerseits der selbstbewusste Auftritt: Zum einen ist der Abstand für eine angemessene Panoramabetrachtung verkürzt; zum anderen fehlt ein Gegenüber, das als gestalterischer Sparringspartner dient. Etwas aus der Balance zu fallen, droht der Häuserdialog dort, wo das kleinste Gebäude auf dem Areal, das Holzhaus mit Laubengang und Schindelfassade, die kalte Kehrseite des Dämmbetonhauses zu spüren bekommt. Erstaunlich dabei ist, dass beide Häuser aus derselben Architekturküche stammen. Zu loben ist die Absenz einer in vielen Neubauquartieren grassierenden Beliebigkeit sowie einer autistischen Architektur. Trotzdem hätte ein «Weniger ist mehr» dem Hunziker-Areal urbaneren Charakter verliehen und wäre der selbst formulierten Analogie zum Idaplatz gerechter geworden.

Standörtliche Unentschlossenheit

Was die Verortung der Häuser zwischen Grossstadt und Agglomeration ebenfalls erschwert, ist die heterogene Fassadenstruktur: Zwar werden fast durchwegs französische Fenster mit innerstädtischer Ausstrahlung gewählt, was unter anderem dem Lichteinfall in die tiefen Wohnräume förderlich ist. Demgegenüber entlarven herausgezogene Balkonschubladen und auskragende Balkonschichten eine standörtliche Unentschlossenheit. Die Gemeinschaftsterrassen über dem ersten oder zweiten Sockelgeschoss sind jedoch geschickt gesetzte, privilegierte Emporen im Quartier.  

So subjektiv sich die Wohnhäuser präsentieren, so verschiedenartig sind ihre Konstruktionsmerkmale. Der Betonfindling ist eine «monolithische» Konstruk­tion aus Wärmedämmbeton. Zwei Ge­bäude wurden mit einwandigem Mauerwerk aus innengedämmten Backsteinen erstellt. Zwei weitere sind Vertreter des mehrgeschossigen hybriden Holzbaus. Und der Rest besteht aus konventionellem Mauerwerk mit verputztem Wärmedämmverbundsystem.

Was trotz grosser Vielfalt in Gestaltung und Bautechnik für alle äusserst kompakten Häuser fast gleich gut funktioniert, sind der hohe Energieeffizienzstandard und das Bemühen, ökologisch-rationell zu bauen. Die Bilanzwerte aus dem Vorprojekt weisen darauf hin, dass sowohl der Aufwand für den Heizenergiebedarf als auch derjenige für die graue Energie gering sind. Eine Verifizierung der Kenngrössen steht noch aus; ein vom Bund mitfinanziertes Evaluationsprojekt soll in den nächsten Jahren zusätzliche Daten aus dem Betrieb liefern.

Anmerkung

  1. Wohnqualität als Reformarchitektur, Vortrag von Miroslav Šik, Professor für Architektur und Entwurf, Departement Architektur, ETH Zürich, ETH-Wohnforum 2007.

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