Aus­ge­zeich­ne­tes In­ge­nieur­hand­werk

Die fünfte Verleihung der Building-Awards stand im Zeichen der nachhaltigen Entwicklung. Sie würdigte die diesbezüglichen Leistungen von jungen Berufsleuten und Meistern ihres Fachs. Hermann Blumer durfte die erstmals verliehene Auszeichnung für das Lebenswerk eines Ingenieurs entgegennehmen.

Publikationsdatum
15-06-2023

Was es konkret bedeutet, die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung umzusetzen, erörtern derzeit allenthalben Politiker, Wissenschaftlerinnen und Experten. Wenn es jedoch um die Festlegung verbindlicher Massnahmen geht, werden sich diese Exponentinnen und Exponenten selten einig. Dabei genügt ein Blick in die gebaute Umwelt, um förderliche Ansätze zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO zu erkennen; eine Leistung, die bilding, die Schweizerische Stiftung zur Förderung des Ingenieurnachwuchses im Bauwesen mit der Verleihung des Building-Awards nun zum fünften Mal prämiert.

Neben diesen globalen Nachhaltigkeits­zielen legte die Jury dem Wettbewerb die von der OECD und dem Bund definierten Nachhaltigkeitskriterien zugrunde und verlieh Auszeichnungen in den sechs Kategorien «Hochbau», «Infrastrukturbau», «Ener­giesysteme und Gebäudetechnik», «Forschung und Entwicklung, Start-ups», «Young Professionals» und «Nachwuchsförderung im Bereich Technik». Zudem vergab die Jury erstmals den «Lifetime Award» zur Würdigung des Lebenswerks eines Ingenieurs

Ein Spitalschiff in genossenschaftlichen Gewässern

In der Kategorie «Hochbau» waren Projekte mit neuartigen, eleganten oder bestechenden statischen Lösungsansätzen gesucht, die zugleich ökologischen und ökonomischen ­Forderungen gerecht werden. Ex post scheint es naheliegend, dass in dieser Kategorie ein Sanierungs­projekt zur Umnutzung eines Bestandsgebäudes ausgezeichnet wurde. Dieser Umstand schmälert aber keineswegs die Leistung der Inge­nieure von Dr. Lüchinger + Meyer, die hinter der Umnutzung des Felix Platter-Spitals stehen. Der im Volksmund «Schiff» genannte Stahlbetonbau aus den 1960er-Jahren mit den beein­druckenden Hauptabmessungen von 100 m × 20 m × 35 m genügte trotz zweier Instandsetzungen in den Jahren 1999 und 2011 jüngst nicht mehr den aktuellen Anforderungen an ein Krankenhaus; dies ermöglichte eine Umnutzung für Wohnzwecke.

Durch gezielte Eingriffe der Tragwerksplaner gelang es, hinter der denkmalgeschützten Aussenansicht gesamthaft 130 Wohnungen und rund um das zwei­geschossige Foyer öffent­liche Nutzungen unterzubringen. Unter dem Motto «umnutzen statt abbrechen» blieben rund 8000 m³ Beton des Tragwerks erhalten und der Rohstoffverbrauch insgesamt in einem reduzierten Ausmass.

Bei der Umnutzung des Felix Platter-Spitals lobte die Jury insbesondere den intelligenten Umgang mit dem Bestand. Sie honorierte das Projekt als brillantes Beispiel dafür, wie sich durch hohe Ingenieurbaukunst im Zusammenspiel mit Ar­chitektur und Denkmalpflege den oft gegensätzlichen Ansprüchen an die Verdichtung und den Erhalt von identitätsstiftenden Bauten synergetisch Rechnung tragen lässt.

Licht und Luft für die Forschung

In der Kategorie «Infrastrukturbau» zeichnete die Jury in der Vergangenheit jeweils Verkehrs- beziehungsweise Langsamverkehrsinfrastrukturen aus. Angesichts der Nomi­­na­tionen hätte auch dieses Jahr ­wieder eine Brücke oder eine Personenunterführung das Rennen machen können. Schliesslich war es aber das Hangsicherungstragwerk des Teams von Basler & Hofmann für das Forschungs- und Laborgebäude GLC der ETH Zürich, das in einen 20 Meter tiefen Hangeinschnitt am Zürcher Gloriarank gebaut wurde.

Die Bestandssituation oberhalb des Einschnitts liess keine permanente Verankerung zu, wodurch ein schweizweit ein­-ma­liges Bauwerk entstand: eine ­bo­genförmige Segmentmauer aus Ort­beton mit 15 Einzelbögen, die die einwirkenden Kräfte über gesamthaft 14 senkrecht zum Hang angeordnete Schlitzwände in den Fels­untergrund einleiten. Nebenher dient die Architektur des vom eigentlichen Gebäude baulich komplett entkoppelten Hangsicherungstragwerks mit Bogenwölbung und Hinterlüftung einerseits der Lichtzufuhr in die unteren Geschosse der Forschungsstätte und andererseits als Klimaregister.

So anerkannte auch die Jury das Bauwerk insbesondere als hochwertige technische Lösung mit zusätzlichen, intelligenten Funktionen und ästhetischer Qualität. Sie sah es als Beweis dafür, dass Ingenieure regelmässig zu aussergewöhnlichen Leistungen imstande sind und deren Berufsausübung vielfältiger nicht sein könnte.

Geschickt vernetzt

Die Nomination von drei sehr unterschiedlichen Projekten in der Kategorie «Energiesysteme und Gebäudetechnik» stand genauso selbstredend für die Breite der Ingenieurtätigkeiten auf diesem Gebiet. Das ausgezeichnete Projekt zur ener­getischen Vernetzung des tuwag-Areals in Wädenswil zeigte ferner, welche Hebelwirkung solche Pro­jekte in Sachen Nachhaltigkeit entfalten. Das unweit des Seeufers ge­le­gene ehemalige Industrieareal beherbergt mittlerweile Forschungs-, Büro- und Wohngebäude. Mit den Plänen zur nachhaltigen Weiterentwicklung galt es, für das Areal ein Energieversorgungskonzept zu erarbeiten und mit dessen Umsetzung den Weg zum 2000-Watt-Areal-­Label zu ebnen.

Dies gelang dem Ingenieurbüro Kalt + Halbeisen ei­ner­seits mit einer baulichen Weiterentwicklung, andererseits mit einer Vernetzung der Gebäude mittels Holznahwärmeverbund, Absorp­tionskälte, Niedertemperaturschiene und Photovoltaikanlagen. Die Jury sah in der Arealvernetzung ein Musterbeispiel dafür, wie einem alten Industrieareal erfolgreich neue Nutzungen zugeführt werden können und wie sich mit nachhaltiger Energieerzeugung unter Beachtung der historischen Architektur Tradition und Innovation harmonisch vereinen lassen.

Innovation dank altem Handwerk

Der Preisträger in der Kategorie «Forschung und Entwicklung, Start-ups» leistet eine Innovation auf der Basis einer jahrtausendealten Technik: der Weberei. Dank einem hochflexiblen Textil aus rundgewebten synthetischen Fasern werden die natürlichen und regulatorischen Grenzen herkömmlicher Erdwär­mesonden überwunden. Anstelle von parallelgeführten, u-förmigen Kunststoffrohren mit zementöser Bohrlochhinterfüllung und einem Glykol-Wasser-Gemisch als Trägerflüssigkeit kommt das neue Prinzip von TTS Inova mit koaxialer Sonde ohne Hinterfüllung und reinem Trinkwasser als Medium aus.

Durch den Wasserinnendruck schmiegt sich die elastische Schlauchkon­struktion mit lebensmittelkonformer Silikonbeschichtung direkt an das Bohrloch an, verhindert so einen allfälligen hydraulischen Kurzschluss zwischen unterschiedlichen wasserführenden Schichten im Boden und ermöglicht folglich einen Einbau in Gebieten mit Grundwasservorkommen. Weitere Vorteile gegenüber herkömmlichen Sonden sind grössere Einbautiefen (bis zu 500 m) und eine Reduktion des Wärmeverschmierungseffekts.

Für die Jury steht das Projekt für «swissness at its best» und als Beweis für die Innovationskraft Schweizer KMU. In diesem Sinne hebt sie auch die Zusammenarbeit des in der Textilindustrie tätigen Unternehmens mit einer Bohrunternehmung, einem Geologen und einem Heizungsunternehmen hervor und bezeichnet die Entwicklung als echte Innovation mit weltweiter ­Skalierbarkeit.

An der Grenze des technisch Machbaren

Mit dem Award für «Young Professionals» werden herausragende, bemerkenswerte oder innovative Projekte von Ingenieurinnen und Ingenieuren, die maximal 32-jährig sind oder ihre Tätigkeit seit höchstens fünf Jahren ausüben, ausgezeichnet. Ihnen wird zuerkannt, ihr Berufsfeld in Zukunft positiv zu beeinflussen.

Als Siegerin ging Lea Bressan von Basler & Hofmann mit ihrem Projekt zur ersten Etappe des ewz-Areals Herdern in Zürich hervor. Sie war vom Bauprojekt bis zur Ausführung als Projektinge­nieurin und stellvertretende Pro­jektleiterin verantwortlich für den ­Neubau eines Zentrallagers sowie zahlreiche bauliche Massnahmen an kleineren Objekten. Das Zentrallager – ein Stahlbetonbau mit Holzfassade und Sichtbetonwänden im Innern – befindet sich auf engsten Platzverhältnissen zwischen zwei Bahn- und einer Strassenbrücke und besteht zur Mehrheit aus vorfabrizierten Elementen, die in ihren Dimensionen an die Grenzen der technischen Machbarkeit stossen; so beispielsweise die elf 57 t schweren, 32 m langen und 2.30 m hohen Deckenträger oberhalb des Erdgeschosses. Für den Ortbeton kamen dort, wo es zweckmässig war und die technischen Anforderungen es zuliessen, Recyclingbeton und CO2-reduzierter Zement zum Einsatz. Für die Jury war Lea Bressan «die Heldin der Baustelle», die auf beeindruckende Weise und mit technischer Exzellenz der Komplexität des Projekts begegnete und die anspruchsvollen Abläufe koordinierte.

Spielerische Nachwuchsförderung

Für die Nachwuchsförderung in der Branche setzt sich auch der ge­mein­nützige Verein drumrum Raumschule in Basel ein. Er ermöglicht Kindern und Jugendlichen, die gebaute Umwelt mit allen Sinnen wahr­zunehmen und sensibilisiert sie für das Thema Baukultur. Für das Veranstaltungsangebot unter dem Motto «Mädchen bauen Zukunft mit!», erhielten die Teammitglieder die Auszeichnung in der Sparte «Nachwuchsförderung im Bereich Technik». Die Wanderausstellung «Queens of Structure», die nach Berlin und Dresden in Basel auf dem Theaterplatz gezeigt wurde, ergänzte das Angebot. Der Verein ermöglichte interessierten Mädchen auf einer Führung durch die Ausstellung einen Einstieg ins Thema Bau­ingenieurwesen und anlässlich des Nationalen Zukunftstags einen Einblick in den Arbeitsalltag einer Zeichnerin, einer Studentin und einer praktizierenden Ingenieurin. Höhepunkt der Förderveranstaltung war ein Workshop, bei dem die teilnehmenden Mädchen eigene Brücken aus Papier bauten.
Die Wanderausstellung «Queens of Structure» und das Veranstaltungsangebot der drumrum Raumschule wirken aus Sicht der Jury doppelt dem Fachkräftemangel entgegen, indem sie mit einem professionellen Gesamtpaket die Bauingenieurwissenschaften zugänglich und weibliche Vorbilder im Beruf sichtbar machen.

Lebenswerk eines Holzbaupioniers

Einer, den man in Bauingenieurkreisen kaum vorstellen muss, ist Hermann Blumer. Mit einer Fülle an herausragenden Bauwerken und technischen Entwicklungen steht er wie kaum ein anderer für den Fortschritt und die damit zusam­menhängenden Veränderungen der ­Formensprache im Holzbau. Der Appenzeller Tüftler ist ein Pionier bezüglich digitaler Planungs- und Fertigungsmethoden und hat massgeblich dazu beigetragen, dass der Holzbau heute Aufgaben bewältigt, die man vor wenigen Jahrzehnten als unlösbar betrachtete. «Hermann Blumer verkörpert den Ingenieur so wie er sein soll: Er erfindet Dinge und bringt sie zum Fliegen», so die Jury. Sie würdigt sein Schaffen, das dem Holzbau stets neuen Schub verlieh und Tragwerke mit neuen Konzepten und noch nie dagewesenen Spannweiten ermöglichte.

Auszeichnungen als Zeichen für die Zukunft

Die Veranstalter des Building-Awards bleiben ihrem Credo treu, dass Ingenieurinnen und Ingenieure, Planerinnen und Planer eine passende Lösung für jede Herausforderung finden. Die ausgezeichneten Projekte, Personen und Organisationen – und natürlich auch alle übrigen Nominationen – zeigen, wie die Branche tatkräftig an der Umsetzung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung arbeitet und so wichtige Zeichen für die Zukunft setzt.

Mit dem Building-Award bewertet und prämiert die Stiftung bilding zusammen mit den Trägerverbänden Infra Suisse, suisse.ing und der SBV alle zwei Jahre herausragende, besonders bemerkenswerte und innovative Ingenieurleistungen am Bau.


Weitere Informationen unter: www.building-award.ch

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