Hang zur Tech­nik, Hang zur Me­di­zin

Zürichs Hochschulen haben für das Hochschulquartier im Zentrum einen Masterplan. Als weiterer Neubau glänzt nun das GLC-Gebäude der ETH von Boltshauser Architekten mit seinen Glasbausteinen am Zürichberg. Das steile Gelände kommt dabei sogar der Lüftungstechnik zugute.

Publikationsdatum
02-09-2022

Gesund alt werden – aufgrund dieses Menschheitstraums nimmt die Medizin schon immer eine Sonderstellung ein. Und nicht erst seit der Corona-Pandemie ist klar, welch immense wirtschaftliche Interessen in diesem Markt vertreten sind. Es lässt sich ordentlich Geld verdienen mit der Gesundheit – und dabei natürlich auch Prestige erwerben. Da ist es nachvollziehbar, dass renommierte Hochschulen und Universitäten daran teilhaben wollen – immerhin winken in der Medizin auch Nobelpreise.

Der Stellenwert, den wir der Medizin einräumen, zeigt sich nicht zuletzt im Masterplan Hochschulgebiet Zürich Zentrum. Die ETH Zürich, die Universität und das Universitätsspital stellen sich an ihren Standorten am Zürichberg neu auf. Die Nutzflächen sollen vergrös­sert werden, Lehre, Forschung und Anwendungen weniger weit über das Gebiet verstreut sein, und nicht zuletzt soll eine verbesserte Neuordnung des Quartiers entstehen. Zukünftig stehen daher sehr grosse Baumassnahmen an, sowohl Neubauten als auch Sanierungen.

Gebäude an der Schnittstelle

Mit dem Neubau des GLC-Gebäudes ist nun ein weiterer Schritt auf dieses Ziel hin getan. Das imposante, 110 m lange Gebäude – GLC steht nicht für Gesundheit, Lehre oder Center, sondern ganz profan für Gloriastrasse Gebäude C – besetzt die Schnittstelle zwischen Hochschulquartier und nobler, alteingesessener Wohn­bebauung am steilen Hang des Zürichbergs. Und auch sein Auftrag – Lehre und Forschung – ist an einer Schnittstelle zwischen Gesundheitswissenschaften und Technologie angeordnet.

Sehr unterschiedliche Themengebiete können in dem Gebäude abgehandelt werden. Neben etlichen Laborplätzen gibt es Speziallabore, und im Kellergeschoss stehen Durchleuchtungsapparate zur Verfügung, die den Menschen bei natürlichen Bewegungsabläufen aufnehmen können.

Daneben beherbergt das GLC natürlich Büros für die Lehrstühle der ETH Zürich und eine Mensa. Bevor all dies aber entstehen konnte, musste die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) weichen und am Campus Hönggerberg ihren neuen Standort beziehen. Wo früher Wasserbau, Stauanlagen und Gletscher erforscht wurden – der Sohn Albert Einsteins war hier schon angestellt –, erinnert heute, wenn man so will, die interessante Hangverbauung entfernt an eine Staumauer. Nur hält sie keine Wassermassen zurück, sondern dem Erddruck des angeschnittenen Hangs stand. Bevor dieses imposante Bauwerk jedoch seine Funktion übernahm, stand erst einmal die grosse Aufgabe der Baugrubensicherung an.

Monumentale, aber temporäre Baugrube

Das GLC-Gebäude weist sieben Stockwerke auf – allerdings bergseitig nur zwei überirdisch. 27 m in die Tiefe reichte die Baugrube, um es in den Hang einzufügen. Als ungünstig geschichtet erwies sich das anstehende Locker­gestein in der Baugrube. Es setzt sich aus künst­lichen Auffüllungen, lockerer und dichter Moräne und oberer Süsswassermolasse zusammen – bei einem Eingriff hätte sich ein Schubladeneffekt einstellen können. Es bestand die Gefahr eines Abrutschens der Gesteinsschichten. Die Lösung brachte eine ausgefachte, im Hang verankerte Bohrpfahlwand

70 cm betrug der Bohrpfahldurchmesser mit einem Achs­abstand von etwa 2.35m. Die Ausfachungen waren 25 bis 70 cm stark. Direkt durch die Bohrpfähle geführte, bis zu 1000 kN vorgespannte Litzenanker im vertikalen Abstand von 2.1m mit Längen bis zu 50 m verankerten die Wand im Hang. Es waren bis zu zwölf Lagen übereinander erforderlich. Wo keine Verankerung aufgrund eines vorhandenen Medienkanals möglich war, ordneten die Ingenieure bis zu 18 m lange Stahlspriesse und Longarinen an – horizontale Träger, die an der Luftseite entlang eines Verbaus angeordnet sind. Diese übertrugen die aufzunehmenden Kräfte auf eine tiefer gelegene Bohrpfahlwand.

Beim Anschluss an den Bestand des geschützten, nun zentral gelegenen Paul-Scherrer-Hörsaals galt es die unterschiedlichen Höhen der Fundierung zu überwinden: Die bestehenden Streifenfundamente des Hörsaals lagen 15 m oberhalb der Gründung des GLC-Neubaus. Mit Pfeilern und Riegeln wurde die Bestandsbaute unterfangen und auf 25 m tiefe Mikropfähle neu fundiert.

Die Hangsicherung hat es in sich

Noch spektakulärer entwickelte sich das heute sichtbare Hangsicherungstragwerk, das nun die Stützfunktion der temporären Baugrubenverbauung übernimmt.

Die Bauherrschaft wollte auf eine permanente Verankerung im Hang verzichten. Die langen Anker hätten unterirdisch in die oberhalb gelegenen Nachbargrundstücke hineingeragt. Daher mussten die Ingenieure eine anders geartete Lösung der Lastabtragung vorschlagen. Herausgekommen ist ein schweizweit einzigartiges Bauwerk, in dem neben der Tragfunktion auch gleich noch ein Teil der Lüftungstechnik integriert ist.

Eine bogenförmige Segmentmauer überträgt nun die Lasten aus dem Hang auf vorgespannte, senkrecht zum Hang angeordnete, in den Baugrund eingelassene Schlitzwandscheiben. Die Dimensionen dieser Bauteile sind beeindruckend. Sichtbar sind heute die 18 m hohen, mit Muschelkalk vorgemauerten Segmentbögen. Insgesamt ereicht das Bauwerk aber eine Tiefe von 44 m ab Oberkante. Allein die Bewehrungskörbe der Schlitzwände haben Abmessungen von 25 × 10 m. Damit sie beim Aufrichten von ihrer horizontalen Anfertigungsplattform nicht knickten und ihr Form beibehielten, war der Tisch neigbar ausgeführt. So konnten sie an einen Raupenkran angehängt werden.

In den statisch nicht beanspruchten Zonen des Hangsicherungstragwerks verlaufen die Lüftungskanäle der Aussenluft für das Gebäude. Sie sind sowohl von oben her über einen Schacht als auch aus dem Gebäude heraus für Kontrollen, Reinigung und den Unterhalt zugänglich. Die Führung nach unten entlang des Hangs und die unterirdische Einleitung in die Kellergeschosse des GLC temperieren die Luft vor. Dieses alte Prinzip eines «Luftbrunnens» soll die zentrale Gebäudelüftung, die im Kellergeschoss des GLC untergebracht ist, wirksam unterstützen. Ein weiterer Vorteil dieser Hangverbauung liegt auf der Hand: Durch das Lösen des Gebäudes aus dem Gelände erhalten die nordseitigen Räume Tageslicht.

Glasbausteine in neuem Licht

Verwebt sich bei der Lüftungstechnik eine alte Technik mit heutigem Lüftungskomfort, greift dieses Prinzip bei der Fassadengestaltung in puncto Material. Glasbausteine hatten ihre grosse Zeit in den 1960er- und 1970er-Jahren. Nachdem die energetischen Anforderungen an ein Gebäude stets wuchsen, kamen sie aus der Mode. Beim GLC bekommen sie jedoch einen prominenten Platz. In der Höhe abwechselnd mit einer Festverglasung bilden sie die äussere Hülle der prägnanten Doppelfassade. An den Brüstungen respektive im Bereich der Decken kommen die Elemente mit Glasbau­steinen zum Einsatz, vor den Lichtbändern sitzt die Festverglasung.

Die Fenster – sie sind in der inneren thermischen Gebäudehülle integriert – bestehen aus schmalen und breiten Drehflügeln. Nur vor den breiten Flügeln ist die Festverglasung der äusseren Hülle montiert, sodass die schmalen Fenster stets händisch geöffnet werden können. Die grossen Drehflügel lassen sich jedoch zu Reinigungszwecken oder für Unterhaltsarbeiten öffnen – schliesslich befinden sich im Luftraum der Doppel­fassade auch die Sonnenschutzjalousien. Den oberen Raumabschluss bilden unterhalb der Beton­decken Kippflügelfenster, die durch die dort vorgesetzten Glasbausteine interessante Lichtstimmungen in den Raum einbringen.

Der Zwischenraum der Doppelfassade kann an der Brüstung der darüber liegenden Geschosse, also hinter den Glasbausteinen, jeweils durch ausfahrende Brandschutzklappen geschlossen werden. Nach unten hin ist dieser Luftraum immer offen. Im Sommer sind die Brandschutzklappen eingefahren, sodass sich in der Hinterlüftungsebene ein Kamin­effekt einstellen kann. Die warme Luft kann so nach oben abziehen.

Im Winter sollen die Brandschutzklappen jedoch ausgefahren sein. Ein jährlicher Test dieser Anlagen ist sowieso nötig, sodass dieser damit gleich abgedeckt wird. Da sich die vielen Klappen automatisch betreiben lassen, ist der Aufwand des Schliessens respektive Öffnens gering. Bei geschlossenen Klappen soll sich aufsteigende, hinter der Festverglasung von der Sonne erwärmte Luft im Zwischenraum der Doppelfassade stauen und als Wärmepuffer wirken. Inwiefern sich dieser Effekt einstellt, darüber sollen zukünftige Messungen an der Fassade aussagekräftige Werte liefern.

Glasbausteine auch im Innern

Laut Armin Baumann von Boltshauser Architekten sind im Innern des GLC etwa so viele Glasbausteine verbaut wie an der Fassade. In Wänden, Brüstungen, im Dach und sogar in den Treppenstufen – hier zur Rutschsicherung angeschliffen – sind die kristallinen Elemente eingelassen. In Bereichen, in denen die Raumaufteilung flexibel bleiben soll, kommen sie allerdings nicht zum Einsatz. So sind die Trennwände in den Labor- und Bürobereichen als auf dem durchgehenden Boden aufgesetzte Trockenwände ausgeführt. Dadurch lässt sich die Raumaufteilung gegebenenfalls leichter ändern. Labore und Büros unterscheiden sich farblich: Herrscht an den Laborplätzen Blau vor, sind die Büros in dunklem Grün gehalten.

Technik: unsichtbar, unscheinbar, unverhüllt

Auch in der Gebäudetechnik spiegeln sich die verschiedenen Nutzungen wider: Im repräsentativen Bereich der Eingangshalle deutet nichts auf die eingebaute Technik hin. Einzig kronleuchterartige LED-Lampen – eigens für das GLC entworfen – sind zu sehen. In weiteren öffentlichen Bereichen, etwa der Mensa oder den Gängen, ist an den Decken die Klimatisierungstechnik angebracht. Von der Betondecke abgehängte rechteckige Heiz- und Kühlelemente verdecken die Technikeinbauten wirksam. Anders verhält es sich in den Laboren. Dort ist die Gebäudetechnik sichtbar. Die Vielzahl der geführten Leitungen – neben den üblichen Medien gibt es z.B. noch medizinische Gase, Absaug­anlagen oder Kühlwasserleitungen für Laborgeräte – verschafft den Räumen eine geschäftige, professionelle Atmosphäre.

Hang zur Forschung

Man könnte diese sukzessive Sichtbarmachung der Haustechnik gar als Bild für die Forschung auffassen. Anfangs, beim Eintreten in ein Forschungsvorhaben, ist noch viel bedeckt, man sieht wenig Zusammen­hänge, manches erscheint mysteriös. Je tiefer sich die Forschenden einarbeiten, desto mehr kommt ans Tageslicht; die Komplexität tritt dabei allerdings immer deutlicher hervor und ist – wie die Gebäudetechnik – oft nur noch Insidern bis ins Detail verständlich. Aber vielleicht dient das Repräsentative des Eingangsbereichs auch als Einladung und soll eintretende Forschende nicht gleich zu Beginn abschrecken. Das Erlangen von Erkenntnissen wird im geschäftlichen Alltag noch kompliziert genug. Da hilft es bestimmt, einen Hang zur Forschung zu haben.

Dieser Artikel ist mit weiteren Interviews der Projektbeteiligte erschienen in TEC21 27/2022 «Neue Grossbauten für neue Quartiere».

Bauherrschaft
ETH Zürich, Abteilung Immobilien, Zürich

 

Architektur
Boltshauser Architekten, Zürich

 

Tragwerksplanung, Hangsicherungstragwerk
Basler & Hofmann, Zürich

 

Baugrube
Dr. Lüchinger + Meyer, Zürich; wlw Bauingenieure, Mels

 

Baumanagement, Bauleitung
Befair Partners, Zürich

 

HLKK-Planung
Waldhauser + Hermann, Münchenstein

 

Landschaftsarchitektur
Mettler Landschafts­architektur, Berlin

 

Fassadenplanung
Feroplan Engineering, Zürich

 

Brandschutz
Gruner, Zürich

 

Sanitärplanung
Balzer Ingenieure, Winter­thur

 

Elektrotechnik
IBG B. Graf Engineering, Winterthur

 

Unternehmungen
Implenia Schweiz, Opfikon; Bauer, Schrobenhausen (D); Steiner (Generalunter­nehmung), Zürich

 

Bauzeit
2015–2022

 

Projektkosten
ca. 200 Mio. Franken

Verwandte Beiträge