Am An­fang war die Scha­lung

Ein rechteckiges Gebäude aus Beton am Werkstandort in Giswil nimmt zukünftig die Verwaltung eines Obwaldner Betonfertigteilherstellers auf. Ihren Entwurf mussten Unit Architekten auf eine bereits vorhandene Schalung abstimmen. Achtsamkeit spielt im Mittelstand noch eine Rolle.

Publikationsdatum
10-11-2022

Ein riesiger Raupenkran vor ausgedehnten Hallen sticht zuerst ins Auge, nähert man sich dem Standort der Fanger Elementtechnik in Giswil OW. Die Firma liegt ausserhalb des Orts in Alleinlage, vom Südende des Sarnersees nur durch einige Wiesen und Riedflächen getrennt. Vor den Hallen warten Betonfertigteile auf ihre Verladung. Die Bauteile weisen immense Ausmasse auf. Bis zu 30 m Länge sind auf den Schalflächen innerhalb der Hallen möglich, der Raupenkran ist auf 250 t ausgelegt. Noch grössere und schwerere Teile wären zwar machbar, das Limit allerdings gibt der Transport auf der Strasse vor: Kreisverkehre, Abbiegeradien, Brücken und Tunnel müssen die Lastwagen, oftmals Spezialtransporte, auf ihrem Weg zu den Baustellen erst einmal bewältigen.

Hergestellt wird praktisch alles, was aus Beton produziert werden kann – von Fassadenteilen über Balkonplatten bis hin zu Spezialelementen für den Infrastruktur- und Gewerbebau. Die Spezialisierung der Firma liegt auf grossen Fertigbauteilen wie Personenunterführungskästen, die mittels Schubnocken ineinandergreifen und durch Spannstangen zu einer Einheit zusammengepresst werden. Bei der Werksbesichtigung für dieses Heft lagen gerade 30 m lange Träger für die neue Schulanlage in Sursee im Spannbett.

Wachsen in Beton

Zuvorderst, am Eingang des Werkareals, entstand nun ein kleines, quaderförmiges, zweistöckiges Gebäude. Wobei klein hier durchaus relativ ist – seine Ausmasse betragen immerhin etwa 30 m × 10 m. Durch die benachbarten riesenhaften Hallen tritt diese Ausdehnung aber in den Hintergrund. Eine Sache hebt den Neubau aber von den Hallen ab: Er ist nach aussen, von den Fenstern abgesehen, komplett in Beton umgesetzt, und die Fassade aus Fertigbetonelementen ist strukturierter und feiner ausgeführt als bei den benachbarten Gebäuden. In Kürze wird der Bau die Büros der Firma beherbergen, die bisher noch vom Werkareal getrennt im 4 km entfernten Sachseln OW untergebracht sind.

Dass ein Betonwerk sich ein Haus aus Beton baut, ist natürlich nicht verwunderlich und nur konsequent. Und doch spiegelt sich die Entwicklung des Unternehmens gleichsam an seinen Gebäuden mit dem jetzigen Höhepunkt: War an der ersten Halle praktisch nur das Tragwerk aus Beton, wurde ein späterer Bau als Stahlhalle umgesetzt, bevor eine grosse Halle 2010 vorwiegend in Betonbauweise erstellt wurde. Hier waren dann auch die Dachbinder, Pfetten und selbst die ­Kranbahn als Betonelemente ausgeführt. Teile dieser Fassade sind aber noch mit Paneelen gefüllt.

Das Bürogebäude entstand nun konsequent in Beton: Tragwerk, Treppenhaus, Fassade, Fussboden – Beton dominiert aussen wie innen. Dass dies nicht kalt und düster wirkt, ist unter anderem den Zwischenwänden, die statisch keine Funktion übernehmen, zu verdanken. Sie sind in massiver Weisstanne ausgeführt, doppelschalig mit einer nicht sichtbaren Schallschutztrennlage in Steinwolle. Gleichsam als Erinnerung, wie wichtig Holz als Schalungsmaterial für Betonbauten ist, bleiben die waagrecht gelagerten Bohlen der Trennwände sägerauh und naturbelassen. Keine Lackierung, keine Färbung und keine Ölung.

Ansprechender Betonbaukasten

Die Wertschätzung der Schalung zeigt sich auch am neuen Bürogebäude: Hierfür wurde eigens gar keine neue Schalung angefertigt. Von der Galerie der Acher­eggstrasse zwischen Stansstad und Hergiswil NW am Vierwaldstättersee waren noch Schalelemente vorhanden. Die Bauherrschaft beauftragte UNIT Architekten, das Gebäude so zu entwerfen, dass diese Schalung wieder zum Einsatz kommen konnte.

So setzt sich das gesamte Gebäude aus wenigen Bauteilen zusammen. Die Deckenplatten etwa sind identisch und weisen je drei Rippen auf. Und aussen setzt sich die klare Ordnung fort: Zwei verschieden breite Fassadenscheiben zwischen den Fenstern, zwei verschieden lange Brüstungselemente unter ihnen und zwei verschieden lange Sturz­elemente oberhalb. Dazu noch Dach- und Sockelbau­teile, fertig ist das Gebäude – und wirkt, auch aufgrund von einigen Feinheiten, doch nicht langweilig.

Selbst an einem trüben, verregneten Herbsttag ohne Licht- und Schattenspiele ist die Aussenhaut nicht fad. Die Oberflächen der einzelnen Betonteile sind teils glatt, teils sandgestrahlt. Es gibt kein Element, das nur zweidimensional ist. Die Brüstungen sind L-förmig, während die Ränder der Fassadenscheiben zurückgesetzt ausgeführt sind, was ihnen einen kassettenartigen Charakter verleiht. Dadurch bekommt das Ganze eine spielerische Komponente und erinnert gewissermassen an Stecksysteme oder Baukästen aus unseren Kinderzimmern.

Zukunft (nach oben) offen

Eine von der Bauherrschaft gewünschte Erinnerung ist neben dem Eingangsbereich im Beton verewigt. Dort lacht der Unternehmensgründer Paul Fanger-von Moos als Fotobeton aus einem fiktiven Fenster. Möglich macht dies eine besondere Technik: Eine Folie mit dem gewünschten Bildnis wird mit einbetoniert und später entfernt. Das Bild zeichnet sich dadurch im Beton ab.

Durch die klare Anordnung der Betonbauteile und ihre massive Ausprägung könnte von aussen beinahe der Eindruck entstehen, dass es sich hierbei bereits um das Tragwerk handelt. Dem ist aber nicht so. Die Bauteile sind als vorgehängte Fassadenelemente ausgeführt. Zum innenliegenden Tragwerk aus Betonscheiben ist die Fassade durch Steinwolle abgedämmt.

Die eckige Form des Bürohauses wirkt tresorartig in sich abgeschlossen, ist für die Zukunft jedoch offen – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Planer berücksichtigten eine mögliche Erweiterung nach oben. Hierzu können die Dachelemente abgenommen und nach einer Erhöhung wieder aufgesetzt werden. Ein weiteres Stockwerk gefällig? Kein Problem, die ehemalige Acher­egg-Schalung steht bereit, die Elemente der Fassade und des Tragwerks würden nochmals neu gegossen und schon hätte man eine Erweiterung der Nutzfläche um 50 %. Ein mittelständisches Unternehmen muss eben praktisch denken.

Bürogebäude Fanger, Sachseln

 

Bauherrschaft
Fanger Elementtechnik, Sachseln


Architektur
UNIT Architekten, Hergiswil


Betonelemente, Ortbeton, Baumeisterarbeiten
Fanger Elementtechnik, Sachseln


Tragkonstruktion
Emch + Berger, Sarnen


Holzbau
Holzbautechnik Burch, Sarnen


Fertigstellung
2022

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