Über sie­ben Brü­cken

Der «Trutg dil Flem» ist –ein Wanderweg oberhalb des bündnerischen Flims, der sich entlang dem Fluss Flem vom Segnesboden hinunter ins Dorf zieht. ​Sieben kleine Brücken ermöglichen unerwartete Einblicke in die facettenreiche Schluchtlandschaft. Entworfen hat die Fussgängerübergänge der Bündner Bauingenieur Jürg Conzett.

Publikationsdatum
18-07-2013
Revision
21-07-2017

Der «Trutg dil Flem» (Wasserweg Flims) führt über die Schuttmasse des Flimser Bergsturzes nahe der Grenze des Unesco-Welt­naturerbes Tektonikarena Sardona. Auf einer Strecke von gut zehn Kilometern fügt er bereits bestehende Abschnitte zusammen. Der Weg wurde jedoch weitgehend neu erbaut.

Man geht auf den Felsen dem Wasser entlang oder bewegt sich auf der Kante des Bacheinschnitts, was eine weite Sicht auf die Umgebung ermöglicht. Neben dem visuellen ist die Wanderung auch ein auditives Erlebnis: Die Geräuschkulisse verändert sich je nach Standort und Jahreszeit. An einer Stelle gleitet das Wasser gemächlich an Bäumen und Wiesen vorbei, an einer anderen zeigt sich der Fluss tosend und kraftvoll.

Aussicht bieten auch die sieben Brücken – auf bizarre geologische Formationen, auf die bewaldete Umgebung oder auf den teilweise tief in den Fels eingeschnittenen Wasserlauf. Jede Brücke ist anders. Jürg Conzett, verantwortlicher Bauingenieur, stimmte die Brücken in Konstruktion und Materialisierung auf die Gegebenheiten ihres Standorts ab. 

Im Dialog mit der Natur

Vor gut fünf Jahren ging Jürg Conzett das erste Mal den Flem entlang. Weitere Wanderungen folgten, um die Eigenheiten der Bergsturzlandschaft kennenzulernen und die Linienführung des Wegs festzulegen. Dabei festigte sich auch die Gestaltung jeder einzelnen Brücke. 

Die Oberste Brücke, –die erste der drei Schluchtbrücken zwischen Startgels und Punt Desch –legt sich mit aufeinandergeschich­teten elliptischen Betonplatten in das felsige Bachbett. Sie wird im Frühling von Zeit zu Zeit vom Schmelzwasser überspült.1 Einseitig ist ein Geländer aus Edelstahl montiert. Die beiden Geländerpfosten verankern die Brücke im Fels.

Die zweite Brücke befindet sich im Wald, für sie entwarf Conzett ein Sprengwerk aus Lärchenholz. Leicht erhöht platziert, ermöglicht die «Verweilbrücke» einen Überblick. Die Streben sind in vier Einzelstützen aufgelöst, was sie auswechselbar macht und der Brücke ihre optische Leichtigkeit gibt. Wie kleine Wulste wachsen die Widerlager aus dem Fels heraus, eine Abdecklage schützt den Brettschichtholzträger vor der Witterung. Darauf aufgeständert ist der Gehweg. 

Die dritte der Schluchtbrücken liegt beim Pilzfelsen. Durch das Staketengeländer aus Edelstahl lassen sich dessen ungewöhnliche Felsformationen bestaunen. Die vorfabrizierte und per Helikopter eingeflogene Balkenbrücke mit einem Betonbrett von etwa 5.50 m Länge und einer Breite von 50 cm bettet sich in den zerklüfteten Fels. Die Enden sind mit den vor Ort betonierten Treppen fugenlos verbunden.

Die Brücke «Tarschlims» und die «Punt da Max» liegen inmitten bewaldeter Hänge. Sie sind wiederum aus Holz konstruiert. Die beiden Tragwerke erinnern an die Verweilbrücke, sind aber auch hier an den Kontext angepasst.

«Punt da Max» spannt sich langgezogen über das hier breitere und flachere Bachbett. Die beiden Mittelpfeiler stehen auf einem Felsblock; die drei Einfeldträger verdeutlichen mit einem Knick den Übergang von den beiden kurzen zur langen Spannweite.

Die «Tarschlims-Brücke» hingegen steigt leicht an und stützt sich über zwei unterschiedlich lange Pfeiler in den asymmetrischen Talabschnitt. Der höhere Pfeiler steht auf einem Felsvorsprung, der gemäss dem Churer Geologen Ruedi Münger labil ist und in einigen Jahren abstürzen könnte. Mit ihm der Pfeiler, nicht aber die ganze Brücke, denn auch hier hat Conzett auf die Gegebenheiten reagiert: Er bemass die Tragkonstruktion so, dass sie bei einem Pfeilerausfall zwar weicher, nicht aber zusammenstürzen würde.

Die «Wasserfallbrücke»

Die Zusammenarbeit aller Beteiligten – besonders die des Bauingenieurs und des Geologen – gab auch der «Wasserfallbrücke» ihren spezifischen Charakter. In seinen ersten Entwürfen platzierte Conzett die Brücke knapp unterhalb der Wasserfälle. Doch nach mehreren Besuchen zu verschiedenen Jahreszeiten mit unterschiedlicher Wasserführung des Flem verwarf er diese Idee, denn die Fundie­rung auf zerklüfteten Blöcken war zu schwierig.

Zudem wäre bereits bei geringem Wasser­stand ein für die Wanderer unangenehmer Sprühnebel entstanden. Auch erschien Conzett die Lage der Brücke direkt vor den Fällen als ein unzulässiger Eingriff in die unberührte Landschaft. Passender war letztlich ein Übergang rechtwinklig zum Bach beim talabwärts gelegenen Felskopf.2

Der ursprünglich geplante einfache Steinbogen erwies sich nach einer geologischen Untersuchung des Felsens als nicht machbar; im Grund der Schlucht wurden Klüfte gefunden, die eine mögliche Instabilität des ganzen Felskopfs befürchten liessen. Die Spannweite der Brücke musste von 11 auf 18 m erhöht werden. So entstand das Extravagante dieser Konstruktion unter Zwang. Flach zwischen die Felsen spannt der Bogen von 1.30 m Breite und 18 m Spannweite mit konstanter Stärke und oben liegender Vorspannung in Form eines Flachblechs, an dem das Geländer befestigt ist. 

Die kleine Holzbrücke «Muletg» ist die letzte (bzw. die erste) Brücke auf dem Weg. Sie bildet den unaufgeregten Abschluss der Route. 

Wandelbarer Pfad

Spaziert man den Wanderweg von oben nach unten oder von unten nach oben, verändert sich die Sichtweise genauso, wie wenn man ihn zu verschiedenen Jahreszeiten begeht. Mit unterschiedlichem Wasserstand ändert sich der Charakter des Wegs und der jeder Brücke. Der Pfad ist so gesehen nachhaltig, denn der Fussmarsch wird bei jeder Begehung zum neuen Erlebnis. Er ist sicher auch in 20 Jahren noch interessant, wenn die Witterung das Erscheinungsbild des «Trutg dil Flem» mit seinen Brücken verändert haben wird.

Das Projekt wurde mit der Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi 2013» prämiert (vgl. «Umsichtig: Trutg dil flem»).

Anmerkungen
1 Ist diese Brücke überschwemmt, kann eine Alternativroute gewählt werden. Wanderer überqueren dann nicht den Flem, sondern gehen weiter bis zur nächsten Brücke, der «Verweilbrücke».
2 vgl. Jürg Conzett: «Stiebende Brücke»; Wilfried Dechau: Trutg dil Flem


Projektgeschichte

Initiiert wurde das Projekt «Trutg dil Flem» 2008 von einer Initiativgruppe um den damaligen Gemeinderat Guido Casty. Wie vielerorts in den Bergen stagniert in Flims der Sommertourismus. Die Gemeinde und der Tourismusverband wollten mit einer neuen Attraktion die Natur erschliessen. Gemeinsam konnte die Arbeitsgruppe die Flimser Bevölkerung überzeugen, das Projekt aus der Gemeindekasse zu finanzieren. Auch mussten Grundeigentümer, über deren Land der Weg führt, ihre Einwilligung erteilen. Der Fotograf Wilfried Dechau hat das Projekt in der Bauphase mit der Kamera begleitet.


Wilfried Dechau: Trutg dil Flem. Scheidegger  & Spiess, Zürich 2013. 192 S., 68 farbige und 56 schwarz-weisse Abb., 29 Pläne, 31.5 x 24 cm. ISBN 978-3-85881-374-9. Fr. 69.––

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