Neue Ver­suchs­hal­le für den Was­ser­bau

Seit einem Jahr steht der Versuchsanstalt für Wasserbau (VAW) auf dem Campus der ETH Hönggerberg eine neue Versuchshalle zur Verfügung. Wie eine Tagung in Zürich aufzeigte, ist die wasserbauliche Forschung und Praxis trotz Computermodellen auch künftig auf physikalische Modelle angewiesen.

Publikationsdatum
03-07-2014
Revision
01-09-2015

Im letzten Sommer zog die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich von der Gloriastrasse auf den Hönggerberg. Ende Juni 2014 präsentierte die VAW ihre neue Versuchshalle zum ersten Mal in grösserem Rahmen den Wasserbaufachleuten aus Wissenschaft und Praxis. Das Symposium, das bereits seit 30 Jahren im zweijährigen Turnus jeweils vom Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Technischen Universität Graz, dem Lehrstuhl und der Versuchsanstalt für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Technischen Universität München sowie der VAW organisiert wird und dieses Jahr in Zürich stattfand, bot dafür den idealen Rahmen. Themenschwerpunkte der dreitägigen Veranstaltung waren verschiedene Aspekte der Wasserkraftnutzung und der Gewässerrenaturierung sowie der Umgang mit Naturgefahren. 

Der erste Nachmittag stand jedoch ganz im Zeichen der neuen Versuchshalle. In seiner Einführung unterstrich VAW-Direktor Robert Boes die Bedeutung des wasserbaulichen Versuchswesens. Die physikalischen Modelle, die in den Versuchshallen aufgebaut würden, seien nicht nur ein wichtiges Instrument für die Forschung, sondern vor allem auch für die Praxis. Dabei zitierte er Leonardo da Vinci, der bereits um 1500 festhielt: «Bei Abhandlungen über das Wasser ist stets die experimentelle Erfahrung voranzustellen». 

Totgesagte leben länger 

Doch Leonardo da Vincis Überzeugung wurde nicht immer beherzigt. Als vor 20 Jahren immer leistungsfähigere Computer zur Verfügung standen, habe man das Ende der wasserbaulichen Versuche vorhergesagt, erklärte Boes. Die Zukunft schien den numerischen Modellen zu gehören. Von den Computermodellen versprach man sich, dass diese alle Probleme lösen könnten. Laut Boes machte man sich vor allem im angelsächsischen Raum mit besonderem Eifer daran, die Wasserbaulabore abzuschaffen. In Mitteleuropa sei man glücklicherweise etwas zögerlicher gewesen. Und heute erlebe das wasserbauliche Versuchswesen eine bemerkenswerte Renaissance. So wurden in Graz vor wenigen Jahren und an der Technischen Hochschule in Aachen vor kurzem neue Versuchshallen eröffnet. In Dresden und Wien befinden sich neue Anlagen im Bau. Und in Lausanne ist man daran, ein neues Labor zu planen.

Vom Gegeneinander zum Miteinander

Wenn Computermodelle an ihre Grenzen stossen, dann helfen physikalische Modelle im Labor oft weiter. Dies ist etwa bei komplexen Strömungen der Fall. Oder wenn das Verhalten von Geschiebe, Sedimenten oder Schwemmholz in Flüssen und Bächen untersucht werden soll. Die physikalischen Modelle haben unter anderem auch deshalb Auftrieb erhalten, weil in der Messtechnik grosse Fortschritte erzielt wurden. So stehen heute zeitlich und räumlich hoch aufgelöste Daten zur Verfügung, die für Computermodelle wiederum von unschätzbarem Wert sind. Somit ergänzen sich numerische und physikalische Modelle. Bei konkreten Fragestellungen kommen heute oft beide Ansätze zur Anwendung. 

Anschaulichkeit als Trumpf 

Für Boes haben die Modelle im Labor noch einen weiteren Vorteil. Sie sind bei konkreten Projekten in der Planungsphase und während des Genehmigungsverfahrens oft sehr hilfreich. Entscheidungsträger haben mehr Vertrauen, wenn sie eine konkrete Situation an einem anschaulichen Modell mit eigenen Augen sehen können. So führte die VAW beispielsweise Modelluntersuchungen im Auftrag des Linthwerks durch. Und aktuell wird an einem Modell die Abflusskapazität der Sihldurchlässe beim Hauptbahnhof – einer der ganz heiklen Stellen bezüglich Hochwasserrisiko in der Stadt Zürich – unter Berücksichtigung des Geschiebetriebs und Schwemmholzes untersucht. 

Flexible Nutzung der Versuchshalle 

Die nutzbare Fläche der neuen Versuchshalle beträgt rund 1500m2. Die Modelle werden über im Kellergeschoss geführte Rohre mit Wasser versorgt. Weil der Hallenboden nicht aus einer einzigen Platte besteht, sondern aus zwei Meter langen und ein Meter breiten Betonplatten, die sich einzeln entfernen lassen, ist die Nutzung der Halle sehr flexibel. Sie verfügt über zwei getrennte Kreisläufe für Klar- und Trübwasser. Für Untersuchungen an Fliessgewässern oder Hochwasserschutzprojekten wird Geschiebe benötigt. Die Sedimentbeigabe würden das Wasser trüben, erklärte Adriano Lais, Leiter der Versuchshalle der VAW. Für einige Versuche sei trübes Wasser jedoch nicht zulässig. Für diese steht der Klarwasserkreislauf zur Verfügung. Insgesamt sieben Pumpen fördern das Wasser in zwei Hochbehälter. Beim Trübwasser beträgt die Förderleistung 300 l/s, beim Klarwasser sind es 1300 l/s. Von den Hochbehältern führen Leitungen über das Kellergeschoss zu den Modellen, und von diesen wird es über zwei Rücklaufkanäle zurück zu den Pumpen geführt.

Bereits viele Modelle in Betrieb 

Nach knapp einem Jahr sind bereits zahlreiche Modelle in Betrieb. Die Besichtigung der neuen Versuchshalle stiess auf grosses Interesse. Ulrich Weidmann, der Vorsteher des ETH-Departements Bau, Umwelt und Geomatik, meinte, man bringe die Leute sehr schnell in die Versuchshalle rein – und fast nicht mehr raus. Er hatte recht. Dass die Gäste die Halle nach einiger Zeit dennoch wieder verliessen, hing wohl auch damit zusammen, dass es auf dem Vorplatz Bier gab und Würste gebraten wurden. 

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