Athen: Por­trät ei­ner Stadt zwi­schen Zer­fall und Au­shar­ren

Der griechische Beitrag an der Architekturbiennale Venedig

An der 13. Architektur-Biennale in Venedig befasst sich der griechische Pavillon ausschliesslich mit der Situation in der Hauptstadt. Er präsentiert ein fröhlich-chaotisches Porträt einer Stadt, die vor einer nie in diesem Masse erlebten Krise steht.

Data di pubblicazione
04-10-2012
Revision
01-09-2015

In dem Projekt werden kulturelle, soziologische, wirtschaftliche und politische Aspekte wild vermischt, um den Geist dieser zur Multiethnizität gezwungenen Balkanmetropole mit vier Millionen Einwohnern einzufangen. Auch die Katalogtexte aus der Feder von Georges Tzirtzilakis, D.A. Fatouros und Dimitris Filippidis unternehmen den Versuch, die Identität des Landes anhand der Form seiner Städte und Gebäude zu beschreiben.

Welche Bilanz kann in einer von Abwarten und sozialer Unruhe geprägten Situation gezogen werden? Der Ausstellung gelingt es, das Mosaik und die Spannungen darzustellen, von denen die Stadt derzeit geprägt wird. Sie geht jedoch ganz bewusst nicht auf eine Konsequenz der Krise ein – der Tatsache, dass in dem Land nicht mehr gebaut wird, obwohl die Baubranche einst der wichtigste Wachstumsmotor war. Wie kann man darstellen, welche Katastrophe die mangelnde Bautätigkeit für die Berufe des Baugewerbes darstellt? Wie kann man die Geschichten von Hunderten junger Architekten und Ingenieure erzählen, die ihre Heimat verlassen, um ihr Glück im Ausland zu versuchen 
Natürlich wurde auch nach den Olympischen Spielen 2004 noch gebaut, insbesondere neue Gebäude, mit denen versucht wurde, dass Modell der «polykatikia» - den Mietshäusern, aus denen der Grossteil der Athener Stadtlandschaft besteht - neu zu gestalten. In den letzten zehn Jahren hat in der Altstadt und einigen sozial schwächeren Stadtvierteln ein Gentrifizierungsprozess eingesetzt. Wie in anderen Städten, denen es gelang, ihr Stadtzentrum mit neuem Leben zu füllen, zogen erst die Künstler in diese Quartiere. Dann folgten die Immobilienunternehmer, in den ärmeren Wohnviertel entstanden neue Lofts.
Die Idylle wird jedoch durch die Tatsache gestört, dass die Gentrifizierung hier im Gegensatz zu Paris, Berlin oder Barcelona ein abruptes Ende gefunden hat. Athen ist daher ein Einzelfall. Angesichts der Krise wurden die Baustellen verlassen. Die neuen Lofts finden keine Abnehmer. Verlassene Wohngebäude werden von einer neuen Hausbesetzergeneration bewohnt – diesmal handelt es sich jedoch nicht um hippe Künstler, sondern um illegale Einwanderer. In Stadtteilen wie Gazi oder Metaxourgio kann man heute die seltsamen Auswirkungen einer plötzlich unterbrochenen Gentrifizierung betrachten. Wenn man jedoch bedenkt, dass solche Prozesse damit enden, dass sozial schwache Anwohner und Künstler das Quartier verlassen müssen, dann weiss man nicht, ob man die Krise bedauern oder begrüssen soll. Die Mieten in den teilweise gentrifizierten Quartieren der Innenstadt bleiben niedrig. Anhand der in dieser Ausstellung gezeigten Elemente kann man zu dem Schluss gelangen, das die von Städteplanern oft als unaufhaltbarer Prozess beschriebene Gentrifizierung reversibel ist. Er kann zu einem Halt kommen und sich in einigen Fällen sogar umkehren.

Heute ist die Stadt in der Schwebe und kämpft mit unterschiedlichen Tendenzen: Auf Demonstrationen gehen Juwele der Architektur in Rauch auf, Bürgerwehren verjagen illegale Einwanderer, ein Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung ist arbeitslos, die Anarchie-Szene ist eine der dynamischsten Europas, ein einem Steuerparadies angemessener Reichtum steht extreme Armut gegenüber. In Athen ist jegliche Entwicklung zum Stillstand gekommen. In welche Richtung sie zukünftig gehen wird, bleibt abzuwarten.

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