«Eine baukulturelle Umarmung Europas durch die Schweiz»
Auf Einladung der Schweiz haben die europäischen Kulturministerinnen und -minister beim Weltwirtschaftsforum in Davos eine gemeinsame Allianz für Baukultur vereinbart. Claudia Schwalfenberg (SIA) über Baukultur als kulturell fundierte Nachhaltigkeit und die politische Tragweite des neuen Bündnisses.
Frau Schwalfenberg, wer hat sich in Davos getroffen und auf wessen Initiative?
Claudia Schwalfenberg: Auf Einladung von Bundespräsident Alain Berset haben sich primär die europäischen Kulturministerinnen und -minister zusammengefunden. Darüber hinaus gab es Vertreter von überstaatlichen Organisationen wie UN-Habitat oder Unesco. Was heisst, dass das Bundesamt für Kultur eine globale Allianz anstrebt, nicht eine allein europäische. Hinzu kamen Vertreter international operierender Player aus den Sektoren Bau, Immobilien und Finanzen und Personen aus der Zivilgesellschaft.
Ging es speziell um private Verantwortung für das öffentliche Gut Baukultur?
Ich würde eher sagen: um die gemeinsame Verantwortung von Privatwirtschaft, öffentlicher Hand und Zivilgesellschaft. Das heisst natürlich auch, dass die Privatwirtschaft stärker eingebunden werden soll. Resultat war die Gründung einer «Davos Baukultur Alliance», für die die Schweiz ein Sekretariat beim Weltwirtschaftsforum finanzieren wird – auch das ein Zeichen, dass man die Privatwirtschaft stärker ansprechen will.
Wieso nimmt die Schweiz da eine Führungsrolle ein?
Die Schweiz ist eigentlich relativ spät in die Thematik Baukultur eingestiegen, hat 2018 aber mit der «Davos Declaration» und den acht Kriterien für hohe Baukultur 2021 einen Coup gelandet. Eine wesentliche inhaltliche Grundlage hat das «Manifest zur Baukultur» von 2011 des vom SIA initiierten Runden Tischs Baukultur gebildet. Die Schweiz ist international sehr anerkannt für ihre hohe Baukultur, und es gibt hier eben auch ein engagiertes Bundesamt, das dieses Thema verfolgt – mit einem Minister, der jetzt nach 2018 zum zweiten Mal sein Präsidialjahr nutzt, um so eine Konferenz einzuberufen.
Was haben wir uns unter der «Davos Baukultur Alliance» vorzustellen?
Das ist ein Bündnis, das durch interdisziplinäre und sektorenübergreifende Kooperationen auf mehreren Ebenen neue und bessere Lösungen für die Gestaltung des Lebensraums finden soll. In meinen Worten würde ich sagen: Die Beteiligten wollen eine kulturell fundierte Nachhaltigkeit erreichen. Indem man Netzwerke und Kooperationen fördert, Aus- und Weiterbildung, Wissensaustausch. Das wird sich noch konkretisieren in regelmässigen Plenartreffen, aber auch in Fokusgruppen zu Themen, die jetzt bestimmt werden. In Davos ist bereits eine Steuerungsgruppe eingesetzt worden – da sind beispielsweise das litauische Kulturministerium, Avison Young, Bouygues Bâtiment International, die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen oder der Architects’ Council of Europe dabei.
Was bedeutet das konkret für diejenigen, die in der Schweiz im Bausektor tätig sind?
Es geht darum, die Debatten auf eine neue Stufe zu heben und einen Rahmen zu schaffen für eine Wertschätzung von Qualität bei der Gestaltung des Lebensraums. Das hat also eher eine mittelbare Auswirkung. Konkrete Ergebnisse sind jetzt noch nicht zu erwarten, Ziel ist ja, Lösungen zu entwickeln.
Wenn Sie von einer «kulturell fundierten Nachhaltigkeit» sprechen, zugleich aber eine interkulturelle Kooperation angestrebt wird, kann das auch zu Konflikten, auch fruchtbaren Konflikten, führen?
Eher im Sinn eines Dialogs verschiedener Fachkulturen. Eine der Businessvertreterinnen hat an die Politik gerichtet gesagt: Wir liefern euch das, was ihr wollt; ihr müsst uns aber auch Vorgaben machen. Das Ziel, durch eine bessere Kooperation die verschiedenen Stakeholder zusammenzubringen, ist auf grosse Resonanz gestossen. Das ist ein entscheidender Schritt, denn die Kulturministerien sind doch oft relativ weit vom Bauen weg.
Das WEF ist ja das World Economic Forum und nicht das World Cultural Forum. Wie glaubwürdig ist das Engagement der Wirtschaft? Ist Baukultur nicht auch ein Thema, das sich gut verkaufen lässt, zum Glück aber so schwer zu definieren ist, dass man sich auf nichts festlegen muss?
Das glaube ich nicht, auch wenn es solche Effekte geben mag. Ich vergleiche das mal mit der Nachhaltigkeitsdiskussion: Aldi Schweiz möchte ab sofort kein Obst und Gemüse per Flugzeug mehr importieren und bewirbt Erdbeeren nur noch dann, wenn hier auch Erdbeersaison ist. Ich glaube, es gibt in solchen Prozessen verschiedene Stadien. Die Privatwirtschaft hat ein grosses Interesse an Baukultur, sie muss aber auch entsprechende Vorgaben bekommen und Aufträge erhalten. Zunächst wird es teilweise eher Bekenntnisse geben, wie auch zur Nachhaltigkeit, aber mittelfristig werden sich konkrete Schritte und Massnahmen daraus ergeben.
Der SIA und auch Sie persönlich sind federführend im Bereich Baukultur engagiert. Was war für Sie in Davos die grösste Neuerung?
Vielleicht sage ich zunächst einmal, was für mich der berührendste Moment war. Die europäischen Kulturminister waren persönlich anwesend, mit Ausnahme des online zugeschalteten ukrainischen Kulturministers. Er hat Zeugnis abgelegt von dem, was gerade in der Ukraine passiert, und der internationalen Gemeinschaft gedankt für die Unterstützung – auch für eine bereits erhoffte Unterstützung beim Wiederaufbau «nach dem Sieg», wie er das formuliert hat. Tatsächlich ist bei der Konferenz ein gemeinsames Statement verabschiedet worden, der Ukraine beim Wiederaufbau zu helfen, und dass dieser Wiederaufbau sich an den acht Kriterien der «Davos Declaration» von 2018 orientieren soll, und zwar auch auf expliziten Willen der Ukraine. Das würde beispielsweise bedeuten, dafür lokale Expertise und lokale Firmen zu verpflichten. Das ist ein echter Unterschied zum so häufigen «Schnell-Schnell» in solchen Wiederaufbausituationen. Das zeigt: Wir reden nicht im luftleeren Raum, sondern es gibt eine Not und Notwendigkeit.
Was war inhaltlich darüber hinaus der wichtigste Moment?
Die Schweiz fühlt sich derzeit in Europa ja eher isoliert. Das Engagement in Davos ist nicht weniger als eine baukulturelle Umarmung Europas seitens der Schweiz. Es hat sich gezeigt, dass wir in Europa doch ein gemeinsames Fundament haben. Eine wirkliche Neuerung ist die Einbindung nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Art der Zivilgesellschaft. Bisher kamen die zivilgesellschaftlich Beteiligten doch im Wesentlichen aus dem Bausektor – Berufsorganisationen oder aus dem Bereich baukulturelles Erbe. Nun sollen auch Institutionen und Repräsentantengruppen aus ganz anderen Zusammenhängen eingebunden werden – etwa die «Conference of International Non-Governmental Organizations» des Europarats. Das ist ein Momentum, das wir nutzen können und müssen. Schon die Tatsache, dass ein Regierungschef zwei Tage lang eine Konferenz über Baukultur leitet, ist ja beachtlich.
Wodurch ist das motiviert?
Ich glaube, das ist durchaus persönliches Engagement und Interesse von Alain Berset. Er hat damit einen neuen Akzent in der Schweizer Kulturpolitik gesetzt. Natürlich ist es auch eine Schweizer Besonderheit, dass der Kulturminister derzeit zugleich Regierungschef ist. Und es ist ein Kennzeichen des Schweizer Weges, das als Teil der Kultur zu verorten – in Deutschland beispielsweise ist das Thema beim Bundesbauministerium angesiedelt. Natürlich bedeutet das auch eine Selbstverpflichtung und stärkt das den SIA als den Berufsverband, der die Baukultur fördert, auch innenpolitisch. Wobei wir noch einen langen Weg vor uns haben. Viele missverstehen Baukultur immer noch als Baukunst oder Heimatschutz; ein ganzheitliches Verständnis von Baukultur ist noch längst nicht überall angekommen. Es liegt nun an uns, das gut zu erklären und die Leute dafür zu gewinnen. Da sehe ich auch eine Aufgabe für den Runden Tisch Baukultur Schweiz, wo öffentlicher Sektor, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenkommen.
Weitere Informationen auf www.baukulturschweiz.ch