Wie die Thur Men­schen und Land­schaft präg­te

Das Buch «Die Thur und das untere Thurtal in den Kantonen Zürich und Thurgau» ist eine eindrückliche Hommage an einen Fluss und die Menschen, die mit ihm lebten und rangen, den Flusslauf in ein enges Korsett zwängten und nun beginnen, ihn ökologisch wieder aufzuwerten.

Data di pubblicazione
17-05-2022

Die Thur gab dem 1803 in politisch turbulenten Zeiten gegründeten Kanton Thurgau seinen Namen. Und auch dem Thurtal, das die Schlagader des landwirtschaftlich geprägten Kantons bildet. Der letzte Abschnitt der Thur bis zur Mündung in den Rhein verläuft schliesslich auf Zürcher Gebiet.

In den letzten 20 Jahren hat sich das Gesicht des Flusses stark verändert. Die Thur wurde zu einem Testlauf für einen modernen Wasserbau, der Hochwasserschutz mit ökologischer Aufwertung kombiniert. Doch wie ist es zu dieser jüngsten Etappe gekommen? Und was geschah in den Jahrhunderten zuvor an der Thur?  

Ein neues Buch gibt einen umfassenden Einblick in die Geschichte des unteren Thurtals von den Anfängen bis zur Gegenwart. In neun Kapiteln beleuchtet der Historiker Meinrad Suter die lange Beziehung der Menschen mit ihrem Fluss. Abgerundet wird das opulente Werk mit einem Beitrag über das Projekt «Hochwasserschutz und Auenlandschaft Thurmündung» von Christian Göldi und Robert Bänziger. Letztere waren am Vorzeigeprojekt zur Revitalisierung dieser Auenlandschaft massgeblich beteiligt.

Die Inhalte werden anschaulich präsentiert. Jedem Kapitel – von den Ur-Thurtälern über die Frühgeschichte, die alemannische Landnahme, der Gründung des Bundesstaats und der nachfolgenden ersten Thurkorrektion bis zur Wiederbelebung der Fliessgewässer – wird eine kurze, prägnante Einleitung vorangestellt, flankiert von einer Zeittafel mit den wichtigsten Meilensteinen der jeweiligen Epoche. Dies erleichtert den Einstieg und macht neugierig, mehr zu erfahren.

Treibende Kraft des Buchprojekts war Walter Meier. Der ehemalige Direktor der Eidg. Forschungsanstalt für Agrarwirtschaft und Landtechnik in Tänikon war von 1999 bis 2017 Delegierter des Zürcher Regierungsrats für das grösste Revitalisierungsprojekt im Kanton Zürich, dessen Kosten gut 37 Millionen Franken betrugen. Meier fand nicht nur einen Autor, sondern auch die finanziellen Mittel für eine umfassende historische Aufarbeitung. Ein geschichtlicher Gesamtblick fehlte bisher. Diese Lücke ist mit dem 600 Seiten starken Werk nun geschlossenen. Entstanden ist kein Buch, das man von der ersten bis zur letzten Seite in einem Zug verschlingt. Jedoch eine wahre Fundgrube über diesen geografischen Raum.

Die Thur entspringt im Alpstein/Säntis-Gebiet. Am Flusslauf liegen keine ausgleichenden Seen, die die Abflussspitzen dämpfen würden. Deshalb gehören Hochwasser und Überschwemmungen zu den Konstanten an der Thur. Ein weiteres Merkmal ist die Bodenbeschaffenheit im Thurtal. Nach dem Rückzug der Gletscher nach der Eiszeit bildete sich zwischen Andelfingen und Weinfelden nämlich ein 32 Kilometer langer See. Erst vor 7000 Jahren verlandete dieser. Eine Folge davon war, dass während Jahrhunderten die Thur über kein stabiles Flussbett verfügte und sich im ehemaligen Seeboden immer wieder neue Flussläufe bildeten. 

Meinrad Suter interessierte sich insbesondere dafür, ab wann an der Thur Flussbau betrieben worden war und welche Regeln dabei galten. Mangels schriftlicher Quellen lässt sich erstere Frage nicht eindeutig beantworten. Sicher aber ist, dass die Menschen ihre Güter an der Thur durch Ufer- und Flussbauten bereits Hochmittelalter (11.–13. Jahrhundert) im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu schützen versuchten. Dabei galten auch gewisse Regeln. So durften etwa Verbauungen nicht dazu führen, dass das gegenüberliegende Ufer geschädigt wird. Dennoch kam es immer wieder zu Streitigkeiten, die durch Gerichte geschlichtet werden mussten. Teilweise wurden die Urteile auch angefochten und vor die nächste Instanz gebracht – ein Phänomen, das uns heute nicht unbekannt ist. Das Recht, sich vor dem Fluss zu schützen, wurde zunehmend zu einer Pflicht. So nahmen es die Einwohner von Wigoltingen ihrem Pfarrer noch mehr als hundert Jahre später übel, weil sich dieser weigerte, auf seinem Land an der Thur im 17. Jahrhundert bauliche Schutzmassnahmen zu ergreifen.

Um 1800 zeigte sich, dass der herkömmliche Wasserbau nicht mehr genügte. In der Folge begann das Ringen um die erste grosse Thurkorrektion. Im 19. Jahrhundert entstand auch die Idee, die Thur bei Sulgen in den Bodensee abzuleiten, um das Thurtal endgültig vor Überschwemmungen zu schützen. Die Vorschläge wurden aber verworfen. Stattdessen begann der harte Verbau des Flusses mittels kilometerlanger Dämme. Das ging lange gut – bis 1965 und 1978 Dämme brachen, und es zu massiven Überschwemmungen kam. In der Folge zeigte sich, dass es politisch nicht mehr möglich war, die Thur noch mehr zu verbauen. Ein gestiegenes Umweltbewusstsein machte ein neuerliches Umdenken unumgänglich, das in mehrere Revitalisierungsprojekte mündete. Die Realisierung solcher Projekte ist und bleibt aber anspruchsvoll.

Meinrad Suter: Die Thur und das untere Thurtal in den Kantonen Zürich und Thurgau – Die Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Baudirektion des Kantons Zürich, 2022. 604 Seiten, zahlreiche Illustrationen, 230 × 280 mm, fester Einband. ISBN: 978-3-033-08967-9. Fr. 74.–

 

Mit einem Beitrag über das Projekt «Hochwasserschutz und Auenlandschaft Thurmündung» von Christian Göldi und Robert Bänziger.

 

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