Kein Ad­ler wie der an­de­re

Buschiges Federwerk und feinen Faltenwurf treiben geübte Hände mit dem Meissel in den Sandstein: Die viel diskutierte Teil-Rekonstruktion des Berliner Schlosses bot rund 30 Steinbildhauerinnen und Steinbildhauern die rare Gelegenheit, die Schmuckelemente eines hochrangigen Barockbaus in grosser Zahl neu zu erschaffen.

Data di pubblicazione
27-10-2021

Ganze 2828 künstlerisch bearbeitete Bildhauerstücke wie Eckkartusche (Wappensteine), Tierbildnisse oder die Kolossal­figuren allegorischer Gestalten aus Sandstein waren im Zuge der Rekonstruktion des Berliner Schlosses anzufertigen. Rund 45'000 private Spenderinnen und Spender finanzierten die Wiederherstellung dieses barocken Fassadenschmucks. Gebrochen wird der warmgelbe Sandstein da, wo schon jener des ursprünglichen Baus her kam, unter anderem in Reinhardsdorf und Cotta im sächsisch- böhmischen Elbsandsteingebirge südlich von Dresden. 2013 richtete die Stiftung Humboldt Forum in einer ehemaligen Fahrzeugwerkstatt der Alliierten in Berlin-Spandau eine Schlossbauhütte ein, in der Steinbildhauerinnen und -hauer ungestört an den oft tonnenschweren Werkstücken für die Schlossfassade arbeiten konnten.

Eine vierköpfige Expertengruppe aus Kunsthistorikern und Kennern der barocken Bildhauerei begleitete und prüfte die Arbeit der Handwerker. Zu ihr gehörte Kathrin Lange, Chefrestauratorin bei der Stiftung Preussische Schlösser und Gärten in Potsdam und gelernte Bildhauerin. Die für das Schloss tätigen Kollegen mussten ihre Werkstücke der Kommission vor­stellen, die dann mit den Künstlern Überarbeitungen diskutierte. Kathrin Lange betont den partnerschaftlichen Charakter dieser Abnahmen, im Sinne eines fachlichen Begleitens. Dennoch konnte es, gerade bei prominenten Bildwerken, passieren, dass eine Skulptur mehrmals zu überarbeiten war.

Mächtiger Schnabel, kraftvolle Schwingen

Kathrin Lange sieht die Idee der zentralen Bauhütte rückwirkend als glücklichen Entscheid: Hätte man die Bildwerke ausschliesslich an externe Werkstätten vergeben, befürchtet sie, «wäre das Projekt formal auseinandergefallen.» Durch das gemeinsame Arbeiten und das gegenseitige Schulen sei in der Bauhütte mit den Jahren ein handwerklich-künstlerisches Wissensreservoir gewachsen. Abgesehen von den regelmässigen Konsultationen mit den Experten lagerte in der Spandauer ­Halle auch manches Fragment der originalen Schlossskulpturen, an denen die Handwerkerinnen Details studieren konnten.

Ein fast omnipräsentes Schmuckelement der Schlossfassade sind die steinernen Adler – 43 Exemplare des preussischen Wappentiers sitzen dicht unter dem Hauptgesims der Attika in den Fassaden des Schlosses. Bis auf einige identische sind die streng blickenden Greife mit dem mächtigen Schnabel individuell gestaltet; auch ihre Spannweite variiert von 1.20 m bis 2.60 m.

27 dieser Adler schuf Steinbildhauer Andreas Artur Hoferick – anhand historischer Fotografien der Fassade sowie erhaltenen Fragmenten von Originalen. Hoferick, der ein eigenes Atelier unterhält, ist einer von wenigen Bildhauern, die neben der Schlossbauhütte den Figurenschmuck fürs Schloss in Stein meisselte. 

Tonmodell – Silikonabguss – Gipsmodell

Alle Arbeitsschritte eingerechnet benötigt er fünf Monate für einen Adler. Für gewöhnlich wird zu Beginn ein so genannter Bozetto, ein Bildhauermodell in Gips gefertigt, in einem Massstab zwischen 1 : 4 und 1 : 2. Hier entwickelt der Bildhauer Gestalt und Duktus des Objektes und kann sie mit den Auftraggebern diskutieren.   

Ausgehend vom Bozetto wird in der Werkstatt ein Tonmodell im Massstab 1 : 1 gefertigt, denn Ton lässt sich leichter und länger modellieren als Gips; wird der Ton feucht gehalten und z.B. in feuchte Tücher gewickelt, lässt er sich viele Tage lang gut bearbeiten. Vom ausgearbeiteten Tonmodell fertigt der Bildhauer ein Silikonnegativ an. Mit der Silikonform entsteht zuletzt ein Gipsmodell, das als 1 : 1-Vorlage für das zu schaffende Sandsteinwerkstück dient. Wesentliche Hilfe leistet dabei das Punktiergerät: Es handelt sich um ein aus Stangen und Gelenken zusammengesetztes, bewegliches Messgerät an einem Holzkreuz mit drei festen Punkten. Mit ihm lassen sich Formen und Position des Modells in Sandstein übertragen. Die Bildhauer erhalten so ein Netz von definierten Punkten, zwischen denen sie sich mit ihren Hieben bewegen. Manche unter ihnen arbeiten über alle Arbeitsschritte mit pressluftbetriebenen Eisen, wie Bildhauer ihre Meissel nennen. Andere wechseln für die letzten Feinarbeiten zu Eisen und Schlegel.

Feinarbeit am Fräsling

Bearbeitet wird nur noch selten der rohe Steinblock, sondern meist ein so genannter Fräsling: Das ist ein Sandsteinquader, in dem ein computergestützter Fräsroboter von Hofericks Lieferant Graser Natursteinwerke die gewünschte Figur schon in groben Konturen angelegt hat.

Für die Ausarbeitung von Details und Duktus werden davon nur noch einige Zentimeter Stein abgetragen; allerdings entscheidende Zentimeter, wenn man sieht, wie ausdrucksvoll, teils in verspielter Übertreibung barocke Meister etwa den Faltenwurf von Gewändern formulierten. Verglichen mit der süddeutschen Barock­skulptur besitze die norddeutsche Bauplastik einen temperamentvolleren Oberflächenduktus, meint Andreas Hoferick. Von Nahem betrachtet wirke er «fast ruppig». Aber für die Fernwirkung sei die gröbere Handschrift klar von Vorteil. Wie gross sind die Interpretationsspielräume, etwa bei Anatomie und Gesicht eines Adlers? «Wie beim Spielen klassischer Musik vom Blatt», antwortet Andreas Hoferick – also allenfalls minimal.

Für ihn und seine Kollegen bedeutet das eine schwierige Balance: Natürlich sollen Figuren wie jene der Clio oder der Apoll für den Schlüterhof des Schlosses einen kraftvollen, lebendigen Ausdruck erhalten; und doch schlagen die Bildhauerinnen und Bildhauer deren Körper und Gesichter höchst kontrolliert, quasi «mit angezogener Bremse» aus dem Stein – denn nicht Neuinterpretation sind gefragt, sondern perfekte Nachbildungen. «Wir haben keine frei gestaltenden Bildhauer gesucht, sondern traditionelle Kopisten mit hohem Einfühlungsvermögen in die zu erzeugende Formensprache», betont Kathrin Lange.

Die Fassade als Ganzes seiner Teile

Der Wunsch nach Vorbildtreue betraf auch den konstruktiven Teil der Fassadenrekonstruktion. Ein mit barockem Zierrat beklebter Betonkubus, wie mancher Kritiker spottete, ist das Schloss nicht. Vielmehr sind die Gesimse, Fenstergewände und Schmuckelemente nahtlos mit dem rund 64 cm starken Ziegelmauerwerk verzahnt, das den Gebäudekern aus Stahlbeton umgibt. «Wir hatten bei der Einbindung der Sandsteinelemente ins Mauerwerk das Ziel, diese auf traditionelle Weise über natürliche Auflast zu stabilisieren», erklärt Peter Westermann, der bei Franco Stellas Partnerbüro Hillmer & Sattler und Albrecht Projektleiter für die Gebäudehülle war.

Für gewöhnlich kragen Werksteine und Schmuckelemente nur um ein Drittel aus der Fassade hervor, während zwei Drittel in die Mauerwerkskonstruktion eingebunden sind. Bei grösseren Schmuckelementen seien zusätzliche Verankerungen in der rückwärtigen Konstruktion zum Einsatz gekommen – anders als beim alten Schloss nicht aus Eisen, sondern aus Edelstahl, um späteren Korrosionsschäden vorzubeugen.

Dunkle Überbleibsel des Originals

Ein kleiner Teil des Bauschmucks war 1950 vor der Sprengung des Schlosses geborgen worden. Wieder an ihrer ursprünglichen Stelle eingefügt, heben sich diese originalen Fragmente dunkel patiniert innerhalb des neu geschaffenen Sandsteinschmucks ab. Etwaige Beschädigungen, also zum Beispiel der abgebrochene Arm einer Figur, wurden jedoch als sichtbare Spur der Geschichte belassen.   
Bei Finessen wie dem Gefieder eines Adlers, so Lange, hänge viel davon ab, «wie jemand das Eisen im Stein führt», mit welchem Schwung man schlägt und ob man den Hieb im fertigen Objekt sieht. Im Barock sei es üblich gewesen, die Hiebe der Feinarbeit bei Skulpturen sichtbar zu belassen; in diesem Fall war einem Bildhauer die Schlagrichtung nicht vorgegeben.

Warum legte die Bauherrschaft Wert auf eine so akribische Nachbildung von Schmuckelementen, die oft weit entfernt vom Betrachter in der Fassade sitzen? «Unsere grundsätzliche Haltung ist, dass eine Rekonstruktion nur bei exzellenter Qualität gerechtfertigt ist, also mit grösstmöglicher Annäherung an die Originale», sagt Lange. Bei vorangegangenen Rekonstruktionsprojekten habe es merkwürdige Kompromisse gegeben, etwa die Vereinfachung von Details beim rekonstruierten Braunschweiger Schloss, oder der Fall des Potsdamer Schlosses, wo Originalfragmente besschnitten wurden, damit sie in die rekonstruierte Fassade des Gebäudes passen.   
Insbesondere in Nachbarschaft zu den Relikten des originalen Bildschmucks erschien eine maximale Vorbildtreue der Nachbildungen geboten. Die Fassadenrekonstruktion wurde in der Kategorie «Massive Steinelemente und Bauen im Bestand» mit dem Deutschen Natursteinpreis 2020 ausgezeichnet.

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