Lee­re als Chan­ce

In Bern fand eine Podiumsdiskussion zum Thema «Lebendiges Weltkulturerbe Bern. Leere Läden in der Innenstadt.» statt. Seit dem ursprünglich geplanten Termin der Veranstaltung im Herbst 2020 hat das Thema an Brisanz gewonnen.

Data di pubblicazione
10-05-2021

Die Veranstaltung fand im Rahmen der Reihe «Carte Blanche» statt, eingeladen hatten das Architekturforum Bern, NIKE und der SIA. Eine unbestrittene Erkenntnis war, dass Strategien zu einem konstruktiven Umgang mit dem Strukturwandel am besten gedeihen, wenn nicht nur Expertinnen und Experten aus Architekturkreisen einbezogen werden.

Neben Soziologie, Stadtentwicklung und Denkmalpflege kommt der Beteiligung von Eigentümerinnen und Ladenbesitzern, aber auch Anwohnenden, eine wichtige Rolle zu – Stichwort Partizipation. Um die verschiedenen Bedürfnisse und Ideen zusammenzubringen, schlug Lukas Buol (Buol& Zünd Architekten, Basel) die Verankerung von einem kuratorischen Prozess vor. Dessen Leitung könne in der Hand der Politik liegen.

In Bern sind bereits Überlegungen im Gang, wie die Rolle eines Gestaltungsbeirats in eine Rechtsform zu fassen ist. Aktuell möchte der Gemeinderat mit einer Teilrevision der Bauordnung die Bewilligung von Zwischennutzungen für die Dauer von fünf Jahren vereinfachen, wenn sie öffentliche Aufgaben erfüllen. Ausserdem wurde eine Anfrage verabschiedet, nach der in der unteren Altstadt in an die Lauben angrenzenden Räumen nur noch publikumsorientierte Nutzungen erlaubt wären. Die Abstimmungen zu den zwei Vorlagen finden voraussichtlich am 28. November 2021 statt.1

Auch der Soziologe Marcus Menzl von der TH Lübeck plädierte für eine Stärkung der Rolle des Staats als Organisator und Impulsgeber für kollektives Handeln. Dass dabei experimentelle Stadträume entstehen können, die nicht allen gefallen, sei denkbar. Hier sei dann die Präsenz der Denkmalpflege gefragt. Die Stadt müsse als zusammenhängender Raum begriffen werden. Dennoch wäre es bereichernd, wenn sich einzelne Strassenzüge von anderen in ihrer Dichte, ihrer Art der Öffentlichkeit unterscheiden. Strassen und Häuser in Kombination bilden die urbane Qualität, in die ergänzend zu dem zurückgehenden Einzelhandel «neue Erlebnisräume» einzubetten seien.

Die Herausforderung, für die noch wenige Lösungen vorliegen, liege darin, einen sinnstiftenden Inhalt für die Gemeinschaft zu entwickeln. Dass das erweiterte Spektrum nicht nur über die Angebote der Gastronomie lösbar ist, ist besonders aus Sicht der Anwohnenden nachvollziehbar. In der Berner Innenstadt sind ihnen per Gesetz die Dachgeschosse, bzw. die Räume ab dem 2. Obergeschoss vorbehalten. Zwar fehlen den Häusern häufig Freisitze, so dass der öffentliche Raum sowohl für die Ladenbesitzer als auch wohnbezogen als Terrassenersatz dient. Dennoch dürfe es hier nicht zu Abgrenzungen und Vereinnahmungen durch private Nutzungen kommen.

In Bern hat sich der fliessende Übergang zwischen innen und aussen, öffentlich und privat über die Jahrhunderte bewährt. Die Kleinteiligkeit der Stadt ist vorteilhaft für eine abwechslungsreiche Bespielung. Händler und Unternehmen passen ihr Angebot und Auftreten an die Stadtstruktur an und nicht umgekehrt.

Bernhard Aebi (Aebi & Vincent Architekten) plädierte dafür, auch Leerstand auszuhalten und ihn im Gegenteil als inspirierend und in dem dichten Kontext der Stadt als Chance zu betrachten. Die sofortige Möblierung von Flächen, die durch den Mobilitätsumbau frei werden, sei nicht immer gewinnbringend. Weiter stellte Aebi die These auf, dass die radikale Entkernung der ehemaligen Warenhäuser in Bern, wie sie in den 1960er- und 1970er-Jahren Usus war, heute auch Gelegenheit zum Umdenken schaffe. In den Erdgeschossen bietet sich die Rückbesinnung auf offene Höfe an, in den Obergeschossen sollten die raren Grossflächen innerhalb des Altstadtgefüges aber als solche erhalten und zum Beispiel für grössere Wohnungen nutzbar gemacht werden.

In der abschliessenden Frage von der Moderatorin Claudia Schwalfenberg (SIA) nach der Stadt im Jahre 2050 zeichneten die Beteiligten eine Vision von einem lebendigen Kommunikationsraum, dessen historisch gewachsene Atmosphäre spürbarer und sichtbarer sein wird als heute. Die Planenden erwarten, dass die Veränderungen der Strassen zugunsten des Langsamverkehrs die Möglichkeit bietet, den öffentlichen Raum freier und damit durch jeden Einzelnen gestaltbarer zu machen.

Anmerkung

1 https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/zwei-teilrevisionen-der-bauordnung-verabschiedet

Ein Video der Veranstaltung gibts hier.

 

 

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