Raum­nu­tzung tran­sfor­mie­ren

4. internationales Innenarchitektur-Symposium in Luzern

Wie lassen sich ehemalige ­Produktionshallen zu Theatern, Restaurants, Ausstellungsräumen oder Strukturen für ­Wissenschaft, Forschung und Lehre transformieren? Was geschieht mit Räumen, die auf ihren ­nackten Kern reduziert und für neue Nutzungen ausgebaut werden?

Data di pubblicazione
25-01-2018
Revision
25-01-2018

Unter dem Titel «Naked Space» ging das 4. internationale Innenarchitektur-Sympo­sium vom 7./8. Juni 2017 diesen Fragen nach, und zwar in den Räumen des umgenutzten Hallenbads «Neubad» in Luzern. Per Bild-Ton-Verbindung nahm auch der «Mobile Classroom», eine provisorische Raumstruktur in Tallinn (Estland), am Gespräch teil. Veranstalter dieses 4. SISU (Symposium of Interior Architecture and Spatial Use) waren die Vereinigung Schweizer Innen­architekten/-architektin­nen vsi.asai. mit der Hochschule Luzern (Technik und Architektur) und die Estonian Association of Interior Architects ESL mit der Estonian Academy of Arts.

Umnutzungen von Räumen rufen nach partizipativen Gestaltungsprozessen. Die Innenarchitektur sucht hier gemäss den Verantwortlichen des Symposiums Sybilla Amstutz (Luzern) und Tüüne-Kristin Vaikla (Tallinn), mit einem «re-dressing» neue Identitäten zu schaffen. Im Idealfall ergebe sich daraus ein Mehrwert für die gesamte Nachbarschaft. Denn ein radikales Umnutzen von Innenräumen, insbesondere bei grossen Strukturen, strahlt in die nähere und weitere Umgebung aus und kann einem Quartier zu einer veränderten Identität verhelfen.

Erhalten und erneuern

Die meisten Räume, die wir heute für Wohnen, Arbeit und Unterhaltung nutzen, wurden bereits vor einer oder mehreren Generationen geplant und gebaut. «Tabula rasa», bei null anfangen, ist nur mehr selten Thema von Architektur oder Innenarchitektur. «Tabula plena», die Arbeit mit bereits vorhandenen Elementen und deren Möglichkeiten für eine Umgestaltung, wird zunehmend zur Voraussetzung für die Raumgestaltung. Der Pädagoge, Schriftsteller und Designer Graeme Brooker (London) legte die daraus resultierenden Herausforderungen mit theo­re­tischen Betrachtungen und praktischen Beispielen eindrücklich dar. In seinen Grundsatzüberlegungen warb er dafür, diese Herausforderungen konsequent und in aller Breite anzunehmen. Brookers Plädoyer entspricht der Forderung, aus der Not immer eine Tugend zu machen.

Im Idealfall führen derartige Umnutzungen zu aufgewerteten Strukturen mitten im Bestand und entsprechen so einem nachhaltigen Umgang mit vorhandener Bausub­stanz. Allerdings sollten sich Investoren und Gestalter dessen bewusst sein, dass auch diese Eingriffe künftig erneut Veränderungen ertragen müssen. Denn schliesslich unterliegen die Ansprüche, Nutzungsbedingungen, Lebensgewohnheiten und auch die technischen Systeme für Energie, Medien und Licht stetiger Veränderung. Der ursprüngliche Bau mag für einen klar definierten Zweck geplant und gebaut worden sein – doch die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen, die das aktuelle Geschehen zunehmend prägen, dürften sich auch künftig fortsetzen und die Architektur und Raumnutzungen immer wieder neu fordern.

Innenarchitektur ­begründet Identität der Räume

Als Anwalt der Nutzer bezeichnete Thomas Wachter, Präsident des vsi.asai., die Innenarchitektur. Der hohe Nutzwert für die aktuellen ­Bedürfnisse steht dabei im Vordergrund. Damit unterscheide sich die Herangehensweise bei der Innen­architektur grundlegend von den Aspekten, die bei Architekturplanungen im Vordergrund stehen, betonte Wachter.

Die anschliessend präsentierten, bereits realisierten Beispiele zeigten klar, was damit gemeint ist: Umnutzungen von industriellen Produktionsstätten, von brachliegenden Arealen und Eingriffe in ungenutzte Orte im urbanen Raum. Innenarchitektur mag vielleicht nicht so augenfällig auftreten wie spektakuläre Architekturprojekte – umso mehr berührt sie den gelebten Alltag. Der Designer und Innenarchitekt Tom Bosschaert (Rotterdam) brachte das wie folgt auf den Punkt: «Unter Berücksichtigung des Klimaschutzes, der Gesundheit und der sozialen Gleichheit ändert sich unsere Haltung bezüglich bereits existierenden städtischen Infrastruk­turen und des Stadtgefüges. Wir projizieren die Auswirkungen unserer Handlungen von heute in die Zukunft. Während wir in Räumen wohnen, die in der Vergangenheit entstanden sind, agieren wir gleichzeitig in die Zukunft.»

Bedeutendes Entwicklungspotenzial für die Schweiz

Über 350 ehemalige Industrieareale mit 1820 ha Fläche werden in der Schweiz nicht oder bloss ungenügend genutzt (Statistik ARE, Amt für Raumentwicklung, Reporting 2008). Hierin liegt ein enormes Potenzial für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung. Wenn solche oft standortgünstig gelegenen Industriebrachen als innere Reserven konsequent genutzt werden, können sich Siedlungen nach innen entwickeln. Zu solchen Industriebrachen zählen auch unter­nutzte, grossflächige Infrastrukturgebiete und Militärareale. Rund 70 % der erhobenen Areale liegen in Agglomerationsgemeinden. 

Diese schweizweiten Entwicklungsreserven entsprechen etwa der Fläche der Stadt Genf und böten theoretisch Platz für 190 000 Einwohner und 13 000 Unternehmen (mit rund 140 000 Arbeitsplätzen). Das damit verbundene Geschossflächenpotenzial von 11.3 Mio. m2 entspricht der zwei­einhalbfachen jährlichen Neubauproduktion des Landes oder einem ­Investitionsvolumen von rund ­34 Mrd. Franken inklusive der angenommenen Landkosten. Solche Umnutzungen von Brachen lassen sich allerdings nicht immer leicht realisieren. Oft stimmen Raum­höhen und Gebäudemasse einfach nicht mit den Ansprüchen für z. B. Wohnen überein – Anlass genug, die eigenen Vorstellungen entsprechend zu überprüfen und infrage zu stellen. Oder die Brache liegt nicht in einer Wohnzone, was oft ein Anpassen des planungsrechtlichen Rahmens bedingt – bei den heutigen Verfahren ein Projektierungsrisiko. Zudem weist ein Fünftel dieser Areale Altlasten auf, deren Beseitigung die Umsetzungskosten erhöht. 

2019 ist eine nächste Ausgabe dieses Symposiums geplant, dann gemeinsam mit den übrigen Ausbildungsstätten für Innenarchitektur in der Schweiz.


Innenarchitekturstudium mit Praxisbezug

Der Leiter des 2017 neu gegründeten Instituts Innenarchitektur IIA an der Hochschule Luzern – Technik & Archi­tektur, Dominic Haag-Walthert, informierte über die Ziele dieser Institution. Das Institut Innenarchitektur erarbeitet und vermittelt Wissen zur qualitätsvollen Gestaltung des menschlichen Nahraums. Praxisorientierte Lehre und Forschung schaffen die Voraussetzung für Bauten mit hohem Gebrauchswert, Identität und Aufenthaltsqualität. Das IIA ist ein Institut für die Innenarchitekturausbildung und -forschung. Es verknüpft disziplinäres und interdisziplinäres Wissen mit breiter Erfahrung, immer aus­gerichtet an realen Aufgabenstellungen und den Anforderungen der Berufspraxis.

Das IIA verfügt als einzige Ausbildungsstätte der Schweiz über eine Forschungsgruppe für Innenarchitektur. Es versteht die Innenarchitektur als Schnittstelle zwischen Mensch und gebauter Umwelt und damit als kleinsten Massstab des Bauwesens. Die nutzerzentrierte Betrachtung des Planens und Bauens ist dabei immer handlungsleitend.

 In der Ausbildung sind Dozierende des Instituts aktiv in allen interdisziplinären Unterrichtseinhei­ten des Fachbereichs Bau involviert. Die Innenarchitektinnen und -architekten sind als Einzelmitglieder und über die Fachvereinsmitgliedschaft der vsi.asai. mit dem SIA verbunden.

Die am Anlass ausgestellten Bachelorarbeiten 2016 von Studie­renden zum Kulturraum Vis­cosi in Emmenbrücke illustrierten diesen ­praxisbezogenen Ansatz eindrücklich. Teile eines historischen Industrie­areals werden in den nächsten Jahren zur Viscosistadt ver­wan­delt. In den Backsteinbauten aus den 1930er-Jahren soll gearbeitet, gewohnt und studiert werden. Die angehenden Fachleute der Innenarchitektur entwarfen einen Treffpunkt, an dem Kultur, Kulinarik und Unterhaltung zusammenfliessen sollen. Ein Raum mit bis zu 7.5 m Höhe, mit zwei unterschiedlichen Ebenen und zwei Betonstützen bot einen markanten Ort. Die Studierenden wählten eine Nutzung aus den drei Bereichen Bühne & Veranstal­tung, Gastronomie & Kulinarik oder Verkauf & Präsentation. Zwei Projekte erhielten dabei den Förderpreis des vsi.asai.

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