Eh­ren­dok­to­ren­ti­tel für zwei Ar­chi­tek­ten

Auszeichnungen am ETH-Tag 2017

Am diesjährigen ETH-Tag wurden fünf Ehrendoktortitel verliehen. Zwei gingen an die Architekten Bruno Reichlin und Fabio Reinhardt. Der folgende Text ist die Laudatio, die Laurent Stalder, Vorsteher des ETH-Instituts Geschichte und Theorie der Architektur gta, an der Verleihung vorgetragen hat.

Data di pubblicazione
22-12-2017
Revision
22-12-2017

Vielleicht mehr als in anderen Bereichen materialisieren sich in der Architektur die Sehnsüchte und Herausforderungen einer Zeit, und doch wirken sich diese Zeitzeichen in der Architektur zugleich dauerhafter aus. Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen nennen wir Kultur. Ihr gerecht zu werden, haben sich Bruno Reichlin und Fabio Reinhart in ihrer Arbeit verpflichtet: als eigenständige Architekten, Hochschullehrer und kritische Intellektuelle, wie auch als kurzweilige Büropartner.

Fabio Reinhart ist als Hochschullehrer verantwortlich für die Einführung einer neuen Methode des Entwerfens am Departement Architektur der ETH Zürich, die zunächst auf Widerstand stiess. Die daraus resultierenden Arbeiten der Studierenden, die unter dem Titel «Analoge Architektur» zusammengefasst wurden, sollten jedoch bald in ganz Europa einflussreich werden. Und sie sind es bis heute noch. Als Antwort auf eine zunehmende Reduktion der Architektur auf vermeintlich «objektive» Parameter erhob Fabio Reinhart den Anspruch nach einem ganzheitlichen Verständnis der Architektur, das nicht nur das einzelne Bauwerk, sondern die gesamte bebaute wie unbebaute Umwelt, das Alte wie das Neue umfasst. Diesem umfassenden Anspruch gegenüber stand eine genauso klare Vorstellung der Architektur als eigenständige Disziplin mit ihren eigenen Regeln, die im konkreten Entwurf ihre Überprüfung in der Realität finden mussten.

Linguistik und Entwurf

Während sich Fabio Reinhart zuerst und vor allem über den architektonischen Entwurf mit einer kohärenten Architekturlehre auseinandergesetzt hat, erhob Bruno Reichlin seinen Anspruch auf eine den Arbeiten in der Linguistik verwandten Theorie des Entwerfens – und dies bereits mit seinen ersten Texten in den frühen 1970er-Jahren. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Frage, inwieweit sich die Architektur auf eine systematisch erarbeitete und nachvollziehbare wissenschaftliche Grundlage zurückführen lässt.

Einem allzu simplen Determinismus, wie er vorschnell aus den neuen Bautechnologien oder engen programmatischen Vorgaben abgeleitet wird, stellt er eine Auseinandersetzung gegenüber, die der Architektur in ihrer ganzen Bandbreite und historischen Tiefe nachgeht – von den technischen Bedingungen über ihren Gebrauch bis zur Ästhetik. Insbesondere mit seinem «genealogischen» Ansatz hat er methodologisch neue Wege auf dem Gebiet der Architekturgeschichte vorgezeichnet. Sie mündeten in wegweisende Aufsätze, Buchpublikationen und Ausstellungen zur Geschichte und Theorie der Architektur und Kunst des 20. Jahrhunderts sowie in der Theorie der Denkmalpflege.

Gemeinsames Werk von Reichlin und Reinhart

Das architektonische Werk schliesslich, das Bruno Reichlin und Fabio Reinhart während etwas mehr als 15 Jahren als Büropartner schufen, fand bereits mit ihren ersten Entwürfen internationale Beachtung. Die höchste architektonische Dichte erreichten ihre Restaurationsprojekte. In ihnen kommt die kognitive Dimension besonders deutlich zum Ausdruck, die sich aus der wissenschaftlichen, das heisst kunstgeschichtlichen wie denkmalpflegerischen Analyse ergab, sowie die kritische Dimension, die sich bereits im Entwurf zeigte. Die Arbeit im Büro kann denn auch in den Worten Le Corbusiers als eine «recherche patiente» verstanden werden, welche die beiden Architekten Erkenntnis suchend und mit einer besonderen Leidenschaft durchführten. Die architektonische Praxis sollte wiederum ihre theoretischen Arbeiten befruchten.

Mit dieser Ehrung hält sich das Architektur-Departement auch einen Spiegel vor Augen, der über die eigenen Ansprüche Auskunft gibt. Denn die Verleihung der Ehrendoktorwürde zeichnet nicht nur zwei zentrale Persönlichkeiten in der Architektur des ausgehenden 20. Jahrhunderts aus, sondern dient auch als Anerkennung für eine ausserordentliche Arbeit in Forschung, Lehre und Praxis. Ihr nachhaltiger Erfolg lässt sich mehr als dreissig Jahre später in der Qualität der Architektur der direkten und indirekten Schüler von Bruno Reichlin und Fabio Reinhart messen – in der Schweiz und im Ausland. Fabio Reinhart und Bruno Reichlin zu beehren, ist für das Departement eine besondere Freude.

Prof. Bruno Reichlin
in Würdigung seiner ausserordentlichen Verdienste für die Architektur als einflussreicher Historiker, Theoretiker, Denkmalpfleger und Architekt. Als Architekt, Architekturhistoriker und -theoretiker gehört Bruno Reichlin zu den bedeutendsten Persönlichkeiten in der Schweizer Architektur der jüngeren Vergangenheit. In seinen zahlreichen Schriften und international vielbeachteten Ausstellungen, die der Architektur in ihrer ganzen thematischen Breite und historischen Tiefe nachgehen, hat er neue methodische Ansätze auf dem Gebiet der historischen Forschung in der Architektur vorgezeichnet. Mit seinem architektonischen Werk, das sich durch seine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Regeln der Disziplin auszeichnet und als Vorwegnahme einer kritisch verstandenen Postmoderne gelten kann, hat er zusammen mit Fabio Reinhart einen wegweisenden Beitrag zur internationalen Architekturdebatte geleistet.

Fabio Reinhart
in Würdigung seiner ausserordentlichen Verdienste für die Architektur als einflussreicher Hochschullehrer und Architekt. Als Architekt und Hochschullehrer hat Fabio Reinhart die jüngere Architektur in der Schweiz wesentlich mitgeprägt. Er war verantwortlich für die Einführung einer neuen Entwurfsmethode am Departement Architektur der ETH Zürich, die als «Analoge Architektur» massgeblichen Einfluss auf eine Generation international tätiger Architekten ausüben und weit über die Schweiz in die Welt ausstrahlen sollte. Mit seinem architektonischen Werk, das sich durch seine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Regeln der Disziplin auszeichnet und als Vorwegnahme einer kritisch verstandenen Postmoderne gelten kann, hat er zusammen mit Bruno Reichlin einen wegweisenden Beitrag zur internationalen Architekturdebatte geleistet.

Die weiteren Ehrendoktoren

Dr. Richard Henderson, FRS – in Anerkennung seiner bahnbrechenden Arbeiten in der Entwicklung der Elektronenmikroskopie zur hochauflösenden Strukturbestimmung biologischer Makromoleküle.

Prof. Dr. Françoise Brochard-Wyart – für ihre grundlegenden Einblicke in die Phänomene der Kapillarität und deren Anwendung in lebenden Systemen.

Prof. Dr. Kip S. Thorne – für seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen, insbesondere seine entscheidenden Beiträge zur Entdeckung von Gravitationswellen, sowie für seine ausserordentlichen Bemühungen, die Grundlagenwissenschaften der Öffentlichkeit näherzubringen.

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