Das In­fer­no als Chan­ce

Wiederaufbau der Altstadthäuser in Steckborn TG

Seit einem Grossbrand klafft in der Altstadt von Steckborn eine Lücke. In einem Wettbewerb suchten Behörden und Eigentümer gemeinsam nach angemessenem Ersatz für die fünf Häuser. Das Büro Pater aus Zürich ­formulierte eine sorgfältige Antwort auf das anspruchsvolle Programm.

Data di pubblicazione
03-02-2017
Revision
03-02-2017

Das Zentrum von Steckborn wurde Opfer der modernen Technik: Am 21. Dezember 2015 fing ein Hochleistungsakku Feuer und setzte mitten in der historischen Altstadt eine ganze Häuserzeile in Brand. Drei Tage und zwei Nächte kämpfte die Feuerwehr gegen die Flammen, der Schaden belief sich laut Polizei auf sechs Millionen Franken, sechs Liegenschaften wurden in Mitleidenschaft gezogen, drei Personen mussten mit Rauchvergiftungen ins Spital gebracht werden, 30 Bewohnerinnen und Bewohner blieben ohne Obdach. Die beiden Häuser an der Seestrasse 101 und 103 brannten komplett ab, das Gebäude mit der Nummer 105 blieb schwer beschädigt stehen, und vom Eckhaus an der Kreuzung von Seestrasse und Kirchgasse blieben zwei Geschosse übrig.

Genau ein Jahr später liegt nun ein Projekt vor, das diese Lücke schliessen soll. Es ist das Resultat eines offenen Wettbewerbs, an dem 69 Büros teilgenommen hatten – ein aussergewöhnlich schnelles ­Verfahren angesichts der kom­plizierten Besitzverhältnisse und der hohen gestalterischen Ansprüche. Dies war möglich, weil Eigentümer und Behörden am gleichen Strang zogen: Unmittelbar nach dem Brand nahmen sie den Wiederaufbau gemeinsam in Angriff und unterstrichen damit, dass sie die Kluft im Stadtgefüge möglichst schnell und qualitativ hochstehend wieder schliessen möchten.

Die Stiftung Ortsbild Steckborn initiierte den Wettbewerb und vertrat die Grundeigentümer. Das kantonale Hochbauamt organisierte das Verfahren und koordinierte die betroffenen Fachstellen. Drei der vier Eigentümer willigten ein, ihre Liegenschaft in einem gemeinsamen Wettbewerb zu entwickeln – lediglich das Haus an der Seestrasse 105 soll im gleichen Ausmass wieder erstellt werden und war deshalb nicht im Perimeter des Wettbewerbs enthalten.

Schwierige Ausgangslage

Wie in den meisten Altstädten waren die Bedingungen für einen Neubau anspruchsvoll: Die Parzellen sind tief und verwinkelt; die Bestandsbauten waren schmal, die Grundrisse zusammengewürfelt und dunkel; in den dichten Ortskernen mangelt es an attraktiven Aussenräumen. Zudem bringen die hohen und geschlossenen Dächer ein grosses Volumen, das nur schlecht bewirtschaftet werden kann. Wer ein Haus in der Altstadt besitzt oder ­darin wohnt, lässt sich auf viele Kompromisse ein.

Die Tragödie bot nun die ­Gelegenheit, den historischen Stadtkern mit modernen Wohnkonzepten anzureichern. Das Potenzial dazu ist vorhanden: Bereits vor sechs Jahren bewiesen Staufer & Hasler Architekten mit dem Mehrfamilienhaus an der Kirchgasse 12, dass in der Altstadt durchaus Platz für zeit­genössische Bauten ist. Als Mitglied der Jury konnte Büroinhaber ­Thomas Hasler den damals eingeschlagenen Weg nun in unmittelbarer Nachbarschaft weiter begleiten.

Das Ensemble der abgebrannten Häuser bot einige Herausforderungen für den Wettbewerb. An erster Stelle ist die städtebaulich exponierte Ecksituation zu nennen, die die Identität des Orts prägt. Sie liegt direkt einem kleinen Platz gegenüber, an dem das Rathaus steht. Ebenso anspruchsvoll war die ­Ausgestaltung der Grundrisse des Eckhauses: Da es an beiden Seiten an die angrenzenden Häuser anschliesst, ist die Oberfläche zum Innenhof sehr klein. Wie lassen sich bei diesen tiefen Gebäuden attraktive Wohnungen erstellen? Und auf welche Weise kann der Innenhof für Aussenräume genutzt werden?

Auf städtebaulicher Ebene war hauptsächlich zu klären, ob die Häuser als Ensemble oder als eigenständige Bauten erscheinen sollen. Sie mussten sich in ihre historische Umgebung eingliedern: sowohl bezüglich der Fassaden als auch der Dachlandschaft. Die fünfte Fassade ist für Steckborn enorm wichtig, da das Städtchen vom Seerücken aus gut zu sehen ist.

Feinfühlig neu interpretiert

Das Siegerprojekt «L’Aquilino» von Büro Pater aus Zürich greift die ­historische Gliederung auf und unterteilt das Volumen in fünf ablesbare ­Häuser. Diese reagieren jeweils unterschiedlich auf die spezifische Situation, in die sie eingepasst sind. Besonders klar zeigt sich das an der Ecke Seestrasse / Kirchgasse: Das Volumen ist plastisch durch­gearbeitet und variantenreich gegliedert. Über einem Sockel mit Rundbögen, der einen überdachten Aussenraum bietet, zeigt es Ge­schosse mit schön proportionierten Fenstern, die sich am Duktus des ursprünglichen Hauses orientieren. Der obere Abschluss der Ecke ist aufgelöst: Mit einer Loggia und einer Terrasse nutzt das Haus seine städtebaulich exponierte Lage für eine zurückhaltende und dennoch klare Geste. Durch die Teilung des Baus an der Seestrasse 99 in zwei unterschiedlich ausgestaltete Volumen wird die Ecke zusätzlich betont.

Mit dem gleichen Raffinement führt der Autor des Projekts die Reihe fort. Die Fassaden fügen sich trotz ihrer Höhe überzeugend und sorgfältig in den Strassenzug ein. Ihr feingliedriger Ausdruck lässt den grossen Fensteranteil vergessen, durch die angedeuteten Aufbauten erscheinen die Häuser weniger hoch. Auch dabei zeigt sich der Autor sehr trittsicher. Einzig die zurück­springende Attika von Haus 101 zeigt für den kleinen Ort ein forciert städtisches Motiv. Ganz anders gebärden sich die Häuser zum Innenhof hin. Die aufgelösten Volumen stellen sich in den Dienst des Wohnens und bieten die nötigen Aussenräume. Der Entwurf bleibt vage bezüglich der Ausgestaltung des Hofs. Die Grundrisse zeigen jedoch die gleiche Sorgfalt wie die Fassaden: Jede Situation führt zu spezifischen Lösungen, in denen die Autoren unaufgeregt und mit bewährten Rezepten die Qualitäten der jeweiligen Situation heraus­schälen.

Die sorgfältige Arbeit an ­bekannten Themen ist die heraus­ragende Eigenschaft des Siegerprojekts – unter diesen Voraussetzungen erstaunt das etwas grelle Farbkonzept, das der Autor vorgeschlagen hat. Die Jury empfiehlt denn auch, bei den Farben etwas mehr Zurückhaltung an den Tag zu legen.

Punktuell radikal

Die beiden anderen Projekte in der Endrunde weisen einzelne Stärken auf, in der Gesamtschau überzeugen sie jedoch nicht komplett. Auf Rang drei zeigen Squadrat Architekten aus Zürich mit «Janus A» spannende und radikale Grundrisse, die einen durchgehenden Raum entlang der Seestrasse bieten. Auch im Innen­hof zieht ein zeitgenössischer Geist ein. In den Fassaden zur Seestrasse zeigt sich diese Radikalität jedoch nicht. Die Autoren zitieren den Bestand zwar auf hohem Niveau, letztlich wirkt dies aber etwas mutlos.

Auf dem zweiten Rang würdigt die Jury das Projekt «Arnika» von cgf architektur aus Wald, das die beiden geretteten Stockwerke behält und darauf aufbaut. Das Leitmotiv bilden zwei angedeutete Aufstockungen, mit deren Hilfe die Autoren die Volumen rhythmisieren. In der Ecke bricht dieser Aufbau krass mit der Logik der restlichen Fassade, indem er zwei kleine Fenster symmetrisch neben einem grossen französischen Balkon zeigt. Zusammen mit dem Flachdach über diesem Teil besetzt das Haus damit unübersehbar die Ecke. Um dieses Aussage zu unterstreichen, sind die angrenzenden Gebäude auf drei Stockwerke begrenzt, wodurch hohe Dachstühle entstehen – mit entsprechend vielen Dachflächenfenstern. Eine zweite Aufstockung wiederholt das Motiv in kleinerer Form im Haus an der Seestrasse 101. Dort erscheint die Absicht hingegen weniger klar als an der exponierten Ecke.

Auf dem richtigen Weg

Ein Streifzug durch die eingereichten Arbeiten zeigt die enorme Bandbreite der vorgeschlagenen Lösungen. Die Gipsmodelle belegen die Lust der Büros, mit den Dachformen zu spielen: Die Bandbreite reicht von polygonalen Stadtkronen bis hin zu überspitzten Giebelmotiven. Darin zeigt sich das grosse Potenzial, das in diesem gemeinsamen Vorgehen von Eigentümern und Behörden steckt. Ihnen sei an dieser Stelle ein Kränzchen gewunden: Der ­Wettbewerb ist ein entscheidender Schritt hin zum qualitätvollen Wiederaufbau des Ortskerns. Erfolgt die Umsetzung nun mit der gleichen Sorgfalt, dann wurde der Schicksalsschlag als Chance genutzt, dem reizvollen Städtchen ein Stück ­Gegenwart einzuschreiben.

Weitere Informationen über die Altstadthäuser in Steckborn TG finden Sie unter der Rubrik Wettbewerbe.

Auszeichnungen
 

1. Rang «L’Aquilino»: Büro Pater, Zürich

2. Rang «Arnika»: cfg Architektur, Wald; von Pechmann Landschaftsarchitekten, Zürich

3. Rang «Janus A»: Squadrat Architekten, Zürich

 

Jury


Werner Binotto, Architekt, St. Gallen (Vorsitz)
Bernhard Furrer, Architekt, Bern
Thomas Hasler, Architekt, Frauenfeld
Sabine Hutter, Architektin, St. Gallen

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