Ge­form­tes Trag­werk

Tragende Sekundärstruktur

Die als Konzerthaus genutzte Alte Kirche Boswil hat ein neues Foyer. Architekt Gian Salis konzipierte ein leicht geschwungenes Holzdach mit verglasten Wänden. Das Tragwerk besteht aus sichtbaren Lamellen.

Publikationsdatum
01-06-2017
Revision
25-01-2018

Die auf einem ummauerten Moränenhügel am Dorfrand von Boswil im Aargau stehende, ehemals römisch-katholische Pfarrkirche ist seit 1913 profaniert. Nachdem sie über Jahre dem Künstler Richard Arthur Nüscheler als Atelier gedient hatte, ging sie 1953 in den Besitz der «Stiftung Alte Kirche Boswil» über. Das historische Ensemble mit der Kirche, der Odilokapelle und dem Alten Pfarrhaus gehört der Stiftung und nennt sich heute «Künstlerhaus Boswil». Hier treten regelmässig international bekannte Künstler auf, was ein Publikum von weit über die Region hinaus anzieht. 2014 wurde ein Studienauftrag für ein Foyer ausgeschrieben. Der mit dem Projekt beauftragte Architekt Gian Salis und der Ingenieur Walter Bieler spannten von Beginn weg zusammen.

Das Foyer als Dach mit Glasparavent

Eigentlich ist ein Foyer ein geschlossener Vorraum für Theater- oder Konzertsäle. In Boswil ist das anders. An der Südseite des Baus steht nun ein 15 m breites und 9 m ausschwingendes Holzdach, getragen von vier Holzsäulen und ummantelt mit einem Glasparavent. Das an den Ecken und über der Treppe aufgewölbte filigrane Lattenwerk, das wie ein vom Wind bewegtes Tuch wirkt, bildet das Tragwerk. Es ist ein kleines Wunderwerk der schöpferischen Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur, die im Duo Formgebung und Konstruktion überzeugend zusammengeführt haben. An sich ist dieses Bauwerk einfach gestaltet.

Die Betonarbeiten zum Unterfangen der Kirchenmauer und die Arbeiten für die Bodenplatte, die die historischen Mauerreste überbrückt und gleichzeitig als Sitzbank dient, bewegen sich im Rahmen des Alltäglichen. Auch die Spannweite des Dachs von 9 m ist bescheiden. Das Spezielle daran sind der Trägerquerschnitt, die vielfältige Bindergeometrie und die aus gestalterischen Gründen gewählte Wölbung über der neuen Zugangstreppe. Die Geometrie der Binderuntersicht für das Foyer erforderte 46 unterschiedliche Trägerformen in Brettschichtholz der Festigkeitsklasse GL 24h. Da der kleinste Trägerradius nur 4 m misst, kamen Lamellen von bloss 20 mm Stärke statt der üblichen 40 mm zum Einsatz. Die Binderbreite beträgt lediglich 60 mm. Ein Trägerquerschnitt von 60/320 mm und der Raster von 30 cm stellen die Tragfähigkeit sicher. Allerdings reicht dies für die zulässige Deformation nicht aus.

Statik integriert in die Architektur

Der Wille, die Untersicht der Decke mit gleichbleibend breiten Lamellen zu gestalten, und das beschränkte Mass zwischen dem Türsturz beim Eingang und dem darüber liegenden Kirchenfenster schloss einen erhöhten Trägerquerschnitt aus. Stattdessen sind die beidseitig flankierenden Bohlen der Binder von je 60/120 mm mit den Hauptträgern schubfest verbunden, dies in der Fuge von 40 mm mit Verbindungsklötzen im Abstand von je 50 cm. Die Bohlen sind damit in die statische Berechnung miteinbezogen. So wird die Deformation um 37 % verringert, und das Tragwerk erfüllt die vom SIA empfohlenen Werte. Die Binder sind über ein verdecktes Einhängesystem an die Fassade der Kirche angehängt und liegen am Dachende auf einem in der Konstruktion integrierten, nicht sichtbaren Stahlträger auf, der die Last über die vier Brettschicht­holzsäulen abträgt. Dadurch wirkt das Dach leicht und schwebend.

Ingenieur Walter Bieler betont, dass der Entscheid für die Lastaufteilung der Binder konzeptionell den Vorteil aufweist, dass sämtliche Träger, also auch jene mit den bescheidenen Querschnitten von 60/120 mm, über die gesamte Spannweite von 9 m statisch aktiv sind. Von unten gesehen wirkt die Dachstruktur wie eine flächige, leichte Bohlenkonstruktion. Es handelt sich indes um ein von unten sichtbares Tragwerk, bei dem jeder Stab hilft, das Foyer zu überspannen. Das statische Konzept integriert sich damit wirkungsvoll in die architektonische Gestalt.

Entwurf und Realisierung im Duett

Gian Salis und Ingenieur Walter Bieler entwickelten das Konzept für den Holzschirm. Dabei war die Dachkonst­ruktion der wohl wichtigste Teil. Aber auch der Treppenaufgang aus dem regional ab­gebauten Mägenwiler Muschelkalk zur verbreiterten Doppeltür des Konzert­raums mit dem integrierten Behindertenlift und der nebenan liegende Abgang zu den neuen Sanitäranlagen im Untergeschoss sind auf elegante, funktionale und selbstverständlich wirkende Weise gestaltet. Im Foyer finden die Garderoben und eine mit schwarz glänzendem Urushi lackierte Holztheke Platz.

Der Raum ist mit Verglasungen in filigranen Metallprofilen versehen. Doppeltüren öffnen sich beidseitig als Zugang und zum Garten. Das Foyer ist den Vorschriften entsprechend gedämmt und im Winter beheizt. Bei schönem Wetter und beidseitig geöffneten Türen wirkt es wie eine mit einem Schattendach gedeckte Terrasse mit Blick auf die Bünzebene. Das Holzdach verleiht dem Raum eine angenehme Akustik, und nachts sorgen die speziell entworfenen, mundgeblasenen Glasleuchten für ein festliches Ambiente.

Die Alte Kirche Boswil hat mit diesem Eingriff eine sinnvolle und überzeugend gestaltete Erweiterung erhalten. Bleibt zu hoffen, dass auch die im selben ­Studienauftrag wie das Foyer von Architekt Gian Salis erarbeiteten Ausbaupläne für das zum Ensemble ge­hörende Sigristenhaus in absehbarer Zeit zu verwirklichen sind.

Weitere Artikel zum Thema Holzbau finden Sie in unserem E-Dossier unter espazium.ch/holzbau.

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