Ras­ter und Punkt

Vor fünfzig Jahren weideten noch Schafe und Kühe auf den Wiesen zwischen Lausanne und Ecublens, auf denen sich heute der Campus der Université de Lausanne (Unil) und der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) erstreckt. Beide Schulen – in den Anfängen separat, dann ab 1869 gemeinsam – waren einst in Altbauten im Stadtzentrum eingepfercht. Hundert Jahre später erfolgte nicht nur die neuerliche Trennung, sondern auch der Auszug aus der Innenstadt. Was anfangs auf die grüne Wiese verbannt zu sein schien, gewinnt inzwischen mehr und mehr Urbanität.

Date de publication
28-11-2013
Revision
30-10-2015

1969 fielen drei Entscheidungen: Die Ecole Polytechnique de l’Université de Lausanne (EPUL) wurde in eine der ETH Zürich angeschlossene eidgenössische Institution mit der Bezeichnung Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) umgewandelt, von der Universität de Lausanne (Unil) losgelöst und gemeinsam mit dieser in die Agglomeration verlegt.1 Die bauliche Entwicklung teilt sich in drei Phasen auf.2 

Die erste Etappe folgte einem Raster, der gleichzeitig eine klare Gliederung und innerhalb dieser eine dynamische Flexibilität gewährleisten sollte. Die zweite brach mit diesem Raster und suchte ihn mittels Diagonalen aufzuweichen. Die dritte, heutige Strategie oszilliert zwischen passgenauen Solitären und einer Reparatur des ursprünglichen Masterplans. Damit widerspiegeln diese Phasen nicht nur wechselnde Tendenzen in der Planung. Sie dokumentieren auch Veränderungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Hochschule. Das Resultat ist ein Patchwork aus unterschiedlichen Architekturstilen, die deutlich die Sprache ihrer jeweiligen Zeit sprechen.

Phase 1: auf der grünen Wiese (im Plan rot)

1970 wurde der Wettbewerb für den Masterplan für die EPFL ausgelobt, 1978 fanden auf dem neuen Gelände die ersten Vorlesungen statt. Der Masterplan war das Resultat eines vom Bund organisierten Wettbewerbs. Ihm ging eine bewegte Diskussion voraus, denn es lag bereits ein Überbauungsplan vor, der 1968 von einem Team um Professor Pierre Foretay entworfen worden war. Nachdem die nunmehr eidgenössische Hochschule in die Zuständigkeit des Bundes fiel, beharrten dessen Behörden jedoch auf einem Wettbewerb, der unter sieben eingeladenen Teams ausgelobt und vom Zürcher Architekturbüro Jakob Zweifel (1921–2010) und Heinrich Strickler (1922–2010) gewonnen wurde.3 Die beiden skizzierten einen strukturalistischen Plan, der auf der strikten Trennung der Verkehrswege basierte – die Autos fahren auf Terrainniveau, die Fussgänger bewegen sich auf Passerellen, die die Gebäude miteinander verbinden. Das Credo lautete: Flexibilität, Vielfalt der Nutzung, Variabilität, Wachstum, Einführung neuer Bautechniken, Realisierung neuer architektonischer Ausdrucksweisen.

Dazu legten sie ein weitmaschiges Netz aus quadratischen Feldern von 87.60m über den gesamten Perimeter, in das sich ebenso clusterartige Strukturen wie Hochhäuser einschreiben lassen sollten. Die Bauten der ersten Etappe, die das Zürcher Büro realisieren konnte, waren wiederum nach einem Raster von 7.20m in Nord-Süd- und in West-Ost-Richtung gegliedert – mit Ausnahme der Versuchshallen, wo er auf 14.40 bis 21.60m gedehnt wurde.4
Die Bauarbeiten begannen 1974, die ersten Gebäude wurden 1977 bezogen, und im Herbst 1978 startete der Lehrbetrieb. Zwei markante Achsen prägen die erste Etappe von 1974 bis 1983: Von Norden nach Süden orientiert, trennt die heutige Avenue Piccard die beiden Gebäudecluster, die mit einer Art Rückgrat die Ausrichtung von West nach Ost definieren. Wie Finger docken die Fakultäten, Institute und Labors an diesen Riegel an. Dort, wo die beiden Hauptachsen aufeinandertreffen, überbrückt das Gebäude die Strasse auf einer Höhe von acht Metern. 

Phase 2: Erweiterung der Regel (im Plan gelb)

Eine Änderung dieses Plans läutete die zweite Phase ein: Der Zugang zum Gelände wurde nach Westen verlegt – daher zeigt die Avenue Piccard heute ins Nichts – und die Esplanade als neues Zentrum der Anlage gestaltet. Aus politischen Gründen wurden für die Entwicklung der nächsten Etappe nicht mehr Jakob Zweifel und Heinrich Stickler hinzugezogen, sondern es wurde ein Ideenwettbewerb unter Westschweizer Büros veranstaltet. 

Elf Arbeitsgemeinschaften wurden mittels Präqualifikation für das Verfahren ausgewählt. Bernard Vouga in Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Cahen und Michel-Robert Weber hiessen die Gewinner des Wettbewerbs. Sie schlugen zwei diagonale Achsen vor, die von der Place de l’Esplanade ausgehend die beiden Ecken im Südwesten und Nordwesten erschliessen. Realisiert wurde indes lediglich die Achse gegen Südwesten und die daran anschliessenden Gebäude, der Bauplatz im Norden blieb vorläufig unbebaut. 

Phase 3: Passstücke und Lückenfüller (im Plan blau)

Der dritten Etappe liegt ebenfalls eine Veränderung der Rahmenbedingungen zugrunde. Die Linienführung der Tramway du sud-ouest lausannois, der heutigen M1, wurde 1986 festgelegt und der Bahnhof im Nordwesten des Campus angeordnet. Damit veränderte sich erneut der Zugang zum Gelände.

In einer ersten Etappe war vorgesehen, die Haltestelle durch einen Neubau mit der Esplanade zu verbinden. Ein zweistufiger Wettbewerb wurde 1992 ausgelobt mit dem Ziel, die Tugenden des ursprünglichen Masterplans wieder aufzunehmen: Das neue Projekt sollte wieder klare und einheitliche Strukturen schaffen. Dolf Schnebeli, Flora Ruchat, Tobias Ammann und Sacha Menz gewannen den Wettbewerb und errichteten von 1996 bis 2002 einen Gebäudekomplex, der einen Eingang zum Gelände formt und in klaren Linien einen Platz fasst. Er orientiert sich an den Strukturen des Masterplans, agiert aber mit städtischen Elementen.

Die weiteren Bauten dieser dritten Phase waren punktuelle Erweiterungen, die keine Anpassung des Masterplans nach sich zogen: das Bâtiment des communications (2000–2004) von Rodolphe Luscher, die Erweiterung der Fakultät Sciences de la Vie von Patrick Devanthéry und Inès Lamunière (2005–2008) und schliesslich das Rolex Learning Center nach Plänen von Sanaa, das 2010 eingeweiht wurde. Gegenwärtig befindet sich auf der Rückseite des Bahnhofs das Kongresszentrum mit Wohnungen für Studierende von Richter Dahl Rocha im Bau. Dieselben Architekten entwarfen auch den Wissenschaftspark im Süden des Geländes.

Spagat in Raum und Zeit

Die jüngsten Projekte stammen von Dominique Perrault und Kengo Kuma in Zusammenarbeit mit Holzer Kobler Architekturen. Perrault schlägt zur Stärkung des Campuscharakters drei unterschiedliche Projekte vor, die Teil einer einheitlichen Strategie sind: Die ehemalige Bibliothek ist bereits zum neuen Verwaltungszentrum umgebaut, das mechanische Labor wird erweitert und soll dereinst um seinen geräumigen Innenhof herum Platz für mehrere Fakultäten bieten.

Für seinen dritten Vorschlag werden gegenwärtig die finanziellen Mittel geäufnet: Das Projekt der «Teaching Bridge», mit dem er 2011 den Wettbewerb gewann, soll bis 2017 die alte Überdachung an der Avenue Piccard ersetzen. Das zerklüftete Gebäude übernimmt den ursprünglichen Raster der ersten Etappe von Zweifel und Strickler von 7.20 m, schreibt dessen clusterartige Struktur fort und dockt auf der West- und der Ostseite an deren Bauten an. Es schafft im wahrsten Sinn des Worts den Spagat zwischen den 1970er-Jahren und der Gegenwart. Einen vorläufigen Endpunkt bildet der Ausstellungspavillon von Kengo Kuma und Holzer Kobler Architekturen, der bis Herbst 2014 erstellt werden soll. 

Anmerkungen

  1. Treibende Kraft der Aufwertung zur eidgenössischen Hochschule war Maurice Cosandey, der 1963 Direktor der Schule wurde, in: Francesco Della Casa, Eugène Meiltz: Rolex Learning Center, Lausanne, 2010, S. 50.
  2. Unité et diversité des bâtiments de l'EPFL
  3. Vgl. «Sieben Projektaufträge für die ETH-L in Dorigny», in: Werk, 57 (1970), H. 10, S. 646–661, und Claude Grosgurin: «Die baulichen Aspekte einer Neuanlage der ETH Lausanne in Ecublens (erste Etappe) und Ausbau der ETH Lausanne», in: SBZ, 91 (1973), H. 13, S. 323–324
  4. F. Matter, Ecole Polytechnique Federale de Lausanne, Ecublens VD, in: IABSE structures = Constructions AIPC = IVBH Bauwerke, 3 (1979), H. C-7, S. 5.
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