In heik­ler Mis­sion

Im solothurnischen Egerkingen setzten Hauswirth Architekten aus Zürich eine Villa aus den 1960er-Jahren instand. Es war ein Balanceakt zwischen unterschiedlichen Anforderungen. An einigen Stellen fanden die Gegensätze zueinander, an anderen blieben sie als solche stehen.

Date de publication
30-04-2020

Der Blick schweift weit. Erst ganz im Süden findet er Halt an den schneebedeckten Bergen. Davor die riesige Ebene des Schweizer Mittellands, gekreuzt von Verkehrswegen, die ineinander verschränkt einer eigenen Ordnung zu folgen scheinen. Im Land der hohen Berge und engen Täler ist so viel Weite keine Selbstverständlichkeit. Kein Wunder, entschied sich der Solothurner Architekt Aldo Prina Mitte der 1960er-Jahre, die Aussicht zum Leitmotiv seines Entwurfs für ein grosszügiges Einfamilienhaus am Jurasüdfuss zu machen.

Standort war Egerkingen, Bauherrschaft die örtliche Industriellenfamilie Bloch, ­Besitzerin einiger lokaler Steinbrüche. Zum Zeitpunkt des Auftrags war der Hang noch nicht erschlossen, das Anwesen stand praktisch in einer Waldlichtung. Doch zu den äsenden Rehen im Garten kam alsbald der Lärm der wenig später fertiggestellten Autobahnen A1 und A2 hinzu – ein Waldhaus mit Blick auf die Autobahn.

Vor einigen Jahren plante der Besitzer zusammen mit einem Immobilienentwickler eine neue Überbauung mit einer höheren Ausnützungsziffer auf dem Grundstück. Nach seinem Tod entschied sich der Erbe jedoch gegen den Abriss der Villa und be­auftragte stattdessen den Zürcher Architekten Stefan Hauswirth, der schon in der Vergangenheit für die ­Familie gearbeitet hatte, mit der Instandsetzung – auch weil sich unterdessen das ­Wohnungsangebot in Egerkingen vervielfacht hatte und die Nachfrage für weitere Einheiten nicht gegeben war.

Duales Prinzip

Die Villa mit Baujahr 1964 steht nicht unter Denkmalschutz. Bis zu den aktuellen Arbeiten war sie der kantonalen Denkmalpflege nicht einmal bekannt. Über das Werk ihres Architekten, Aldo Prina aus Starrkirch, ist ausser einer kleineren Kapelle und der eigenwilligen St. Wendelin-Kirche in Dulliken (Fertigstellung 1972) nichts überliefert. Der ungeschützte Status gab Stefan Hauswirth zwar Gestaltungsfreiheit; dass die räumliche Qualität des Ensembles aber möglichst erhalten bleiben sollte, war als Entwurfskriterium massgebend.

Die Villa ist als zweigeschossiges Volumen ­organisiert, das sich ganz nach Süden, zur Aussicht hin ausrichtet und öffnet. Betreten wird sie strassenseitig von Norden her. Die Erschliessung erfolgt auf zwei Ebenen: Die Garage liegt auf Höhe des Gartens, der eigentliche Eingang ein Geschoss darüber. Das von Ost nach West ausgerichtete Gartengeschoss bildet mit dem in Nord-Süd-Richtung darüber liegenden Eingangsgeschoss ein L. Die einzelnen Elemente bilden eine ineinander verschränkte Einheit, die Fassade präsentiert sich weitgehend geschlossen.

Im Innern sorgen zwei parallel angeordnete ­Zonen für ein spannungsvolles Raumerlebnis. Betritt man das Haus, gelangt man zunächst in ein Foyer zur Treppe, die in das Gartengeschoss hinabführt. Ein fixer Raumteiler aus Merantiholz trennt die privateren Bereiche auf der Westseite von der grossen Wohnzone, die sich über die ganze Tiefe des Volumens erstreckt und in einem grossen Panoramafenster kulminiert. Das Pultdach steigt Richtung Süden an, was die Ausrichtung des Hauses zum Tal hin zusätzlich akzentuiert.

Angesichts der spektakulären Lage und der gelungenen Inszenierung fühlt man sich unwei­gerlich an Häuser der Midcentury-Moderne erinnert, umso mehr, als auch die hölzernen Einbauelemente in diesem Stil gehalten sind – ein Hauch Kalifornien, made in Egerkingen. Die grosse Geste des Wohnraums kon­trastiert die parallel dazu angeordnete Zone mit hintereinander liegenden kleineren Arbeits- und Schlafräumen. Sie sind ebenfalls mit diversen hölzernen Einbauelementen ausgestattet. Hier herrscht eine deutlich intimere Atmosphäre.

Farbe als Statement

Das Konzept im Umgang mit dem Bestand sah vor, neben der energetischen Ertüchtigung des Gebäudes dessen gestalterische Qualitäten zu bewahren und zu betonen  – also die Raumfolge aus Küche, Treppenhaus und Wohnzone mit ihrem 1960er-Jahre-Charakter. Stärkere Interventionen sollten sich auf die übrigen Bereiche konzentrieren.

Die bestehenden Holzeinbauten in den zentralen Räumen wurden aufgefrischt, im Wohnbereich verzichtete man auf die Dämmung des Dachs, um die Holzdecke nicht antasten zu müssen. Die Küche konnte ebenfalls erhalten bleiben. Neu in den eher öffentlichen Bereichen ist der fugenlose Bodenbelag in Anthrazit, in den Privaträumen kam statt des einstigen Teppichs Eichenparkett zum Einsatz.

Zwei Anliegen waren dem Bauherrn wichtig: der Wunsch nach Privatsphäre und jener nach mehr Farbe. Ersteren löste man weitgehend über die Bepflanzung und Gestaltung des Gartens, Letzterer konzentrierte sich auf die Fassade und im Innern auf die drei Nasszellen. Um Raumstruktur und Leitungsführungen nicht verändern zu müssen, entschieden Bauherr und Architekt, die zeittypisch bescheiden dimensionierten Räume nicht zu vergrössern.

Stattdessen kam Farbe zum Einsatz: Im Erdgeschoss leuchten die beiden ­Badezimmer in Gelb und Rot. Abgetönte verspachtelte Wänden ergänzen farbige Türen und Heizkörper. Blickfang sind jeweils die beiden transparenten gegossenen Waschbecken, Einzelanfertigungen aus Italien. Im Gartengeschoss ergänzt das Gästebad in Blautönen den Dreiklang.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels finden Sie in TEC21 12/2020 «Renovation mit Augenmass».

Am Bau Beteiligte

Bauherrschaft
privat

Architektur Bestand
Aldo Prina, Starrkirch

Architektur Instandsetzung
Hauswirth Architekten, Zürich

Tragkonstruktion
BSB + Partner Ingenieure und Planer, Oensingen

Heizungsplanung
Hat 1–4, Winterthur

Baujahr
1964

Instandsetzung
2016–2017

Kosten
1.5 Mio. Fr.

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