Mit ges­tal­te­ris­chen Fi­nes­sen

Offener Ingenieurwettbewerb: Umfahrung Beromünster − Brücke «Under Brugg»

Der kultur- und kunsthistorisch wertvolle Flecken von Beromünster erhält eine Umfahrung. Die Brücke «Twin Boxes» von GW plus – hervorgegangen aus einem offenen Ingenieurwettbewerb – ist Teil davon. Die neue Strassenbrücke überzeugte die Jury mit gestalterischen Raffinesse.

Date de publication
09-03-2020

Der erste Meilenstein für ein neues Lebensklima im Dorfkern des luzernischen Beromünster ist gelegt: Der Brücken­wettbewerb für das Teilstück der Umfahrung des historischen Zentrums – des sogenannten Fleckens – ist entschieden. Entstehen soll eine Brücke mit gestalterischen Finessen, die den Ortskern vom Schwer- und Durchgangsverkehr entlastet. Eine Wohltat für das Dorf mit etwas über 6500 Einwohnern, das im oberen Bereich des Wynatals in der weiten Geländesenke auf dem Höhenzug zwischen Baldegger- und Sempachersee liegt. Es ist im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz als Kleinstadt bzw. Flecken mit ausserordentlichem kultur- und kunsthistorischem Stellenwert im Kanton Luzern aufgenommen, dem nationale bis europäische Bedeutung zukommt.

Dem anonymen, offenen und einstufigen Ingenieurwettbewerb waren verschiedene Studien und verkehrstechnische Untersuchungen vorangegangen. Wegen des hohen Anteils an Ziel-, Quell- und ­Binnenverkehr kamen keine grossräumigen Umfahrungen infrage, denn sie hätten die Bedürfnisse der analysierten Verkehrsbeziehungen nicht abgedeckt. Die geplante Linie führt nun nördlich um das Dorf und quert am östlichen Siedlungsrand das Wynatal auf einer neuen Brücke. Dieses Bauwerk «Under Brugg» war zusammen mit seinem Umfeld Gegenstand des 2019 vom Kanton Luzern ausgelobten Wettbewerbs.

An sensiblem Ort

Ein Wettbewerb war für diese Bauaufgabe nicht von Beginn an vorgesehen gewesen, denn er drängte sich nicht a priori auf. Doch als sich das ausgewählte Fachgremium mit der Aufgabenstellung auseinandersetzte, erkannte es die Sensibilität des Stras­senzugs. Die Nähe der Umfahrung zum Flecken lässt sie nämlich vielmehr zu einer Dorf­strasse werden, die auch als Orts­erschliessung funk­tioniert. Daher kam eine «Schnellstrecke», auf der eine erhöhte Geschwindigkeit erlaubt wäre, nicht infrage. Diese Ambivalenz zwischen der Funktion mit ihren Anforderungen und der Ausdruckskraft mit ihrer Wirkung im Kontext bedingt eine vertiefte und ausgewogene Auseinandersetzung mit dem Bauwerk.

«Under Brugg» liegt im Abschnitt Ost der geplanten Umfahrung in einem landschaftlich und ortsbaulich sensiblen Gebiet. Wo die Wyna von Süden her Beromünster in nordöstlicher Richtung durchfliesst und wo die bedeutende Pfarrkirche St. Stephan am östlichen Rand in der leicht geformten Mulde steht, wird die neue Brücke die Umfahrung nördlich um das Dorf leiten – genau dort, wo die Untere ­Mühle noch heute die einstige Bedeutung der Landwirtschaft bezeugt. Zusammen mit der Hinteren Mühle am südlichen Dorfrand, wo die Wyna wieder aus dem Dorf hinausfliesst, gehört sie zum ältesten Stiftungsgut Ulrich von Lenzburgs an das Stift Beromünster bzw. das im Mittelalter gegründete Chorherrenstift St. Michael. Dieses Stift, ­erhöht auf dem Hügelsporn am West­rand von Beromünster, ist geschichtsprägend.

Der Standort des Brückenneubaus markiert zugleich auch den Übergang zur immer noch intakten, zusammenhängenden Wiesenlandschaft am Oberlauf der Wyna. Sie gehört zu den letzten grossen agrarischen Räumen der Schweiz. Die Bauern haben sich in einem Vernetzungsprojekt zusammengeschlossen und setzen auf eine ökologisch produzierende Landwirtschaft. Entsprechend herausfordernd war es für die Wettbewerbsteilnehmenden, das Brückenbauwerk in den gegebenen Kontext einzubetten, zumal der Ortsentwicklung ebenfalls gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

Sorgfältig ausgearbeitetes Siegerprojekt

Das Siegerprojekt «Twin Boxes» setzte sich aus zwölf eingereichten Projekten ab – nicht mit einem Paukenschlag, sondern unaufgeregt und mit einer sorgfältig detaillierten Ausarbeitung. Die dreifeldrige Balkenbrücke in Stahlbetonverbundbauweise besteht aus einem schlanken Zwillingsstahlkasten aus Cortenstahl und einem darüber liegenden filigranen, betonierten Fahrbahndeck.

Zwei Doppelpfeiler in Beton stützen den Durchlaufträger. Die Pfeilerfüsse sind mit einem Querriegel verbunden und lassen die Pfeiler gemäss Preisgericht «zu einer skulpturalen U-Form» werden. Anzahl und Position der Pfeiler waren im Wettbewerbsprogramm nicht vorgegeben –sehr wohl aber die Linienführung. In «Twin Boxes» sind die Achsen so gesetzt, dass sie einerseits die Brückenplatte optisch in rhythmische Felder unterteilen und andererseits im statischen System zu ausgewogenen Spannungsbeanspruchungen der Tragelemente führen. Eine positiv beurteilte Synergie zwischen Gestaltung und Kräftefluss entstand. Ausserdem korrespondieren die leicht geneigten Stirnflächen der Stützen mit den etwas stärker geneigten Aussenflächen der Längsträger. Das Preisgericht wertet den Übergang von den Stützen zum Deck als geglückt, da so die beiden Bauwerksteile «geometrisch gekonnt ineinander übergeführt werden».

Auch die Fahrbahnplatte sei in Grundriss und Querschnitt elegant geometrisiert; die horizontale Linienführung weicht leicht von den Wettbewerbsvorgaben ab – auf der Brücke sind die Wendeklothoide durch Radien ersetzt. Die vertikale Linienführung der Fahrbahn entspricht hingegen den Vorgaben. Dies bewertet die Jury als positiv. Sie ist davon überzeugt, dass die tiefe Lage der Brücke in der Mulde dem Kontext mit Kirche und Friedhof am ehesten gerecht wird – im Bewusstsein, dass eine höhere Lage mehr Transparenz schaffen würde. Ausserdem fügen sich die sichtbaren Teile der Widerlager dadurch zurückhaltend in die umgebende Topografie ein, was insbesondere beim linksufrigen Widerlager über der Friedhofsanlage als angenehm empfunden wird.

Ohnehin widmet «Twin Boxes» der Gestaltung des brückennahen Gewässerraums und seiner unmittelbaren Umgebung besondere Aufmerksamkeit, denn das Tal der Wyna dient auch der Naherholung. Die ökologischen Werte mussten gemäss den Auslobern unbedingt erhalten bleiben. So stärkt das Siegerteam die gewachsene Gehölzstruktur und erweitert sie sogar punktuell. Die beiden geplanten Retentionsbecken sind naturnah gestaltet und passen sich gut ins Landschaftsbild der Ufer ein. Um das Absetzbecken als technisches Bauwerk besser in die Landschaft zu integrieren und nicht als Fremdkörper in Erscheinung treten zu lassen, wird es teilweise überdeckt und begrünt. Als technisches, artifiziell gestaltetes Landschaftselement fügt es sich so in die Gesamtanlage ein.

Gestaltung von Lärmschutz und Beleuchtung

Der durchgehende Lärmschutz der Brücke, deren Kosten sich im mittleren Bereich der eingegangenen Entwürfe bewegen, ist wie eine Vorhangfassade vor das Brückendeck gesetzt. Feingliedrige, vertikal gestellte Stahlprofile halten aussen die bis zur Unterkante der Konsolköpfe geführten Glastafeln. Das Planungsteam verzichtet dabei bewusst auf eine Betonbrüstung. Trag- und Konstruktionselemente sind in ihrer Dimension und Formgebung aufein­ander abgestimmt. Die Brückenplatte erscheint als feine Horizontale mit aufgesetzter, transparenter Verglasung. Dies soll der Brücke ein Bild von gläserner Leichtigkeit verleihen.

Je nach Blickwinkel, am Modell 1:20 gut zu erkennen, erscheinen die Glasflächen transparent, oder sie spiegeln die Umgebung und reflektieren den Himmel. Das Preisgericht lobt die adäquate Detaillierung von konstruktiven Feinheiten, die keine Details im Sinn einer Nebensache sind, und hebt hervor, der Lärmschutz erfülle insofern nicht nur die akustischen Vorgaben, sondern sei als sorgfältig gestaltetes Element auch explizit Teil des Entwurfs.

Zwei Kandelaber auf der Westseite des Bauwerks sollen die Brücke und ihre Fahrbahn erhellen. Der seitliche Rad- und Gehweg wird mit einer Handlaufbeleuchtung ausgeleuchtet. Dies scheint der Jury sinnvoll. Weniger überzeugt war sie allerdings von der vorgeschlagenen Pfeilerbeleuchtung. Die Inszenierung wirke städtisch und ziele am – trotz Brückenbau – nach wie vor eher ländlichen Charakter des Orts vorbei.

Finessen in der Vielfalt

«Twin Boxes» nimmt sich als Brückenbauwerk zurück und bettet sich in die Mulde. Das Entwurfsteam setzt wenige, aber dafür platzierte Akzente. Beispielsweise fügt sich der Cortenstahl der beiden Kastenträger mit seinem rostigen Farbton gut in den Ort ein. Der dunkle Träger, zurückgesetzt in den abgeschatteten Bereich unter der Fahrbahnplatte, setzt eine optische Zäsur zwischen die hellen Betonpfeiler und das darüber schwebende Betondeck. So betont denn auch Pius Suter, Sachrichter im Namen der Dienststelle Verkehr und Infrastruktur (vif) und Projektleiter der Umfahrung Beromünster: «Die Qualität des Projekts liegt in seinen Finessen. Die Brücke ist zwar Mittel zum Zweck, aber wegen ihrer sorgfältigen Gestaltung für den sensiblen Raum passend.»

Mit dieser Selbstverständlichkeit hebt sich das Siegerprojekt von den anderen Eingaben ab. Zunächst war die Jury durchaus auch von anderen Projekten mit V-Stützen angetan, wie beispielsweise im zweitplatzierten Brückenentwurf «Iunctura». Das System der V-Stützen ermöglicht einen schlanken Querschnitt und schafft einen verspielten und filigranen Unterbau. Allerdings vermögen diese Projekte das Preisgericht gestalterisch nicht vollends zu überzeugen. Bei «Iunctura» zum Beispiel ist die Brücke in einer höheren Lage geplant. Dies soll unter der Brücke einen besseren Durchblick gewähren. Die Jury bewerte diese Höhenlage aber im ortsbaulichen Kontext kritisch im Vergleich zu anderen Projekten, was sie aus den Modellen überzeugend «her­auslas».

Wertvoll für die Diskussion war der markante Beitrag «Wasserkapelle». Er überraschte mit einem unerwartet kreativen, historisch begründeten Lösungsansatz, der die Aufgabenstellung des Wettbewerbs quasi negiert: Anstelle einer Brücke schlagen die Verfasser ein Damm mit einem Bachdurchlass vor. Die Jury würdigt den unkonventionellen Lösungsansatz und kann dem Projekt, isoliert betrachtet, durchaus eine positive atmosphärische Gestaltung abgewinnen. Allerdings geht mit der Dammlösung die Transparenz des Tals vollständig verloren, und es entsteht ein ungünstiger Schattenwurf. Daher ist sie der Überzeugung, dass eine solche aus dem 19. Jahrhundert bekannte Lösung dem heutigen Zeitgeist nicht entspricht und dem Ort nicht angemessen ist.

Solche Projekte mit einem radikalen Ansatz regen aber zum Denken an und erzeugen Spannung im Verfahren.Ebenso übrigens solche, die die Linienführung hinterfragen oder eigene Wege für den Langsamverkehr suchen. Mit Neugier betrachtet, werfen sie Fragen auf, die in der Beurteilung der vielschichtigen Wettbewerbseingaben helfen und die Argumentation verfeinern. Ein wichtiger Aspekt, um mit allen Eingaben würdig und mit Respekt vor der umfangreichen Arbeit umzugehen.

Lohnender Wettbewerb

Um letztlich einen überlegten, kreativen, durchdachten und passenden Entwurf – hoffentlich die Quintessenz für einen spezifischen Ort – herausfiltern zu können, ist eine Projektvielschichtigkeit notwendig. Diese kann einzig in Form eines Wettbewerbs entstehen. Hans Peter Arnold, Gemeindepräsident von Beromünster, ist daher überzeugt, der Projektwettbewerb habe sich gelohnt: «Es wurden zwölf interessante Projekte mit unterschiedlichen Ansätzen eingereicht, sodass die Jury eine breite Auswahl hatte und eine fundierte Entscheidung treffen konnte.» Auch Jürg Conzett als Fachpreisrichter betont: «Hätten wir, wie vorab geplant, ein Projekt selber entwickelt, wäre nicht dieselbe Intensität mit der Auseinandersetzung des Orts entstanden. Und gerade das ist das Spannende und das für alle Bereichernde!»

Weitere Pläne und Visualisierungen zum Wettbewerb finden sich auf competitions.espazium.ch

Auszeichnungen

1. Rang: «Twin Boxes»
GW plus: Gruner Wepf, Zürich (Federführung); Gruner Berchtold Eicher, Zug; Westpol Landschafts­architektur, Basel
2. Rang: «Iunctura»
ACS – Hager – urbaNplus: ACS-Partner, Zürich (Federführung); Hager Partner, Zürich; urbaNplus / Stefan Kurath, ­Zürich
3. Rang: «Um Beromünster»
Suisseplan: suisseplan Ingenieure, Wohlen (Federführung); suisseplan Ingenieure, Raum + Landschaft, Luzern; OSMB Architekten, Zürich
4. Rang: «Viertakt»
D’Acunto Hofmann lngold Ohlbrock Schwartz: D’Acunto, Hofmann, lngold, Ohlbrock, Zürich (Federführung); Dr. Schwartz Consulting, Zug

Fachjury

Walter Kaufmann, Bauingenieur, Zürich; Jürg Conzett, Bauingenieur, Chur; Eduard Imhof, Architekt, Luzern; Rainer Klostermann, Architekt, Zürich

Sachjury

Rolf Bättig, Bauingenieur, Kantons­ingenieur (Vorsitz der Jury); Pius Suter, Bauingenieur, Projektleiter Umfahrung Beromünster; Hans-Peter Arnold, Gemeinde Beromünster

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