Le­ben­dige Räume statt Ku­lis­sen

Grandhotels im Wandel

Historische Hotelbauten bilden einen bedeutenden Teil unseres Kulturerbes. Sollen sie zukünftig in ihrer Funktion erhalten bleiben, muss ihre Architektur zeitgenössischen Betriebsmodellen und Gästebedürfnissen angepasst werden.

Date de publication
25-10-2018
Revision
25-10-2018

Hotels befinden sich in einer fortlaufenden Transformation, die mal vom Zustand der Häuser, mal von den Erwartungen der Gäste angetrieben wird. Die gegenwärtige Anpassung bestehender Hotelbetriebe ist – mit etwas Abstand betrachtet – nur ein weiterer Schritt in einer langen Geschichte, die vor gut hundert Jahren ihre erste Wendung nahm.

1900 formierte sich Widerstand gegen die allmächtige Fremdenindustrie, der man vorwarf, mit Bahnen und Hotels ganze Landschaften zu verschandeln. Dazu gesellte sich das gesteigerte Bewusstsein schweizerischer Eigenart, das sich auch in der Architektur prägnant äusserte und auf Kollisionskurs geriet zum fremdländisch-höfischen Zeremoniell der Grand­hotel-Kultur: Das Grandhotel aus der Belle Epoque wurde zum Symbol einer alten, überlebten Ordnung.1

Als ­wichtige Plattform etablierte sich 1905 der Schweizer Heimatschutz. Die historischen Hotels wie auch die Architektur des Historismus aus dem 19. Jahrhundert galten als verachtenswert. Seit den 1920er-­Jahren entwickelte sich ein kompromissloser Baustil, das sogenannte «Neue Bauen». Die Kritik an den mächtigen Hotelbauten war zu dieser Zeit so radikal, dass Architekten wie Horace Edouard Davinet (1839–1922) aus Bern, Erbauer der Hotels Giess­bach am Brienzersee, Seelisberg am Vierwaldstättersee und ­Rigi-Kulm, von ihren angeblichen Fehlleistungen sprachen.2

In der Zeit des Zweiten Weltkriegs übernahmen die Bundesbehörden den Kampf gegen die alten Hotelkästen. Sie beauftragten den Architekten Armin Meili (1892–1981) mit der Studie «Bauliche Sanierung von Hotels und Kurorten», in deren Schlussbericht 1945 etliche Hotelabbrüche und «Säuberungen der Baukörper von den hässlichen Zutaten aus dem Ende des letzten Jahrhunderts» vorgeschlagen wurden.3 Den Höhepunkt der folgenden Sanierungswelle bildete die aus dem Erlös des Talerverkaufs von 1951 finanzierte «Säuberung des Rigi-Gipfels», bei der alle historischen Gebäude auf der Bergspitze abgebrochen wurden.4

Eine neue Seite aufschlagen

Ein allmähliches Umdenken begann in Fachkreisen erst in den 1970er-Jahren mit dem Zürcher Professor Adolf Reinle (1920–2006), der als erster Kunsthistoriker im 20. Jahrhundert die Hotels aus der Belle Epoque nicht mehr mit negativen Attributen versah. Damit legte er die Basis für deren Rehabilitierung in der schweizerischen Architekturgeschichte. Als Schlüsselereignis erwies sich sodann die Rettung des Hotel Giessbach durch die 1983 von Franz Weber ins Leben gerufene Stiftung «Giessbach dem Schweizervolk». Anstelle eines geplanten Jumbo-Chalets konnte das Hotelgebäude von 1884 restauriert und etappenweise wieder in Betrieb genommen werden.

An einer Fachtagung von 1995 in Luzern, die sich mit dem drohenden Abbruch des bedeutenden Saals beim Hotel Schweizerhof in Luzern auseinandersetzte, erklärten Experten historische Hotelbauten zu einem wichtigen Bestandteil unseres baulichen Kulturguts.5 Die seither alljährlich verliehene Auszeichnung «Das historische Hotel/Restaurant des Jahres» führte zur allgemeinen Anerkennung historischer Hotelbauten im ganzen Land.

Auf Initiative erfolgreicher Bewerber um diese Auszeichnung entstand 2004 die Marketingorganisation «Swiss Historic Hotels». Als wohl einzige Hotelgruppe weltweit nimmt sie nur Betriebe auf, die bis in die Gästezimmer wertvolle historische Bausubstanz aufweisen und eine denkmalpflegerische Bewertung bestanden haben. Mit dieser Marketinggruppe können Hotelbetriebe ein immer beliebteres Nischenprodukt anbieten und sich von der im Tourismus verbreiteten baulichen Beliebigkeit distanzieren. Auf diese Weise ergänzen sich für einmal die Ziele von Kultur und Markt.

Historie als Wirtschaftsfaktor

Aus baulicher und aus denkmalpflegerischer Sicht nachhaltig sind primär diejenigen Häuser, bei denen eine sanfte, etappenweise Erneuerung in die überlieferte Bausubstanz stattfinden konnte oder kann. Im Vordergrund stehen dabei Restaurierung oder Wiederherstellung wertvoller Bau- oder Ausstattungsteile, um den «roten Faden» der Gestaltung zu festigen oder zu reparieren. Der infrastrukturelle Unterhalt eines historischen Hotels interessiert den Gast kaum. Darum sind vor allem jene Häuser wirtschaftlich erfolgreich, denen es gelingt, die hohen Übernachtungskosten mit einer Verbindung aus Tradition und kontinuierlicher Modernisierung zu rechtfertigen. Ein funktionierendes Haus dürfen die Gäste dabei voraussetzen. Die Kunst liegt darin, den Mangel an Komfort, der alten Häusern manchmal eigen ist, angemessen als Teil der Reise in die Vergangenheit darzustellen.

Viel zu oft reduziert sich der Blick der Investoren auf den blossen Erhalt der Fassaden – solche Häuser sind dann nur als Kulissen ohne echte Seele im Innern zu bezeichnen. Interessant dabei ist, dass sich viele Hotels auf ihrer Webseite als «historisch» bezeichnen, obwohl sie die Kriterien der historischen Substanz nicht erfüllen. Leider verschliesst sich die Hotellerie dieser Kulissenhaftigkeit6 nicht mehr. Wie anders wären die neuesten Umbauten am Grandhotel auf dem Bürgenstock zu erklären? Der Ursprungsbau der dortigen Anlage aus dem Jahre 1873, errichtet von Franz Josef Bucher-­Durrer, dem wohl grössten Hotelkönig, den die Schweiz je ­hatte7, erscheint heute eher als Karikatur seiner eins­tigen imposanten Erscheinung (vgl. TEC21 1–2–3/2018 ­«Bürgenstock-Resort: gebaute Landschaft»).

Familien, Paten und Genossenschaften…

Wo stehen wir heute bei der Erhaltung und Pflege historischer Hotelbauten? Welchen Weg finden Betriebe, die dringend einer nachhaltigen Sanierung in baulicher oder finanzieller Hinsicht bedürfen? Hier zeichnen sich zurzeit unterschiedliche Vorgehensweisen ab: Auf dem traditionellen Weg befinden sich Häuser, die seit Generationen in derselben Familie geblieben sind. Zu den kleineren Vertretern dieser Hotels gehören das Bellevue des Alpes auf der Kleinen Scheidegg, der Falken in Wengen oder das Bellevue in Adelboden.

Es gibt aber auch grosse Häuser, beispielsweise das Hôtel Beau-Rivage in Genf, das Palace in Gstaad oder das Hotel Waldhaus in Sils-Maria (vgl. TEC21 36/2013 «Inspiration Grandhotel»). In Sils wurden Tradition und Gastfreundschaft über Generationen weitergegeben und die bauliche Substanz mit Bedacht gepflegt und weiterentwickelt. Innerhalb der historischen Mauern bilden ausserdem seit jeher kulturelle Veranstaltungen einen Anreiz.

Eine bedeutende Gruppe von Hotels hat einen Mäzen im Hintergrund, im Idealfall sogar einen an der Geschichte interessierten «Hotelfan». Zu den prominenten Beispielen gehört das mit der Denkmalpflege renovierte Hotel Trois Rois in Basel. Auch das mit viel Geld aus Katar neu inszenierte Ensemble auf dem Bürgenstock sowie das aufwendig im alten Stil neu erbaute Dolder Grand in Zürich gehören zur Kategorie der Hotels mit einem finanzstarken «Paten». In diesen beiden Fällen musste die historische Substanz allerdings zugunsten einer international anerkannten Bespielbarkeit weichen, die keine Unannehmlichkeiten aufgrund baulicher Gegebenheiten verträgt.

Beim Hotel Castell in Zuoz beauftragten die kulturell aufgeschlossenen Eigentümer Architekten und Künstler. Diese schufen begleitende Kunstwerke, die trotz ihrer Gegensätzlichkeit in Material und Gestaltung eine qualitativ hochwertige Ergänzung zum historischen Gebäude bilden, weil sie es nicht dominieren, sondern in einen gegenwärtigen Kontext einbinden und damit einen Mehrwert zum bestehenden Haus schaffen.

Eine weitere Gruppe bilden die Häuser, die ihren Betrieb gesichert haben oder noch sichern wollen, indem sie die Last der Investitionen auf mehrere Schultern verteilen. Im Binntal VS führte die Genossenschaftsform auf Initiative der Gemeinde 1987 zur pionierhaften Rettung des Hotels Ofenhorn. Ein ähnliche Idee hatten die Stammgäste des Kurhauses Bergün, als sie sich 2002 entschlossen, das heruntergekommene Haus von 1906 mit einer Aktiengesellschaft zu übernehmen. Seither treffen sie sich in Bergün regelmässig zu Festen und bringen dazu immer neue potenzielle Stammgäste mit.Diese in Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalpflege restaurierten Betriebe zeigen, dass historische Häuser unter Respektierung der Geschichte nachhaltig geführt werden können.

Der Verkauf von Zimmern und Appartements im eigenen Haus zur finanziellen Gesundung hat den Nachteil, dass Miteigentümer über die Zukunft des Betriebs mitentscheiden. Beim Grand Hôtel des Rasses scheint dieses vor etli­chen Jahren angewendete Modell aber zu funktionieren. Einen unkonventionellen Weg beschreiten die Eigen­tümer des Hotels Regina in Mürren, die Freunde und Stammkunden zur Mitarbeit bei der Restaurierung einladen.

…und Gastgeber

Neben einer intakten Bausubstanz gehört zur Nachhaltigkeit von Hotelbetrieben auch eine Betriebsführung, bei der der Gast nur wiederkehrt, wenn er sich von der Ankunft bis zur Verabschiedung wohlfühlt. Die Stammkundschaft nimmt die mit Getöse inszenierten Hotel-­Ratings wohl zur Kenntnis, wichtig sind aber zufriedene Gäste als exzellente «Gratisbotschafter»!

Dazu eine kleine Geschichte zum Abschluss: Der Zermatter Hotelkönig Alexander Seiler (1819–1891) war einer der mächtigsten Hoteliers im Alpenraum und bei seinen Gästen ausserordentlich beliebt. Dazu trugen diverse kleine Begebenheiten bei, wie sie beispielsweise der englische Berufsbergsteiger Thomas W. Hinchliff (1825–1882) im Sommer 1857 schilderte: «Als spezielle Gefälligkeit für uns alte Freunde und Gäste beschenkte Hr. Seiler jeden von uns mit einer wunderbaren, schön in ein Papier eingewickelten Orange, eine sehr seltene Delikatesse in dieser entlegenen Gegend der Erde.»8 Solche Aufmerksamkeiten machten aus dem Zermatter Hotelkönig in den Augen der bergbegeisterten Engländer einen der beliebtesten Gastgeber im Alpenraum.

Anmerkungen

  1. Roland Flückiger-Seiler, Hotelpaläste zwischen Traum und Wirklichkeit, Baden 2003 und 2005; S. 24–27.
  2. Roland Flückiger-Seiler, Hotelträume zwischen Gletschern und Palmen. Schweizer Tourismus und Hotelbau 1830–1920, Baden 2001 und 2005; S. 122.
  3. Armin Meili, Bauliche Sanierung von Hotels und Kur­orten. Schlussbericht, bearbeitet und herausgegeben im Auftrag des Eidg. Amtes für Verkehr, Erlenbach/Zürich 1945.
  4. Roland Flückiger-Seiler, «Architektur nach dem Sündenfall». Der Umgang mit Hotelbauten aus der Belle Epoque. In: Erhalten und Gestalten. 100 Jahre Schweizer Heimatschutz. Hrsg. Madlaina Bundi, Baden 2005; S. 80–89.
  5. Historische Hotels erhalten und betreiben, Akten der Fachtagung Luzern 14.–16. Septem­ber 1995, Luzern 1996.
  6. Thomas Barfuss, Authentische Kulissen. Graubünden und die Inszenierung der Alpen, Baden 2018.
  7. Romano Cuonz, Hanspeter Niederberger. Hotelkönig, Fabrikant Franz Josef Bucher; Bergbahnbauer, Erfinder Josef Durrer; Kunstmaler, Phantast Beda Durrer, ­Kriens 1998.
  8. Peaks, Passes and Glaciers. A Series of Excursions by Members of the Alpine Club. Edited by John Ball (Vol. I) and Edward Shirley Kennedy (Vol. II), London 1859–1862; Vol. I 1859, S. 130 f.
  9. Roland Flückiger-Seiler, Berghotels zwischen Alpweide und Gipfelkreuz. Alpiner Tourismus und Hotelbau 1830–1920, Baden 2015; S. 82 f.

Weitere Veröffentlichungen des Autors zum Thema: www.historischehotels.ch

Sur ce sujet