Kreu­zung auf drei Ebe­nen

Der Schulhausplatz in Baden ist der am stärksten befahrene Verkehrs­knoten im Aargau. Sein Umbau ist eine ingenieurtechnische Meister­leistung und bringt allen Verkehrsteilnehmern Vorteile. Allerdings muss sich die Passage unter der ­Kreuzung als Aufenthalts- und Flanierzone noch bewähren.

Date de publication
16-10-2018
Revision
16-10-2018

Seit August 2018 ist der Schulhausplatz in Baden wieder eröffnet. In den letzten drei Jahren wurde der Verkehrsknoten in vielen einzelnen Bauetappen umgebaut und erweitert – immer unter Verkehr und auf engstem Raum. Trotzdem ist es den Beteiligten gelungen, die Zeit- und Kostenvorgaben einzuhalten. Entstanden ist ein Platz, auf und unter dem sich die Wege verschiedener Verkehrsteilnehmer kreuzen. Der motorisierte Individualverkehr wird oberirdisch geführt, darunter teilen sich Fussgänger und Velofahrer eine neue Passage, und noch eine Ebene tiefer quert ein einspuriger Bustunnel den Schulhausplatz. Der Neubau wurde notwendig, weil die Infrastruktur aus den 1960er-Jahren stark beschädigt war und die Kreuzung mit rund 47 000 Fahrzeugen ­pro Tag – davon über 1400 Busse – ihre Kapazitätsgrenze erreicht hatte.

Bis anhin war der Schulhausplatz hauptsächlich für den motorisierten Verkehr ausgelegt. Nach dem Umbau – so die Aufgabe der Planer – sollte der öffentliche Verkehr die Kreuzung flüssiger passieren, Fussgänger und Velofahrer sicherer an ihr Ziel gelangen und die Quartiere im Süden der Stadt an die Altstadt angebunden werden. Zunächst wurden verschiedene Neugestaltungsvarianten untersucht. Zentral war dabei die Frage, ob ein Kreisverkehr oder eine Kreuzung die Anforderungen besser erfüllen würde. Man entschied sich für eine lichtsignalgesteuerte Kreuzung. «Sie hat im Vergleich zu einem Kreisverkehr eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit. Zudem lässt sich die Vorfahrt eindeutig regeln», sagt Marcel Voser, Gesamtprojektleiter des Kantons Aargau.

Verglichen mit der Situation vor dem Umbau wurde das Zentrum des Verkehrsknotens rund 10 m Richtung Bezirksgebäude verschoben. Der Platz vor dem Gebäude wurde verkleinert und neu gestaltet. Zwei zusätzliche Fahrspuren für den öffentlichen Verkehr und den motorisierten Individualverkehr,  jeweils eine von Mellingen und Neuenhof Richtung Schlossbergtunnel, helfen heute den Verkehr auf der Kreuzung zu entflechten und Rück­stau zu vermeiden. Für Velofahrer, die den Schulhausplatz oberirdisch nutzen, wurden zusätzliche Velo­spuren und Halteräume markiert. Den grösseren Nutzen bringt aber der neue einspurige Bustunnel unter der Kreuzung.

Erster Bustunnel in Europa

Die Tragkonstruktion des ca. 320 m langen Tunnels besteht aus einer Rahmenkonstruktion aus Stahlbeton. Aufgrund seiner Länge gelten für die Abmessung und Ausrüstung des Tunnels die Astra-Richtlinien. Seit der Eröffnung des Einspurtunnels können Postautos, die vom Bahnhof Baden nach Wettingen fahren, die Strassenkreuzung unter­irdisch queren. Vor dem Bezirks­gebäude, in dem die Kantonspolizei untergebracht ist, gelangen sie über eine Rampe wieder auf das Strassenniveau vor der Hochbrücke, die über die Limmat nach Wettingen führt. Marcel Voser weist beim Blick auf die Rampe des Bustunnel auf eine Besonderheit hin: «Unser Bustunnel ist der erste und bisher einzige in Europa.»

Auch für Busse Richtung Mellingen verbessert sich die Situation aufgrund des Umbaus. Sie nutzen ebenfalls das Portal des Bustunnels am Bahnhof Baden (direkt neben dem Portal des SBB-Tunnels), biegen aber bereits nach wenigen Metern nach rechts ab, um über eine Rampe die Bruggerstrasse und damit das Niveau des Schulhausplatzes zu erreichen. Ein Bypass vor der Lichtsignalanlage erleichtert das Abbiegen Richtung Mellingen.

Voraussichtlich im Frühjahr 2019 werden den Postautos auch die Fahrzeuge der Regionalen Verkehrsbetriebe Baden-Wettingen (RVBW) in den Tunnel folgen. Letztere warten noch auf die Fertig­stellung der Haltestelle «Schlossbergplatz», die derzeit im Bau ist. Aufgrund von Einsprachen verzögerte sich der Baubeginn des neuen Gebäudes, in dem auch die gedeckte Haltestelle untergebracht ist. Die Weite Gasse und der Schlossbergplatz sollen so weitgehend vom Busverkehr befreit werden.

Die Einfahrt der stadtauswärts fahrenden Busse in den Tunnel wird mit einer Ampel geregelt, um ein zu nahes Auffahren zu vermeiden. Immerhin werden dies pro Tag rund 700 Fahrzeuge sein. Busse, die stadteinwärts verkehren, erreichen den Bahnhof weiterhin ober­irdisch über den Schulhausplatz und die Bruggerstrasse.

Mischverkehr auf der Fläche

Durch das Tunnelportal bzw. über die Haltestelle Schlossbergplatz können Fussgänger und Velofahrer in die ehemalige Tunnelgarage gelangen. Diese wurde redimensioniert, wird aber weiterhin einige Parkplätze beherbergen. Wer diesen Weg wählt, kann bei Regen nahezu trocken vom Bahnhof bis zum Schulhausplatz gehen. Tritt man aus der Tunnelgarage, fällt der Blick in die neu gebaute Passage für Fussgänger und Velofahrer und auf den umgestalteten Cordulaplatz. Stufen, Bäume und ein Brunnen laden zu einer kurzen Rast ein. Der Cordulaplatz hat von der Verschiebung der Kreuzung Richtung Bezirksgebäude profitiert: Der Aufenthaltsbereich vor der Altstadt konnte vergrössert werden.

Zudem soll die Altstadt so mit der Fussgänger- und Velopassage – der zweiten Ebene des Schulhausplatzes – verwoben werden. Aus der Passage führen grosszügige Rampen, Treppen und ein Lift hinauf auf die Ebene der Strassenkreuzung. Erstellt wurde die Passage, die hell und übersichtlich wirkt, in Sichtbeton, die Wände sind mit grünen Mosaik-­Glasbausteinen verkleidet, die Stützen etwas dezenter in Grau. Als Boden­belag wurde ein Naturstein gewählt. Die Leuchten sind strahlenförmig um die Stützen angeordnet. Die Fläche nutzen Velofahrer und Fussgänger gemeinsam: Sie haben hier die Möglichkeit, den Schulhausplatz sicher in alle Richtungen zu queren. Im Kern der Passage befinden sich ein Lebensmittelladen und zwei Gastronomiebetriebe.

Warum unten nicht oben ist

Doch warum müssen Fussgänger und Velofahrer mit der zweiten Ebene vorlieb nehmen, während die Autos oberirdisch kreuzen? Aus städtebaulicher Sicht spricht vieles gegen eine solche Lösung. «Selbstverständlich wurde die umgekehrte Anordnung geprüft», sagt Marcel Voser. «Die Lage der benachbarten Gebäude und Bau­werke, wie z.B. des SBB-Tunnels, der Tunnelgarage, der Zürcherstrasse oder der Hochbrücke, liess aber keine andere Anordnung zu. Die Strasse an die bestehende Situation anzubinden wäre nur mit riesigem Aufwand möglich gewesen, wenn überhaupt.»

Während der Bauzeit hat Marcel Voser eine Beobachtung gemacht, die ihn optimistisch stimmt: «Bei Baustellenführungen haben mich die Besucher oft gefragt, warum Fussgänger und Velo unter­irdisch geführt werden. An heissen oder regnerischen Tagen wurde die Frage allerdings nie gestellt. Die Besucher waren dann in der Regel froh, im Trockenen oder im Schatten über das Projekt informiert zu werden.» Neben den verkehrlichen Errungenschaften sind dies unbestrittene Vorteile der Passage.

Unter einem Verkehrs­knoten seinen Kaffee zu trinken scheint jedoch gewöhnungsbedürftig. Stadt und Kanton ist zu wünschen, dass sich die Investition von rund 100 Mio. Franken gelohnt hat und die angepriesene «Verweil- und Flanierzone» wenigstens in Ansätzen funktionieren wird. Fakt ist aber: Der Schulhausplatz wird in erster Linie eine stark frequentierte Strassenkreuzung bleiben.


Jedem sein Abenteuer

Simon Libsig ist Autor, Wortspieler und Story-Ingenieur. Er wohnt mit seiner Familie in Baden. Seine turbulente erste Begehung der neuen Schulhausplatz-Passage schildert er hier.

«Segel setzen, Männer! Volle Kraft voraus!» Ich machte schnellere Schritte und ging in einen leichten Trab über. Der Kinderwagen nahm Fahrt auf. Meine beiden Buben kreischten vor Vergnügen. Wir näherten uns der Rampe. «Vorsicht Papa, äh, Käptn», warnte der Ältere, der auf dem Trittbrett stand, «Piraten von links!» Ein E-Biker überholte uns scharf und verschwand in der Unterführung. «Verfolgung aufnehmen!» Wir bretterten in den Untergrund, und ich steuerte den Wagen im Slalom um die vielen Säulen herum, bis mir fast übel wurde. «Die See ist rau», rief ich, «haltet euch fest, Männer, festhalten!»

Die grünen Fliesen an den Wänden umgaben uns wie aufgewühltes Wasser. Die grellen Neon­­röhren waren wie die gleissende Sonne, die sich auf den Wellen spiegelte. Wir kniffen die Augen zusammen und versuchten Kurs zu halten. «Land in Sicht!», ­meldete der Ältere vom Ausguck hinunter, und zeigte auf den neuen 7-Tage-Shop. Der Jüngere quietschte aufgeregt. Man würde bestimmt einen vergrabenen Piratenschatz finden, versprach ich und kramte in meiner Tasche nach Kleingeld. Vom öffentlichen Klavier wehten ein paar dramatische Töne herüber. Ein mutiger Korsar mit roter Jacke hatte Platz genommen und hämmerte den perfekten Soundtrack in die Tasten.

«Was für ein Abenteuer, Männer!», sagte ich zufrieden, als wir Glacé schleckend auf den Treppenstufen der neuen Cordula-Piazza sassen. Von den beiden jungen Seebären kam nur Geschmatze. Dann stockte der Ältere. Er hatte den neuen Brunnen entdeckt. Und schon war er auf den Beinen. «Wasserschlaaaaaaacht!»

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