Ein Film­pa­last für Lo­car­no

Ein historisches Schulhaus ist zu einem modernen Kinopalast geworden – der spannungsvolle Gegensatz von Alt und Neu bietet der Filmkunst eine angemessene Bühne. Der Projektverantwortliche, der spanische Architekt Alejandro Zaera-Polo, beschreibt die Verwandlung.

Publikationsdatum
24-07-2018
Revision
31-07-2018

Das PalaCinema befindet sich direkt am westlichen Eingang der Stadt Locarno, gegenüber der Piazza Remo Rossi und am Beginn der Via Rusca. Neben dem Castello Visconteo ist es ein prägendes Element der westlichen Stadtsilhouette. Das Bauwerk bietet dem Filmfestival von Locarno eine angemessene Bühne und soll dazu beitragen, es als wichtige Institution der Stadt Locarno zu etablieren. Zudem soll es zukünftig als multikulturelle Plattform für die Filmkunst dienen. Hierzu werden bestehende Synergien genutzt – zwischen dem Filmfestival von Locarno und den verschiedenen Förderern des Films in der Schweiz.

Das PalaCinema ist in der bestehenden Gebäudestruktur des Palazzo Scolastico untergebracht, der früher als Schulhaus diente. Ziel war es, das gesamte Raumprogramm für das Filmfestival innerhalb des vorhandenen Gebäudevolumens unterzubringen und die Piazza Remo Rossi davor als öffentlichen Raum für Veranstaltungen zu erhalten – beispielsweise für Filmvorführungen oder Preisverleihungen. Wo an der Piazza Remo Rossi baulich eingegriffen wurde, geschah dies ganz mit Bezug auf die veränderte Nutzung des Palazzo Scolastico und auf die neuen Einrichtungen. Bei der Pflasterung der Piazza strebte man eine Assoziation mit dem roten Teppich an, der bei Filmfestivals dazugehört. 

Der Palazzo Scolastico wurde mit einem abstrakten Kubus auf die maximal zulässige Höhe aufgestockt. Die Form des neuen Aufbaus ist eng angelehnt an das Branding des Festivals: eine «kinetische Fassade», bestehend aus 45000 goldfarbenen, oxidierten Aluminiumelementen mit einer Grösse von ca. 100 x 110 mm, die sich im Wind wiegen und dabei dynamische Muster erzeugen. Der Effekt verweist auf das Thema des Gebäudes – das bewegte Bild. Zudem erinnern die zufälligen Muster, die durch Luftströme um das Gebäude herum entstehen, an das gefleckte Fell des Goldenen Leoparden, des Pardo D'Oro– der Auszeichnung des Festivals für den besten Spielfilm. Die kinetische Fassade erinnert an Werke des amerikanischen Künstlers Ned Kahn, der in allen Teilen der Welt ähnliche Leinwände installiert hat. 

Die Fassade des Palazzo Scolastico wurde weiss verputzt, um ihre Funktion als Projektionsfläche zu optimieren. Die Laibungen der bestehenden Fenster sind mit goldfarbenen Rahmen verkleidet. Es wirkt, als flute der goldene Aufbau in die alte Gebäudehülle hinein.

Die neue Anlage umfasst drei Kinosäle: einen grossen Saal mit einer Kapazität von 550 Plätzen und zwei kleinere mit je 150 Plätzen, die im ehemaligen Innenhof des bestehenden Gebäudes untergebracht sind. Dabei wurde der grosse auf die zwei kleinen Kinosäle gestapelt, sodass im Erdgeschoss ein grosszügiges Foyer mit Blick auf den Haupteingang von der Piazza Remo Rossi entstanden ist. 

Die neuen Bildungs- und Verwaltungseinrichtungen sind in den Ost- und Westflügeln des ehemaligen Palazzo Scolastico untergebracht und mit neuen Mehrzweckräumen und einer Terrasse mit Blick auf das Castello verbunden. Diese Einrichtungen sind unabhängig von den Kinos nutzbar. Sie sind von der Via Rusca aus zugänglich und wurden so konzipiert, dass sie eine grösstmögliche Flexibilität bei der Programmgestaltung bieten. Das Gebäude ist sehr kompakt, was sich positiv auf die Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Teilen des Raumprogramms auswirkt.

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Der Architekturwettbewerb – eine vertane Chance?

Im Juli 2012 wurde der internationale Wettbewerb für den neuen Palazzo del Cinema ausgeschrieben. Als Ort für den Neubau stellte die Stadt Locarno das Gelände der ehemaligen städtischen Schulen zur Verfügung. Diese befanden sich in einem historischen Gebäude, das man als Hybrid bezeichnen könnte: Es bestand aus einem Originalbau von 1894 (Architekt: Ferdinando Bernasconi Sr.) und einem Erweiterungsbau aus dem Jahr 1931 (Architekten: Silverio Rianda und Gianpiero Respini). 

Die ursprüngliche Ausschreibung liess den 83 Architekturbüros aus ganz Europa völlige Gestaltungsfreiheit, das bestehende Gebäude zu erhalten, zu erweitern oder abzureissen, um ein neues zu bauen. Dieser Wettbewerb war für die Stadt Locarno eine einmalige Gelegenheit, etwas Neues und Aussergewöhnliches zu schaffen, denn fast alle Teilnehmer schlugen einen kompletten Neubau vor.

Doch dann geriet der Wettbewerb unter Zeitdruck: Die Stella-Chiara-Stiftung hatte sich dazu bereit erklärt, der Stadt für die Sanierung des Palazzo del Cinema einen finanziellen Beitrag von 10 Millionen Franken zu leisten – bei Gesamtkosten von etwas über 30 Millionen Franken eine beachtliche Summe –, allerdings nur unter der Bedingung, dass der Beginn der Bauarbeiten innerhalb verbindlicher, sehr kurzer Fristen erfolgte. Andernfalls wäre der Beitrag verloren und das Gesamtprojekt finanziell gefährdet gewesen.

Ein weiteres Problem: Der Tessiner Verein für Kunst und Natur STAN (früher Heimatschutz) erklärte in einer Medienmitteilung vom 12. Juli 2012, bei dem bestehenden Bauwerk handle es sich um ein wertvolles historisches Gebäude – daher werde man sich einem Abriss unter allen Umständen vehement widersetzen. Natürlich beeinflusste diese Haltung eines Vereins, der für sein Engagement zum Schutz der historischen Architektur bekannt und geschätzt ist, die öffentliche Meinung stark. Die Gemeinde- und Kantonsbehörden wollten ihrerseits die Umsetzung des eventuellen Siegerprojekts nicht jahrelang blockieren, weil sie dadurch womöglich die 10 Millionen Franken der Stella-Chiara-Stiftung verloren hätten. 

Der STAN wurde zum unüberwindlichen Bollwerk gegen die zeitgenössischen Architektur. Dass als Siegerprojekt letztlich ein Entwurf gewählt werden musste, der den historischen Bau weiter nutzt, verhinderte eine freie Entscheidungsfindung der Jury. Von den acht Büros, die in die Endrunde gelangt waren, setzte nur Alejandro Zaera-Polo auf eine Umnutzung des bestehenden Schulgebäudes – damit gewann er quasi automatisch den Wettbewerb.
Paolo Fumagalli, Architekt

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
PalaCinema Locarno SA
 

Architektur
AZPML Alejandro Zaera-Polo und Maider Llaguno-Munitxa, London und New York
DFN Dario Franchini, Lugano
 

Ingenieurbau
WMM Ingenieure, Münchenstein
 

Elektrik
SPED De Lorenzi, Locarno

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