Der Kli­ma­wan­del wird kon­kret

In einem neuen Bericht versuchen Wissenschaftler, die Folgen der Klimaänderung für die Schweiz quantitativ zu erfassen. Die Studie ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden Abschätzung der Klimafolgen. Der bisher abstrakte Klimawandel erhält zunehmend ein Gesicht.

Publikationsdatum
17-03-2014
Revision
01-09-2015

Am 14. März 2014 präsentierten Wissenschaftler der Universität Bern und etwa zehn Vertreter verschiedener Forschungsinstitute einen neuen Bericht über die Folgen des Klimawandels in der Schweiz. Dieser wurde in den letzten zwei Jahren unter Leitung des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern erarbeitet und finanziell durch das Bundesamt für Umwelt und MeteoSchweiz unterstützt. 

Die Erforschung der Klimafolgen hat in der Schweiz Tradition. Bisher seien aber vor allem qualitative Aussagen zu den Auswirkungen des Klimawandels gemacht worden, sagte Christoph Raible, der die Studie koordinierte. Im nun vorliegenden Bericht hätten sich die rund 90 Wissenschaftler der über 20 Forschungsgruppen zum Ziel gesetzt, quantitative Aussagen über die möglichen Auswirkungen bis Ende des 21. Jahrhunderts zu machen.

Quantitativ bedeutet, dass die Ergebnisse auf Modellrechnungen beruhen. Alle an der Studie beteiligten Wissenschaftler verwendeten die 2011 veröffentlichten Klimaszenarien der Schweiz. Diese gehen von drei unterschiedlichen Klimaentwicklungen aus, die durch die künftigen Treibhausgasemissionen bestimmt werden (hoher, mittlerer und niedriger Treibhausgasausstoss, letzteres aufgrund einer wirksamen Klimapolitik). 

Mehr Hitzetage und Tropennächte 

Elias Zubler von der MeteoSchweiz präsentierte eine Reihe von Klimaindizes. Zu diesen zählen etwa die Anzahl Sommer- und Hitzetage sowie die Tropennächte. Im Mittelland entlang der Flüsse zählen wir heute 30 bis 40 Sommertage (max. Tagestemperatur 25°C) pro Jahr. Gegen Ende des Jahrhunderts könnten bei einer ungebremsten Klimaerwärmung jährlich gegen hundert solcher Tage auftreten. Die Zahl der Hitzetage (max. Tagestemperatur 30°C) nimmt ebenfalls zu, und zwar von heute rund 10 auf 30 bis 40 pro Jahr.

So viele Hitzetage wurden beispielsweise im Hitzesommer 2003 verbreitet im Mittelland verzeichnet. Dieser aussergewöhnlich heisse und trockene Sommer wird deshalb oft als typischer Sommer eines künftigen Klimas gesehen. Ein anderer Indikator sind die Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20°C sinkt. Diese werden sich in den tiefen Lagen des Tessins und des Genferseebeckens häufen – was schlaflose Nächte bereiten kann. 

Spürbare Veränderungen werden sich auch beim Wasserkreislauf ergeben. Hier liessen vor allem neue Ergebnisse zum Grundwasser aufhorchen. In von Flüssen gespiesenen Vorkommen könnte sich dessen Temperatur deutlich erwärmen – mit nachteiligen Auswirkungen auf die Trinkwasserqualität. Die Unsicherheiten sind aber gerade beim Grundwasser noch beträchtlich.

Bei den Schädlingen in Forst- und Landwirtschaft könnten künftig bis zu drei Generationen pro Jahr schlüpfen. Dies wird etwa für den gefürchteten Borkenkäfer erwartet, was den Fichten zu schaffen und den Förstern das Leben schwer machen wird. Aber auch der Apfelwickler, ein Schädling im Obstbau, profitiert bei seiner Vermehrung von den wärmeren Temperaturen.

Überschätztes Sparpotenzial beim Heizen 

Zu den spannendsten Ergebnissen, die an der Tagung präsentiert wurden, zählen diejenigen zum künftigen Heiz- und Kühlenergiebedarf. Dieser beläuft sich aktuell auf rund einen Drittel des Primärenergieverbrauchs. Wie fällt der Gesamteffekt von Heizen und Kühlen aus, wenn die Temperaturen steigen? Laut Ralph Winkler vom Oeschger-Zentrum überwiegt der Spareffekt beim Heizen den zusätzlichen Kühlbedarf bei weitem. Aus diesem Grund sollte die Klimaerwärmung eigentlich mithelfen, den Energieverbrauch deutlich zu reduzieren. Winkler warnte jedoch vor übertriebenen Hoffnungen. 

Die Analyse der Daten von über 41.000 Schweizer Haushalten zwischen 2000 und 2010 hätten gezeigt, dass sich nur 50% der Schwankungsbreite der Heizgradtage auch auf den Heizenergieverbrauch auswirkten, so Winkler. Wenn sich dieses Ergebnis auf die Zukunft übertragen lässt, dürfte also nur ungefähr die Hälfte des Sparpotenzials genutzt werden.

Es wäre aber immer noch beträchtlich, denn bis 2050 könnte die Heizgradtage zwischen 5 und 21% abnehmen. Und trotzdem ergibt sich möglicherwiese nur eine Reduktion des Gesamtenergieverbrauchs von weniger als einem Prozent. Verschiedene Studien deuten nämlich darauf hin, dass die eingesparte Heizenergie infolge der frei werdenden Mittel durch den Konsum anderer Güter nahezu kompensiert wird (indirekter Rebound-Effekt).   

Milderung der Auswirkungen dank Anpassung

Der Spareffekt beim Heizen ist einer der positiven Effekte des Klimawandels. Ansonsten ermittelten die Wissenschaftler überwiegend nachteilige Folgen für die Schweiz. Einige negative Auswirkungen lassen sich durch geeignete Managmentmassnahmen abschwächen oder gar in Vorteile ummünzen. Dies ist insbesondere möglich, wenn die Klimaänderung moderat bleibt.

Eine wichtige Einschränkung ist allerdings zu machen. Die neue Studie berücksichtigt kaum Extremereignisse. Dies hängt mit den verfügbaren Klimaszenarien zusammen, die eben in erster Linie die mittleren Veränderungen der Temperatur und des Niederschlags berücksichtigen. Trotzdem liefert der Bericht einen recht guten Überblick, auf was wir uns einstellen müssen. Und er unterstreicht, wie wichtig es ist, die Treibhausgasemissionen rasch zu senken. 

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