Den Hut zie­hen

Architektur – Bild

Referenzen sind ein wichtiges Arbeitsmittel in der Architektur. Die meisten Bauwerke zitieren Vorbilder – doch wie gehen Entwerfer mit diesen Vorbildern um? Eine kleine Spurensuche.

Publikationsdatum
17-09-2014
Revision
18-10-2015

Unsere Baukultur haben Generationen von Architekten geformt. Denn der Ausdruck von Gebäuden entwickelt sich in unzähligen kleinen Schritten: Architektur ist Evolution, nicht Revolution. Ohne Unterlass werden Typologien und Formen geschliffen und geschärft. Zwar wollte die Moderne einen Schnitt setzen und die Architektur neu erfinden, aber selbst ihre Protagonisten waren bestens vertraut mit der klassischen Stilkunde und bauten ihren Formenkanon auf dem Fundament der Geschichte auf. So bleibt auch im 21. Jahrhundert der Umgang mit Vorbildern eine der Grundfesten des Berufs.

Nach einigen Ausflügen in parametrische Experimente und Versuche, Gebäude ex nihilo zu entwerfen, steht die Ausbildung anhand Referenzen wieder im Mittelpunkt. Als Gastkritiker steht man deshalb meistens vor Semesterarbeiten, die historische Vorbilder zitieren. Dabei entstehen manchmal interessante Collagen: zum Beispiel eine Fassade nach Fernand Pouillon – momentan wieder hoch im Kurs – in Kombination mit einem gründerzeitlichen Grundriss. Oder ein italienischer Rationalist, der mit organisch geformten Räumen vermählt wird. Kurzum: Die Vorbilder prallen meistens mit den eigenen Entwurfsabsichten zusammen.

«If you copy, copy good.» Diesen Ratschlag von Elias Zenghelis, seines Zeichens Lehrer von Rem Koolhaas und Mitbegründer des Office for Metropolitan Architecture (OMA), habe ich als Student selbst oft gehört. Dabei war nicht immer ganz klar, was Zenghelis damit nun meinte: Sollte die Kopie gut sein – was wohl ein «well» am Ende bedingt hätte? Oder müsste wenigstens das Original, nach dem die Kopie gefertigt ist, «good» sein? Am besten wohl beides. Doch wo befinden sich die Grenzen zwischen Plagiat, Kopie und Referenz? Wann ist das Zitat gelungen? Diese Fragen sind nicht nur im Studium von Bedeutung, denn in der Praxis spielen Referenzen eine ebenso wichtige Rolle. 

Um dem Umgang mit Vorbildern nachzuspüren, eignet sich das Beispiel der Färberei der Hutfabrik in Luckenwalde (1923) bestens. Elegant verknüpfte Erich Mendelsohn Funktion und Gestalt; aus den Vorgaben der Produktion (über die Haube des Dachs wurden giftige Dämpfe abgesaugt) entstand eine eigenwillig spannungsvolle Form. Ihr Bild brennt sich jedem ein, der es sieht. Und so taucht die Dachform – meistens verfremdet – immer wieder in den einschlägigen Publikationen auf.

Offensichtlich diente Mendelsohns Gebäude Joseph Smolenicky als Vorbild für den Golfklub am Sempachersee – auch wenn vom Programm kaum etwas weiter entfernt sein könnte als ein Golfklub von einem Industriebetrieb. Als Apologet der Lehren von Miroslav Šik und Hans Kollhoff kommt Smolenicky kaum darum herum, historische Vorbilder zu zitieren. Doch mit einem kreuzförmigen Grundriss, der sich in die Landschaft verzahnt, erschafft er ein eigenes, eigenständiges Werk. Das prägnante Dach bildete den Ausgangspunkt der entwerferischen Suche: Die Form löste sich von der Funktion und fand an einem neuen Ort und unter veränderten Bedingungen eine zeitgenössische Interpretation. Das Zitat ist weit mehr als Dekoration oder blosser Beweis für die Belesenheit des Architekten: Die eigenwillige Form hat die Gestalt des Hauses geprägt. 

Auch beim Umbau der Kantonsbibliothek Liestal schimmert die Färberei von Mendelsohn durch – selbst wenn in der Fachpresse der Bezug auf die ursprüngliche Dachform der ehemaligen Lagerhalle hervorgehoben wird. Liechti Graf Zumsteg Architekten überlagern beide Zitate – Mendelsohn und den Vorgängerbau –, wodurch die Dachform aus den Fugen gerät. Die Haube wird zur Laterne, die Eindeckung des Dachs geht nahtlos in eine mansardenähnliche Wand über. Die Gauben, als Zitat der ehemaligen Lagerhalle, unterbrechen die Dachform und verleihen ihr einen völlig neuen Ausdruck. Wäre dies nach Zenghelis noch «copy good»  Ist in diesem Fall die Färberei als Vorbild noch geeignet oder bloss ein fernes Echo? Vielleicht wäre dies der Moment gewesen, eine neue Referenz zu suchen. Kill your darlings. 

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