Weit­blick und Ge­spür

Viele mutige Entscheidungen und weitsichtige Ideen haben den Berufsalltag von Dialma Jakob Bänziger geprägt. Vier seiner Wegbegleiter berichten über Kreativität, Pioniergeist, Professionalität und einige seiner besonders bemerkenswerten Brücken.

Publikationsdatum
20-05-2022

Wenn ein eiliger Automobilist in 10 Sekunden über die Brücke saust, so wird ihm in keiner Weise bewusst, wie mancher Kopf und wie viele Hände an dem Werk mitgearbeitet haben, wie viele Erfahrungen und Untersuchungen für das Gelingen notwendig waren», schrieb M. Hartenbach 1958 in der «Schweizerischen Bauzeitung» als Einleitung zu seinem Artikel über die Weinlandbrücke bei Andelfingen ZH.

Gelingt es einem Ingenieur dennoch, als Brückenbauer wahrgenommen zu werden, hat er vieles richtig gemacht. Einer, dem das gelungen ist, ist Dialma Jakob Bänziger. Über 400 Brücken hat er mit seinen Mitarbeitenden in seinem Berufsleben geplant und betreut. Einige müssen instand gesetzt werden, nicht zuletzt wegen angepasster Normen und strengeren Sicherheitsvorschriften.

Viele der Brücken aber stehen noch, sind Teil der Landschaft geworden, regelrecht mit ihr verwachsen. Anlass genug genauer hinzuschauen: Wodurch zeichnen sich die ursprünglichen Projekte aus? Wie robust und dauerhaft sind die Konstruktionen von damals heute noch? Wie flexibel reagieren sie auf Lasterhöhungen? Oder aus der aktuellen Diskussion heraus: Inwiefern wurden die heute wichtigen Themen zirkuläres Bauen, Rückbau und Recycling damals schon berücksichtigt?

 

Dialma Jakob Bänziger wurde am 14. September 1927 in Vnà GR geboren und ist im bündnerischen Puschlav und in Buchs SG aufgewachsen. 1951 schloss er sein Bau­ingenieurstudium an der ETH Zürich ab. 1962 wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit. Bis 2004 war Dialma Jakob Bänziger Mitglied der Geschäfts­leitung Bänziger Partner AG.

 

Der spanische Vorname Dialma ist im deutschsprachigen Raum eher ungewöhnlich, und Bänziger entschied sich daher, immer beide Vornamen zu benutzen.1

 

Bis 2004 waren Bänziger und seine Mitarbeitenden für über 400 ausgeführte Brücken verantwortlich. Die wichtigsten:

 

1961–1965: Achereggbrücken, Stansstad NW

1963–1967: SBB-Hardturmviadukt, Zürich 1

1963–1965: Limmatbrücke der A1, Schlieren ZH

1976–1983: Lehenviadukt, Beckenried NW

1980–1983: Sitterviadukt, St.Gallen

1983–1985: Rheinbrücke, Diepoldsau SG

1988–1993: Aareviadukt der A3, Schinznach AG

1989–1992: Hundwilertobelbrücke, Hundwil AR

1991–1993: Hinterrheinbrücke RhB, Thusis GR

1991–1993: Br. Oberwasserkanal, Beznau AG

1994–1996: Seebrücke Luzern

1996–1998: Sunnibergbrücke, Klosters GR

1998–2004: Dreirosenbrücke, Basel

1999–2000: Murgbrücke, Mattst.Rothrist

2000–2001: Neue Talbrücke, Dättwil AG

2000–2005: Rhonebr. BLS Alptransit, Raron VS

2002–2004: Schachenbr. Aare, Obergösgen

2003–2004: Viaduc de Chaluet, Court JU

2003–2005: Bennauersteg, Bennau SZ

Im persönlichen Gespräch

2017 sprach TEC21-Korrespondentin Clementine Hegner-van Rooden persönlich mit Dialma Jakob Bänziger ­anlässlich seines 90. Geburtstags. Er erklärte damals: «Damit wir Wettbewerbe gewinnen konnten, mussten wir immer wieder etwas Neues, eine Innovation einbringen. Zwar legen die Jurierenden ihr Augenmerk – auch heute noch zu oft – auf den Preis. Ihnen scheint dies das wichtigste Kriterium. Dem ist aber nicht so. Der Preis ist nicht der ausschlaggebende Punkt eines guten Brückenprojekts. Vielmehr ist es der Bauvorgang der Brücke. Bei jedem Projekt sprach ich mit Unternehmen und fragte sie, wie sie die Brücke bauen würden, die ich entworfen hatte. Mit den Firmen Preiswerk und Spaltenstein Hoch- und Tiefbau arbeitete ich oft zusammen. Hatten wir eine gute Idee wie den Freivorbau oder den feldweisen Bau, bei der man immer wieder gleiche Elemente verwendete, so waren wir auf dem richtigen Weg für einen guten ­Brückenentwurf. Der Bauprozess war das Allerwichtigste – und ist es auch heute noch.»

Lesen Sie auch: «Et­was Neu­es ein­brin­gen» – Interview mit Dialma Jakob Bänziger

Gern hätten wir erneut seine persönlichen Erinnerungen an die vielen Projekte und den Beruf des Bauingenieurs in diese Ausgabe einfliessen lassen. ­Bänzigers Gesundheitszustand liess das leider nicht zu. Der Brückenbauer war und blieb während seiner gesamten Karriere projektierender Ingenieur.

In die didaktische Lehre zu gehen entsprach nicht seinem Naturell. Trotzdem war er nicht der zurückgezogene Ingenieur. Das belegen die vielen Artikel im Archiv der «Schweizerischen Bauzeitung». Er berichtet über Projekte – verschweigt auch Probleme und Fehler nicht – und möchte Diskussionen anstossen. In allen Texten kommt zum Ausdruck, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten an einem Bauwerk ist.

Vier Bauingenieure, die Bänziger schon länger kennen bzw. auch mit ihm zusammengearbeitet haben, bestätigen diese bereichernde und inspirierende Kooperation. Sie schildern jeweils anhand einer besonderen Brücke die Idee ihres Firmengründers, heben hervor, wo die Stärken der Konstruktion liegen, und beurteilen die Brücke aus heutiger Sicht.

Abenteuer Spannbetonbrücke, Andelfingen ZH, 1958

Den Grundstein für seine berufliche Zukunft legte ­Bänziger mit seinem Abschluss als Bauingenieur 1951 an der ETH Zürich. Nach seinem Diplom war er zunächst im Bauunternehmen und im Ingenieurbüro Locher&Cie. im Tiefbau und im Wasserbau tätig. Zudem wirkte er beim Wettbewerb für die Weinlandbrücke in Andelfingen ZH mit – eine Aufgabe, die für seinen weiteren Weg noch sehr wichtig werden würde. 1955 wechselte Bänziger ins Ingenieurbüro Hans Eichenberger in Zürich, wo er massgeblich an der Projektierung der ersten grossen Spannbetonbrücke der Schweiz mitwirkte – eben dieser Weinlandbrücke.

Die Brücke war zur damaligen Zeit ein Pionierwerk. Ein vorgespanntes Tragwerk zu berechnen war be­sonders herausfordernd, denn damals gab es nur wenig Fachliteratur zum Thema. Die damalige Ausgabe der SIA-Norm 162 enthielt nur einige einfache Grundsätze. Die Ausführung in drei Bauetappen war ebenfalls ein Novum – vorher erstellte man Stahlbetonbrücken in «einem Guss». Die Bauzustände mussten erfasst und berechnet werde n, damit sie zusammen im Endzustand ein integrales Bauwerk ergaben.

Nutzungsänderung Weinlandbrücke

2010 beschloss das Bundesamt für Strassen Astra, die Autobahn zwischen der Verzweigung Winterthur Nord und dem Anschluss Kleinandelfingen von zwei auf vier Fahrspuren mit Richtungstrennung und Pannenstreifen auszubauen. Für einen solchen Ausbau benötigt man eine minimale Breite von 25.10 m; es fehlten demnach 9.30 m. Das Astra beauftragte das Ingenieurbüro Bänziger Partner, die weitere Nutzung der Weinlandbrücke zu prüfen.

Luc Trausch, Bauingenieur und Niederlassungsleiter von Bänziger Partner in Zürich, hat sich seinerzeit intensiv mit dem Projekt beschäftigt: «Bei der Überprüfung für den Nationalstrassenausbau stand für den Auftraggeber der Rückbau der bestehende Weinlandbrücke im Vordergrund. In einem persönlichen Gespräch habe ich Dialma Jakob Bänziger damals über diese Ausgangs­lage in Kenntnis gesetzt. Er war recht mit­genommen, als er hörte, dass dieses Pionierwerk abgebrochen werden sollte.»

Ein Bauwerk retten

Die Ingenieure untersuchten daraufhin drei Szenarien: eine verbeiterte Brücke, eine Instandsetzung des bestehenden Bauwerks mit dem Neubau einer zusätzlichen Brücke sowie den Ersatz des bestehenden Bauwerks durch den Neubau einer Zwillingsbrücke. Die Nutzwert- und die Kosten-Nutzen-Analyse ergaben ein deutliches Ergebnis zugunsten des zweiten Szenarios. Die weitere Nutzung der Weinlandbrücke sei gerade in der aktuellen Diskussion um die Nachhaltigkeit positiv zu werten, ist Trausch überzeugt.

Voraussetzung für die künftige Nutzung war der Nachweis der ausreichenden Tragsicherheit des Bauwerks für eine Restnutzungsdauer von ca. 40 Jahren. Die Ingenieure prüften alle möglichen Verkehrsszenarien statisch, wobei alle Nachweise mit einem Erfüllungsgrad über 1.0 geführt werden konnten.

Dabei waren die Nachweise in Brückenlängstragrichtung hinsichtlich Biegung und Querkraft, wie zu erwarten, zwar knapp. Aber eine weitere Verifikation mittels der Methode der Spannungsfelder bestätigte die Trag­sicherheit in eindrücklicher Weise. Gemäss Trausch seien hierfür zwei Faktoren massgebend: die sorgfältige konstruktive Durchbildung des originalen Tragwerks und die 1992 durchgeführte Instandsetzung. Beides ergab letztlich das robuste und dauerhafte Beton­tragwerk.

So konnte gezeigt werden, dass die in den 1950er-Jahren gewählten Dimensionen zwar sehr schlank sind, das Tragwerk jedoch dank gut geführter Bewehrung mit feiner Verteilung, ausreichender Überdeckung und präziser Ausführung über eine ausreichende Robustheit für die kommenden Jahre verfügt. «Im Wissen um die Erhöhung der anzunehmenden ­Lasten durch die normativen Veränderungen der Lastmodelle seit den 1950er-Jahren ist dieses Resultat bemerkenswert. Bänziger nahm mit Genugtuung zur Kenntnis, dass die ‹Rettung› der Weinlandbrücke geglückt ist», schliesst Trausch seine Ausführungen.

Lesen Sie auch: «In­ge­nieur­bau­kunst un­ter Zeit­not» – Interview mit Dialma Jakob Bänziger über den Rohbau der Toni-Molkerei

Zurzeit ist nicht klar, wann der Ausbau erfolgen kann, da die erforderliche Genehmigung noch nicht rechtskräftig ist. Gemäss heutigem Stand ist der frühestmögliche Starttermin für das Frühjahr 2024 vorgesehen. Da sich die Engpassbeseitigung verzögert, setzt das Astra die bestehende Weinlandbrücke im Pfeilerbereich bereits 2022 als Vorausmassnahme instand. Dies gewährleistet durchgehend einen sicheren Betrieb.

Der eigene Chef

Mit seinen Erfahrungen aus der Baupraxis und einem Einblick in die Rolle des Bauherrn – er arbeitete 1958 ein Jahr für die SBB in der Sektion für Brückenbau – gründete Dialma Jakob Bänziger gemeinsam mit seinem Studienkollegen Edy Toscano 1959 ein eigenes Büro.

Während der dreijährigen Zusammenarbeit entwickelten sich die Interessen der beiden Partner in unterschiedliche Richtungen, wie Bänziger im Radiointerview mit dem SRF 2016 erklärt. 1962 wurde er nach der Trennung von Toscano Alleininhaber. Es war die Zeit neuer Materialien und Verfahren sowie die Zeit des Baubooms, vor allem im Nationalstrassenbau. Mit Geschick, Mut und cleveren Lösungen konnte ­Bänziger diverse Brückenwettbewerbe für sich ent­scheiden.

Unter anderem gehören die Achereggbrücken (1961–1965), der SBB-Hardturmviadukt (1963–1967) oder die Limmatbrücke der A1 Schlieren–Oberengstringen (1963–1965) dazu. Regelmässig veröffentlichte er dazu Bei­träge in Fachzeitschriften und hielt Vorträge vor Fachpublikum.

In der «Schweizerischen Bauzeitung» vom 2. November 1972 prangerte er in einem Beitrag mit dem Titel «Plane lang – baue kurz» die gängige Praxis hinsichtlich Planungs- und Bauablauf an. Der am weitesten verbreitete Fehler sei, dass mit dem Bauen begonnen werde, bevor die Planung abgeschlossen sei. Insbesondere werde die Ingenieurarbeit im Hochbau erst kurz vor Baubeginn vergeben. Dadurch habe der Ingenieur keine Möglichkeit mehr, in echter Partnerschaft mit dem Architekten das optimale Tragwerkkonzept zu erarbeiten. Er könne nur noch unter erheblichem Zeitdruck die vom Architekten vorgesehene Struktur verwirklichen. Eine wertvolle Möglichkeit, Baukosten einzusparen, gehe damit verloren. Die Einsparung durch eine abgeschlossene Planung vor Baubeginn schätzte Bänziger damals auf 10% und forderte: «Mit den vorstehend skizzierten, heute noch weitverbreiteten Praktiken muss aufgeräumt werden, wenn das ganze Baugeschehen rationalisiert werden soll.»

Durchatmen

Bänziger baute das Unternehmen an verschiedenen Standorten aus und hatte viele Aufträge. Selbstständigkeit hat den Ruf, endlich arbeiten zu können, wann es einem danach ist. Doch allzu oft wird aus der scheinbaren Leichtigkeit und Unabhängigkeit Arbeitsüber­lastung und Stress. Das bekam auch Bänziger zu spüren. Das Wort Burn-out war zwar noch nicht gebräuchlich, aber während der Projektierung der Toni-Molkerei 1977 musste er auf ärztlichen Rat kürzer treten.

Nach einer Pause fand er einen effizienten Umgang mit den eigenen Ressourcen. Auch in dieser Phase veröffentlichte ­Bänziger Artikel zu seinen Projekten. Er erläuterte die Hauptprobleme der Konstruktion beim Neubau der Toni-Molkerei, der heutigen Kunsthochschule in ZürichWest (vgl. TEC21 39/2014, «Toni-Areal Zürich»). Besonders interessant ist hier die Wortwahl. Er sprach noch von Problemen, heute würde wohl eher das Wort «Herausforderungen» im Titel des Beitrags stehen.

Zudem erläuterte er seine Gedanken beim ­Entwurf des Lehnenviadukts Beckenried – einem ­Abschnitt der Gotthardautobahn – bei dem er die Bedeutung der Ästhetik besonders hervorhob. Wichtig erschien ihm, dass das Bauwerk die Hanglandschaft möglichst wenig dominiere. So kam er zum Schluss, ein schmales Band mit einheitlichen Pfeilerabständen eigne sich am besten, um an diesem Ort einen ruhigen Gesamteindruck zu vermitteln. Von ästhetischen Überlegungen ist auch die Schrägseilbrücke in Diepoldsau SG geprägt. 1983 erbaut, wurde sie 2015 umgebaut. Dafür musste auch dieses regionale Wahrzeichen angepasst werden.

Ästhetisch eindrucksvoll: Schrägseilbrücke, Diepoldsau SG, 1985

Seit der Begradigung des Rheins oberhalb des Bodensees zu Beginn des 20. Jahrhunderts liegt die Gemeinde Diepoldsau auf der rechten Rheinseite. Vor dem 1923 erfolgten Rheindurchstich in Diepoldsau wurden drei Stahlfachwerkbrücken über den künstlichen Flusslauf erstellt, wovon die zentrale Verbindung zur Nachbargemeinde Widnau SG auf der linksrheinischen Seite als Wahrzeichen und Zeugnis früher Ingenieurbaukunst wahrgenommen wurde.

Ende der 1970er-Jahre war diese Stahlfachwerkbrücke infolge Korrosionsschäden jedoch in einem derart schlechten Zustand, dass ein Ersatz erforderlich wurde. Der Kanton St. Gallen fasste eine neue Spannbetonträgerbrücke ins Auge.

Bänziger, der fünf Jahre seiner Jugend in Diepoldsau verbracht hatte, und Albert Köppel, sein langjähriger Geschäftspartner, der in Widnau aufgewachsen war, hatten einen starken persönlichen Bezug zum Brückenstandort. Sie wurden von einem Initiativkomitee beauftragt, eine Brücke zu entwerfen, und ­schlugen eine Schrägseilbrücke vor – die erste Strassen­brücke dieser Art in der Schweiz.

Mutig konstruiert

Der Kanton St.Gallen entschloss sich in der Folge, 1982 eine Schrägseilbrücke zur freien Konkurrenz auszuschreiben. Dabei setzte sich das in der Zwischenzeit weiterentwickelte und zusammen mit einer Unternehmergruppe um die Preiswerk AG als Submissionsvariante eingereichte Projekt durch.

Die Gestaltung, der wirtschaftliche Materialeinsatz und ein optimierter Bauvorgang waren die Gründe dafür. Und eine mutige Bauherrschaft, sagt Luc Trausch: «Nur mit dem Mut zum Risiko können solche eindrucksvollen Bauwerke entstehen. Dabei sollte man von Erprobtem und Bewährtem ausgehen und konsequent darüber hinausgehen.»

Der Rohbau der Brücke konnte in nur einem Jahr gebaut werden. Die Vorlandbrücken und Pylone wurden dabei vorgängig ausserhalb der Hochwasserzeit konventionell auf Lehrgerüsten erstellt, der seilabgespannte Abschnitt über dem Mittelgerinne hingegen im Freivorbau ohne Einschränkungen infolge Hoch­wasser.

Für den Freivorbau wurde ein spezieller Vorbauwagen entwickelt. Seine Aufhängung erfolgte mit den definitiven Schrägkabeln inklusive deren Verankerung im Brückenüberbau in vorfabrizierten Elementen, sodass keine weiteren Hilfskonstruktionen zur Abspannung erforderlich waren. Zur Vorausberechnung des Trag-, Deformations- und besonders des Schwingungsverhaltens der relativ weichen Tragkonstruktion im Endzustand sowie in den verschiedenen Bauzuständen mussten Computerberechnungen an ebenen und räumlichen Modellen durchgeführt werden. Auch das war zu Beginn der 1980er-Jahre Neuland.

Zur Verifikation der Berechnungen wurden nach der Fertigstellung umfangreiche Belastungsversuche mit statischen und dynamischen Einwirkungen durchgeführt. Die Ingenieure werteten die Messungen detailliert aus und stellten eine hohe Übereinstimmung mit dem rechnerisch vorausgesagten Verhalten fest.

Da es sich zum Zeitpunkt der Erstellung um eine neue Bauweise handelte, sahen die Projektverfasser im Sicherheitsplan auch periodische Überprüfungen des generellen Trag- und Verformungsverhaltens vor. Bis heute werden die langfristigen Deformationen im Zweijahresrhythmus aufgenommen. Die statischen Belastungsversuche wurden bisher zweimal unter identischen Randbedingungen wiederholt.

Auf den ebenfalls im Sicherheitsplan vorgesehenen Ausbau und Ersatz eines Schrägkabels nach 20 Betriebsjahren zur detaillierten Überprüfung auf Schäden hat die Bauherrschaft hingegen verzichtet. Gezielte zerstörungsfreie Untersuchungen und die ­Analyse des Tragverhaltens während Belastungstests ergaben keinen Verdacht auf Schädigungen in den Schrägkabeln, sodass man diese aufwendige Massnahme als nicht verhältnismässig beurteilte und verwarf.

Brückenumbau, Instandsetzung 2015

Über die Rheinbrücke Diepoldsau fahren täglich rund 20000 Motorfahrzeuge, und in beide Fahrt­richtungen führen intensiv genutzte Velorouten über die ­Brücke. Das ursprüngliche Normalprofil mit nur einem Bankett für gemischten Langsamverkehr auf der Unterwasserseite war darauf nicht ausgelegt.

Um Abhilfe zu schaffen, beschloss das Tiefbauamt des Kantons St.Gallen 2015, den Brückenüberbau umzubauen. ­Bänziger+Partner wurde beauftragt, einen Überbau mit beidseitig angeordneten Banketten und neuen massiven Brüstungen entlang des Brückenrands zu projektieren. Zudem sollte das gesamte Tragwerk nach aktuellen Normen rechnerisch überprüft werden.

Für die erste Überprüfung 2010 verantwortlich war Stefan Köppel – Bauingenieur, Vorsitzender der Geschäftsleitung bei Bänziger Partner und Sohn des ehemaligen Projektverfassers Albert Köppel. Er sagt: «Trotz der erhöhten Eigenlasten infolge der zusätzlichen Aufbauten konnten die Tragsicherheitsnachweise weitestgehend erfüllt werden. Dank der damals sauberen konstruktiven Durchbildung der Bauteile und den Trag­reserven insbesondere in den Schrägkabeln waren mit dem Umbau keine wesentlichen Ertüchtigungen am Tragwerk nötig.»

Die Instandsetzungen im Jahr 2015 beschränkten sich auf die nicht tragenden Elemente wie Ab­dichtung, Belag, Fahrbahnübergänge und Brüstungen. Einzig der Schubwiderstand der Fahrbahnplatte musste über den Vorlandpfeilern ertüchtigt werden. Die Verstärkung erfolgte mit in vertikale Bohrungen eingeklebter Bewehrung in begrenzten Bereichen hoher Schubbeanspruchung. «Diese Robustheit und dieses Lastpotenzial des Tragwerks sind nicht selbstverständlich», schliesst Köppel.

Profit gegen Sicherheit

Neben seiner selbstständigen Arbeit als projektierender Ingenieur setzte sich Dialma Jakob Bänziger stark für die Regeln der Baukunde und für die ethischen Grundsätze des Ingenieurberufs ein. Das zeigt ein weiteres starkes Statement und ein Aufruf an seine Berufskollegen vom März 1988 in der «Schweizerischen Bauzeitung»: «Dieses gefährliche Spiel mit der Gebrauchstauglichkeit und der Tragsicherheit um des Profites willen muss aus der Baubranche verschwinden, sollen nicht noch weitere Bauschäden und Bauunfälle passieren. Es ist für einen qualifizierten Ingenieur unwürdig zu wissen, dass die Wahl für eine Bauaufgabe nicht nach seiner Eignung, sondern nach Honorarangeboten und vernachlässigter Gebrauchstauglichkeit und Sicherheit erfolgt. Bei einer medizinischen Operation holt der Patient auch nicht bei fünf Chirurgen Pauschalofferten ein, um sich dann vom billigsten operieren zu lassen.» Er forderte damals eine gesetzliche Regelung – die es bis heute nicht gibt.

Weitsicht zeigen, Landschaft lesen: Aareviadukt Schinznach AG, 1988

«Nach neuesten Erkenntnissen umweltschonend gebaut», so lobten Bundesrat Moritz Leuenberger und der Aargauer Baudirektor Thomas Pfisterer den Autobahnabschnitt zwischen Frick und der Verzweigung Birrfeld bei dessen Eröffnung im Oktober 1996. Einen Autobahnbau als umweltschonend anzupreisen, klingt erst einmal widersprüchlich. Doch die Herren verwiesen darauf, dass Kanton und Bund grossen Wert auf Umweltthemen legten – was in den 1990er-Jahren noch keine Selbstverständlichkeit war.

Aus Landschaftsschutzgründen sah das «Generelle Projekt» eine vergleichsweise teure Linienführung mit tief liegender Aaretalquerung und anschlies­senden Tunnelbauten vor. Damit war eine kostengünstigere Variante mit dominanter Hochbrücke vom Tisch, die in den Jahren zuvor die Gemüter erhitzt hatte

Basierend auf diesem Entscheid galt es, ein Brückenprojekt für die 1200 m lange Aaretalquerung bei Schinznach zu finden. Der Kanton Aargau führte dazu 1982 einen Projektwettbewerb nach SIA-Ordnung durch. Gefragt war ein Projekt, das technische Qualität und Umweltverträglichkeit vereint. So gehörten  Natur- und Umweltschutz, Formgestaltung, Landschaftspflege und der Bauablauf zu den Bewertungskriterien.

Von 25 Bewerbern wurden sieben zum Wett­bewerb eingeladen. Darunter auch das Team D.J. Bänziger+Partner mit Meyer+Senn+Erne und Gerold Fischer Landschaftsarchitekt. «Am Wochenende vor der Abgabe herrschte im Büro Hochbetrieb. Das Team war rund um die Uhr beschäftigt mit dem händischen Kolorieren der unzähligen Pläne.

Fast alle Mitarbeiter inklusive der Sekretärin, der Lehrlinge und deren Freundinnen hätten freiwillig mitgeholfen, berichtet Bänziger immer wieder gern von diesem gemeinsamen Effort, der schliesslich zum Erfolg führte», sagt Harry Fehlmann, Bauingenieur und Niederlassungsleiter von Bänziger Partner in Baden.

Die Jury lobte das Siegerprojekt brückenbautechnisch, aber auch bezüglich des Umgangs mit Landschaft und Umwelt, als sehr überzeugend. Tatsächlich setzte der Entwurf die bewährte Konstruktionsart einer Hohlkastenbrücke mit Längs- und Quervorspannung konsequent um. Die Spannweiten variierten gekonnt in Abstimmung auf Landschaft und Höhenlage. Die Formgebung der Brücke und ihrer Bauteile war sorgfältig, jedoch zurückhaltend. Abgestimmt auf die Randbedingungen wurde im Bereich Aare ein Bauvorgang mittels Freivorbau vorgeschlagen, im Bereich Badschachen dagegen eine waldschonende Überkopfbauweise mittels Lehrgerüst.

Die neue Brücke würde ein Stück Natur buchstäblich in den Schatten stellen. Als Ersatz- und Aufwertungsmassnahme schlug das Wettbewerbsprojekt ein aquatisches System mit einem neuen Wasserlauf vor, der unter der Brücke von der Aare zum Badkanal fliesst. Der innovative Vorschlag, der die direkt be­troffene Landschaft respektvoll berücksichtigt – weitsichtig und damals nicht selbstverständlich – fand bei Jury und Umweltexperten grossen Anklang.

Verstärkung gesucht

Fehlmann erinnert sich: «Als der Baubeginn absehbar wurde, suchte Bänziger per Zeitungsinserat personelle Verstärkung. Dank vier Jahren Praxiserfahrung im Brückenbau durfte ich mich vorstellen. Der Patron begrüsste mich herzlich und orientierte umfassend über die bevorstehenden, interessanten Brückenprojekte. Beim Schinznacher Projekt war die Konstellation günstig, da ich aus Baden stamme und in meiner bisherigen Tätigkeit einige Brückenbauten für den Kanton Aargau als projektierender Ingenieur betreut hatte.» Im Herbst 1987 trat Fehlmann seine Stelle an und war schon bald hauptsächlich mit der Ausführungsprojektierung des Aareviadukts beschäftigt. Ein Jahr später wurde er zum Chef gerufen; dieser sagte ihm, er denke über die Eröffnung einer Niederlassung von Bänziger+Partner im Aargau nach und würde sich freuen, wenn Fehlmann den Aufbau und die Leitung des neuen Büros übernähme. So nahm am 1. Mai 1989 Bänziger+Partner in Baden seine Tätigkeit auf.

Die Planung und Realisierung des Aareviadukts beschäftigte das Badener Team über mehrere Jahre. Es folgte der Bau des aquatischen Systems. Es unterlag einer langjährigen Überwachung, die eine positive, über den Erwartungen liegende Entwicklung der Fauna und Flora zeigte.

Inzwischen gehört das aquatische System zum Auenschutzpark Aargau und wird auf dessen ­Website wie folgt beschrieben: «Unter dem Viadukt der Nationalstrasse A3 ist ein abwechslungsreiches Ge­wässer entstanden. Seltene Fische wie Nase, Bitterling, aber auch das Bachneunauge leben hier. Gebirgsstelze, Wasseramsel und Eisvogel sind oft zu beobachten. Dieses erfolgreiche System würde man heute wieder so aufbauen.»

«Auch das Brückenbauwerk hat sich bewährt. Es zeigt sich 30 Jahre nach seiner Fertigstellung in einwandfreiem Zustand. Dauerhaftigkeit, Wirtschaftlichkeit und Ästhetik, das hat Bänziger in seinen Projekten stets angestrebt», sagt Fehlmann.

Von der eigenen Arbeit eingeholt

Dauerhafte, robuste und weitsichtige Projekte bestehen über Generationen. Sie bieten die Chance, das damals Erstellte zu reflektieren und daraus zu lernen, das Verständnis dafür zu entwickeln und die Arbeit des eigenen Büros wertzuschätzen. Im besten Fall ergeben sich aus diesen wertvollen Erkenntnissen und Geschichten wiederum neue Projekte, die ebenso dauerhaft, robust und weitsichtig sind.

Nach der Umwandlung der Unternehmungen in die Gesamtfirma «Bänziger Partner AG», zog sich D.J. Bänziger 2004 aus dem Berufsalltag zurück. «Beim Ausscheiden aus der Geschäftsleitung hat er mir anvertraut, dass er in seiner ganzen Berufstätigkeit keine Stunde der Langeweile erlebt habe und überzeugt sei, dass Bauingenieur der schönste Beruf sei, den es gibt», schreibt Albert Köppel im Vorwort der Autobiografie Bänzigers.1 Das sollte Ansporn für jeden Bauingenieur und jede Bauingenieurin sein, sich mit dem Vermächtnis, das er der jungen Generation übergibt, sorgfältig und mit Bedacht umzugehen und den Bestand genau zu analysieren, ist man denn einmal damit konfrontiert.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 16/2022 «Dialma Jakob Bänziger».

Alle erwähnten Texte aus der «Schweizerischen Bauzeitung» von Dialma Jakob Bänziger finden Sie hier.

Anmerkungen

 

1 Dialma Jakob Bänziger, Brückenbau 1960–2005, Gesellschaft für Ingenieurbaukunst, ETH Zürich; Theiler Druck, Wollerau 2009.

Verwandte Beiträge