«Et­was Neu­es ein­brin­gen»

Interview mit Dialma Jakob Bänziger

Anlässlich seines 90. Geburtstags spricht TEC21 mit dem Schweizer Bauingenieur Dialma Jakob Bänziger. Er war leidenschaftlicher Brückenbauer, und das Thema beschäftigt ihn bis heute. 

Publikationsdatum
18-10-2017
Revision
18-10-2017

TEC21: Herr Bänziger, am 14. September durften Sie Ihren 90. Geburtstag feiern. Herzliche Gratulation zu diesem runden Ehrentag!
Dialma Jakob Bänziger: Vielen Dank. Ja, 90 Jahre. Ich merke das Alter doch langsam in den Beinen …

TEC21: In Ihrem erfahrungsreichen und bewegten Leben haben Sie viele Schweizer Brücken gebaut. Sie gehören zu den Schweizer Pionieren in diesem Bereich. 
Dialma Jakob Bänziger: Es sind in der Tat viele Brücken. Während 40 Jahren, von 1960 bis 1999, hatte ich zusammen mit meinen Partnern die Leitung unserer regional verteilten Ingenieurbüros inne. In dieser Zeit haben wir an 50 Brückenwettbewerben teilgenommen. Neben den zahlreichen Hoch- und Tiefbauten, die wir sonst ausführen durften, waren die Brücken natürlich aufwendige Projekte, die aber begeisterten. Belohnt wurden wir für unsere leidenschaftliche Arbeit mit einer hohen Erfolgsquote von über 40 % bei Brückenwettbewerben. Das heisst 23 Wettbewerbe. Viele allein, aber meist in Ingenieurgemeinschaften. So wirkte ich von 1959 bis 2004 bei 494 ausgeführten Brücken mit. Verantwortlich war ich jeweils für die Projektierung und/oder die Bauleitung.

TEC21: Worin lässt sich der beeindruckende Erfolg der siegreichen Wettbewerbsprojekte vor allem erklären?
Dialma Jakob Bänziger: Damit wir Wettbewerbe gewinnen konnten, mussten wir immer wieder etwas Neues, eine Innovation einbringen. Zwar legen die Jurierenden ihr Augenmerk – auch heute noch zu oft – auf den Preis. Ihnen scheint dies das wichtigste Kriterium. Dem ist aber nicht so. Der Preis ist nicht der ausschlaggebende Punkt eines guten Brückenprojekts. Vielmehr ist es der Bauvorgang der Brücke. Wie baue ich die Brücke? Bei jedem Projekt sprach ich mit Unternehmen und fragte sie, wie sie die Brücke bauen würden, die ich entworfen hatte. Mit den Firmen Preiswerk und Spaltenstein Hoch- und Tiefbau arbeitete ich oft zusammen. Hatten wir eine gute Idee wie den Freivorbau oder den feldweisen Bau, bei der man immer wieder gleiche Elemente verwendete, so waren wir auf dem richtigen Weg für einen guten Brückenentwurf. Der Bauprozess war das Allerwichtigste – und ist es auch heute noch.

TEC21: Was macht denn einen sogenannt guten Brückenentwurf aus?
Dialma Jakob Bänziger: Das Wesentliche für eine gute Brücke sind der gestaltende Entwurf und die harmonische Eingliederung in die Landschaft oder in die städtische Umgebung. Gleichzeitig damit wird die Konstruktion entwickelt. Im Anschluss werden mit der statischen Berechnung die Tragfähigkeit und die Gebrauchstauglichkeit nachgewiesen. Vitruv, der berühmteste Architekturkritiker im klassischen Altertum, zählte denn auch Firmi­tas, Utilitas und Venustas zu den wichtigsten Kriterien beim Bauen. Die Standfestigkeit, die Funktionalität und die Ästhetik beziehungsweise die Baukultur.

TEC21: Offenbar war die Baukultur in der damaligen Zeit wichtiger als die Wirtschaftlichkeit.
Dialma Jakob Bänziger: Heute ist die Wirtschaftlichkeit das Wichtigste – zumindest in unserem politischen System. Dass eine Brücke fest ist und funktioniert, ist selbstverständlich. Die Herausforderung ist, die richtige Balance zwischen Ästhetik und Wirtschaftlichkeit zu finden. Wie Christian Menn es in meinem Buch1 schon ausformuliert hat: «Technik, Form und Umweltverträglichkeit müssen eine Einheit bilden. Erst dann kann man mit einem Brückenvorschlag einen Wettbewerb gewinnen.»

TEC21: Christian Menn schreibt in Ihrem Buch, dass an allen Ihren Brücken der aktuelle State of the Art im Brückenbau deutlich ablesbar ist. Prägen die Innovationen im Bauvorgang den Brückenentwurf?
Dialma Jakob Bänziger: Es ist vor allem so, dass sich der vorgeschlagene Bauvorgang wirtschaftlich niederschlägt. So war es auch bei der Hundwilertobelbrücke über die Urnäsch im Appenzellischen. Das rund 80 m tiefe, durch die Urnäsch gebildete Hundwilertobel mit seinen steilen Talflanken sowie die Linienführung mit der beinahe rechtwinkligen Talüberquerung boten sich geradezu für den Bau einer Bogenbrücke an. Bogenbrücken waren in den 1980er-Jahren – und auch heute noch – infolge des aufwendigen Bauverfahrens nicht sehr kostengünstig. Erst durch den bei der Hundwilertobelbrücke damals neu entwickelten Bauvorgang mit einem Stahlskelett war der Weg für eine Realisierung der Bogenbrücke geebnet.2 

TEC21: Sie steuern Wirtschaftlichkeit und Effizienz eines Brückentragwerks über neue konzeptionelle und konstruktive Ideen. Wie überzeugt man die Bauherrschaft von bislang noch nicht umgesetzten Ideen?
Dialma Jakob Bänziger: Das ist eine Vertrauenssache. Es ist allerdings auch abhängig von den Personen in der Jury. Man sollte in Beurteilungsgremien Fachleute einschliessen, die die Ästhetik, die Wirtschaftlichkeit und vor allem auch die konstruktiven Aspekte beurteilen und deren Einfluss auf das Tragwerk abschätzen können (vgl. Interview mit Christian Menn).

TEC21: Inwiefern spielte die landschaft­liche Einbettung in Ihren Entwürfen eine Rolle?
Dialma Jakob Bänziger: Ich zog für die Gestaltung einer Brücke vor allem im Widerlagerbereich einen Landschaftsarchitekten bei. Vor allem in meinen ersten Entwürfen entwickelte ich mithilfe des Landschaftsarchitekten Gerold Fischer aus Wädenswil meine Sensibilität für den wichtigen Übergang von der Brücke in die Umgebung. Die Widerlager mussten ästhetisch gestaltet und in die Landschaft, aber auch in die Topografie eingebettet werden. Landschaftsgestaltung heisst nämlich keinesfalls, dass ein Baukörper – so markant ein Widerlager auch sein kann – unbedingt versteckt werden muss. Es gibt immer wieder gestaltete Formen, die sich für einen bestimmten Ort und eine bestimmte Stelle besser oder weniger gut anbieten. Dafür braucht es Gespür und Fachwissen gleichermassen.

Anmerkungen
1 Dialma Jakob Bänziger, Brückenbau 1960–2005, Gesellschaft für Ingenieur­baukunst, Verlag und Vertrieb: Theiler Druck AG, Wollerau, ISBN 978-3-033-02036-8, 2009.
2 Das damals neuartige Bauverfahren zeichnete sich vor allem durch seine Wirtschaftlichkeit aus. Durch die zweifache Nutzung des Bogenlehrgerüsts konnten die Kosten so reduziert werden, dass die Bogenbrücke verglichen mit anderen Brückensystemen wieder konkurrenzfähig wurde. Die Bauweise ist vergleichbar mit dem Melan-System (benannt nach dem tschechischen Ingenieur Joseph Melan [1853–1941]), unterscheidet sich jedoch durch die Herstellung des Stahlgerüsts im Klappverfahren und durch die Regulierung der Bogenform während des Betonierens mittels Rückspannung.
 

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