Vokabular und Denkraster
Die SDGs der UNO sind so allgemein formuliert, dass sie auf alles anwendbar sind. Sind sie deshalb ein Universalmittel mit integriertem Weichspüler für effizientes Greenwashing? Nicht unbedingt: Planerinnen und Planer können sie als abstraktes, aber präzises Werkzeug nutzen, um ihr konkretes Tun auf Nachhaltigkeit zu prüfen.
Als Erstes ein kurzer Rückblick: Die erste TEC21-Ausgabe 2023 widmeten wir den Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO – jenen 17 Zielen also, die gemäss der Staatengemeinschaft zu erreichen sind, um die 2015 beschlossene «Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung» umzusetzen. Im Verlauf des Jahres thematisierten wir die SDGs in unterschiedlichen Formaten: in TEC21 natürlich, aber auch mit einem schweizweiten Call for Projects, einer Ausstellung am UIA-Weltkongress 2023 in Kopenhagen samt Reise, einer öffentlichen Diskussion in Zürich und im E-Dossier.
Warum dieser Versuch, die SDGs den Planerinnen und Planern in der Schweiz näherzubringen? An Zielvorgaben, Gesetzen, Normen, Grenzwerten, Anreizsystemen und Standards für das nachhaltige Bauen mangelt es hierzulande wahrlich nicht. Auch wohlklingende Absichtserklärungen der UNO gab es in den letzten Jahrzehnten mehr als genug. Zudem fällt auf, dass die SDGs – selbst im Vergleich zu früheren UNO-Zielen – besonders allgemein formuliert sind, sie enthalten keinerlei konkrete Zielwerte. Es ist an den einzelnen Ländern, die globalen Zielsetzungen gemäss lokalen Bedürfnissen und Möglichkeiten zu konkretisieren. Welchen Praxisnutzen könnten Planungs- und Baufachleute in der Schweiz daraus ziehen?
Lesen Sie auch: «Zeichen der Zukunft» – Setzt die Schweizer Planungs- und Baubranche die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung um? -> Nominierte Projekte
Eine wichtige Eigenschaft der SDGs ist, dass sie sich nicht auf ein UNO-Thema – etwa Weltfrieden oder Klimawandel – beschränken, sondern ein ganzheitliches System darstellen. Sie umfassen alle Dimensionen der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit und zeigen damit auch deren vielfache Wechselwirkungen.
Diese Kombination von präzis formulierten anzustrebenden Qualitäten und nicht spezifizierten Quantitäten machen die 17 UNO-Nachhaltigkeitsziele zu einem effektiven Denkraster – ganz besonders für Planerinnen und Planer. Mit ihrem ganzheitlichen Anspruch verdeutlichen die SDGs die Komplexität einer nachhaltigen Entwicklung, bei der es für übergeordnete Ziele keine allgemeinen, sondern nur spezifische Lösungen geben kann und bei der Zielkonflikte unvermeidlich sind. Weil die SDGs auf einer hohen Abstraktionsebene angesiedelt sind, müssen sie situativ konkretisiert werden. Damit relativieren sie eindimensionale, sektorielle Lösungsansätze – und fordern zum Denken und Differenzieren heraus.
Wie gemacht für Planerinnen und Planer
Gerade diese Art von Denken und Differenzieren ist das Kerngeschäft aller Planerinnen und Planer. Die Arbeit im Spannungsfeld zwischen abstraktem Ziel und konkreter Situation, zwischen widersprüchlichen Vorgaben, divergierenden Ansprüchen und unterschiedlichen Massstäben, das Jonglieren mit den Disziplinen, das Aushalten von Komplexität, die Arbeit mit vielen unbekannten Variablen und die Suche nach neuen Ansätzen: All das gehört zum Berufsalltag von Fachleuten aus Architektur, Ingenieurwesen und Umwelt. Genau dafür sind sie bestens qualifiziert. Deshalb könnten gerade sie die SDGs als Kriterienraster einsetzen, um ihre eigene Haltung, ihre individuellen Handlungsfelder und die Grenzen ihrer Ein ussmöglichkeiten im Bereich der nachhaltigen Entwicklung zu reflektieren, ohne sich auf bestimmte Labels festlegen zu müssen.
Weitere Beiträge zum Thema «Sustainable Development Goals» finden Sie in unserem E-Dossier.
Die allgemeine und deshalb auch allgemein verständliche Formulierung der SDGs bringt noch einen weiteren Vorteil: Sie sind mehrheitsfähig. Viele international tätige Firmen und Investoren haben sie sich auf die Fahne geschrieben; selbst jene, die sie nur für ein unverbindliches Greenwashing nutzen, kennen sie zumindest. Die SDGs bilden ein System von Begriffen zu einem klar definierten Vokabular, das auch Laien beherrschen. Das macht sie zu einem Kommunikationstool, das auch Planerinnen und Planer einsetzen können, um ihre Ideen für eine nachhaltige Entwicklung unseres Lebensraums an ihre Auftraggeber zu vermitteln. Wir finden, dass sie es zumindest versuchen sollten.
Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 40/2023 «17 Ziele für die Baubranche».