Dau­ern­de Hül­len

Eine ungewohnte Leichtigkeit ergriff den Pariser Triumphbogen im vergangenen Herbst. Dabei war Christos Verhüllung nicht die erste ephemere Version des Bogens. Das Dauer- und das Flatterhafte fanden hier stets zusammen.

Publikationsdatum
15-03-2022

«Colifichets»: Tand, Nippes, Kinkerlitzchen. Mit diesem Wort bezeichnete ein französischer General Triumphbögen nach einer im Jahr 1800 gewonnenen Schlacht und verbannte sie damit in den Bereich des Überflüssigen, des Kleinkrams. Sechs Jahre später sollte derselbe General die Order zur Errichtung des Arc de Triomphe geben. Da war er nicht mehr bloss Soldat und Konsul der französischen Republik, sondern Kaiser der Franzosen und nannte sich Napoléon Ier.1  So wie sich sein Status verfestigt hatte, so hatte sich seine Ansicht über Triumphbögen verändert, war aus ephemerem Kleinkram offenbar ein staatstragendes Monument aus Stein geworden.

Napoleons Gesinnungswandel dürfte allerdings nicht allein von steinernen Bauten aus der Antike und damit einer früheren Kaiserzeit als der seinen inspiriert gewesen sein. Es gab ein zeitlich sehr viel näher liegendes Vorbild: Erst 1806 hatte man ihm in Strassburg anlässlich der siegreichen Schlacht von Austerlitz einen Triumphbogen errichtet, der mit seinen drei Öffnungen, den Gesimsen und dem Statuenschmuck antike Modelle aufrief, dabei aber aus Stoffbahnen und Pappmaché gebaut war. Der Wunsch, einem militärischen Triumph ein Monument zu errichten, wurde konterkariert von der Schnelligkeit, mit der das geschehen musste und die die Wahl der Materialien begründete. Ruhm und Pomp jetzt und sofort, in architektonischen Formen, die Dauer versprachen, auch wenn sie kurz­lebig gebaut waren.

Moment und Monument

Dieser wundersame Widerspruch mag typisch sein für die im 19. Jahrhundert beginnende Moderne. Aber er kennzeichnet in gewissem Sinn jeden Triumphbogen. Denn auch dessen ursprüngliche Version, der Bogen der römischen Antike, sollte einen kurzen Moment zum Monument machen, dem in die Stadt einziehenden Triumphzug Dauer verleihen. Am Titusbogen in Rom etwa ist dieser Triumphzug auf steinernen Reliefs verewigt, die die Flanken des Bogens bedecken. Darin wird deutlich, dass dieser Triumphzug eben nicht durch ­diesen Bogen zog, sondern ihm zeitlich voranging. Der Bogen ist der Stein gewordene Triumph.

 

Triumphbogen-Gottfried-Semper-Verhuellung

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Lesen Sie den Beitrag in TEC21 7/2022.


Napoleons Wunsch nach dauerhaftem Ruhm im Arc de Triomphe aber sollte, scheint es, von einer besonderen Flatterhaftigkeit verfolgt sein. 1810, vier Jahre nach Baubeginn, waren die Mauern gerade einmal sechs Meter hoch. Eine andere Art von Triumph, den Festzug zur Hochzeit Napoleons mit Marie-Louise von Österreich, nahm der Architekt Jean-François Chalgrin zum Anlass, das Monument in kürzester Zeit auf seine vollen 45 Meter wachsen zu lassen, jedoch abermals nur aus Holz und Stoff. 500 Arbeiter wurden für den Kulissenzauber angeheuert, und der Maler Louis La­fitte liess den Skulpturenschmuck als Trompe-l’Œil erscheinen. Der Festzug fand also abermals einen Widerhall im ephemeren Festgerüst, und der siebzigjährige Architekt nutzte dieses 1 : 1-Modell für letzte Korrekturen an der Kubatur.2

Ephemere Spektakel der Trauer

Der Russlandfeldzug, der Napoleons Armee bekanntlich nicht zum Sieg, sondern in den Winter führte, liess auch die Arbeiten am Triumphbogen einfrieren. Als der Kaiser 1814 abdanken musste, war sein Bogen gerade einmal zwanzig Meter hoch. Mit dem Kaiser fielen auch die Baugerüste, und es gab Vorschläge, den nun vermessen erscheinenden Stumpf des Triumphs in einen Wasserturm zu verwandeln. Doch Napoleons neo-royale Nachfolger entschieden sich zugunsten einer Fertigstellung, indem man den Bogen einfach den militärischen Erfolgen der französischen Armeen generell und nicht allein Napoleons widmete. Als das Sieges­monument 1836 schliesslich, wie bei der Einweihung von Denkmälern üblich, enthüllt wurde, verzichtete man auf eine grosse Zeremonie, um die Repräsentanten der Länder, deren Niederlagen dort dargestellt waren, nicht zu düpieren.

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Dem vertriebenen Kaiser aber blieb ein später Triumph unter seinem Bogen. Als seine Asche 1840 ruhmreich nach Paris zurückgeführt wurde, hielt der Umzug mit seinem Katafalk unter dem Arc, auf dessen Dachterrasse seine überlebensgrosse Statue errichtet worden war – gleichwohl natürlich nur aus vergäng­lichen Materialien und, wie der Dichter Victor Hugo amüsiert vermerkte, mit einer hohlen Rückseite. Doch Hugo wusste das Monument auch zu besingen. Und als er 1885 starb, wurde er aufgebahrt unter einem Arc de Triomphe, den Charles Garnier, der Architekt der Pariser Oper, mit einer schwarzen Schärpe und mit Flaggen bekleidet hatte, ein knappes Jahrhundert vor Christos und Jeanne-Claudes ersten Ideen einer ganz anderen Verpackung in den frühen 1960er-Jahren.

Als diese Verkleidung im vergangenen Spät­sommer realisiert wurde, verlor der Arc de Triomphe für einige Wochen auch sein Bildprogramm, seine Inschriften und Skulpturen, die ihm seine martialische Bedeutung verleihen. Gleichwohl behaupteten die an der Realisierung Beteiligten wie Christos Neffe und Assistent Vladimir Yavachev, in dem blauen, mit Aluminium bedampften Polypropylenstoff und den roten Kordeln klinge die französische Trikolore – bleu, blanc, rouge – an. Emmanuel Macron, der aktuelle Präsident Frankreichs, wusste diese nationale Bedeutung um eine europäische zu erweitern, als er zum Antritt der französischen EU-Ratpräsidentschaft mit dem Jahreswechsel im ­Bogen eine riesige Europaflagge hissen liess – was prompt den aufgebauschten Zorn rechtskonservativer Politiker nach sich zog. Die Geschichte der Wechsel­wirkung aus Stoff und Stein am Arc de Triomphe – sie ist noch nicht zu Ende geschrieben.

Anmerkungen

 

1 Thomas W. Gaehtgens, Napoleons Arc de Triomphe. Göttingen 1974, S. 11f.

 

2 Anne Muratori-Philip, L’Arc de Triomphe. Paris 2007, S. 5f.

Literatur

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