Stadt­klang wahr­neh­men

Publikationsdatum
01-09-2016
Revision
02-09-2016

Schall lässt sich messen und ist eine vermeintlich handhabbare Umwelteinwirkung. Die gesetzliche Intervention erfolgt meistens über Schalldruckpegel. Für ein Verständnis des akustischen Raums greifen die quantitativen Aspekte jedoch zu kurz. Dazu gehören nämlich auch die subjektive Wahrnehmung und die soziale Konstruktion von Hörsituationen. Unterschiedliche sozial- und kulturwissenschaftliche Disziplinen greifen die komplexe Herausforderung auf, den Umgang mit Lärm über rein messbare Elemente hinaus zu erforschen.

Von der Wahrnehmungspsychologie inspiriert ist beispielsweise das «Moderatorenkonzept», das die subjektive Hörerfahrung des Menschen in den Vordergrund stellt. Die akustische Wahrnehmung des Einzelnen wird bislang als nicht operationalisierbar, aber als von diversen Moderatoren beeinflussbar betrachtet. Letztere verweisen darauf, dass ein einzelnes Schallereignis individuell jeweils unterschiedlich wahrgenommen und empfunden werden kann:

  • Kontrollierbarkeit: Ein Schallereignis wird umso lästiger empfunden, je we­niger es beeinflusst oder kontrolliert werden kann.
  • Vorhersehbarkeit: Analog zur «moderierenden» Kontrollierbarkeit nimmt die wahrgenommene Störung zu, wenn ein Schallereignis nicht vorhersehbar ist.
  • Einstellung oder Disposition: Je höher die Sensibilität gegenüber Lärm, desto schneller nimmt eine Person kleinste Geräusche als störend wahr. Relevant ist dabei die individuelle Einstellung oder das Verhältnis zum Schalltypus, zur Geräuschquelle oder zur Geräusch verursachenden Person.
  • Beurteilung des Vollzugs: Wird die Ansicht vertreten, die zuständigen Behörden könnten den Lärm unter Umständen verhindern, erweist sich ein Schallereignis als besonders lästig.
  • Nichtakustische Wirkung einer Lärm­quelle: Das Wissen über negative Ef­fekte des Strassenverkehrs, wie zum Beispiel Luftverschmutzung oder Unfallgefahr, verstärken die Störwirkung der dadurch ebenfalls verursachten Schallereignisse.
  • Funktion der Lärmquelle: Kann die Lärmquelle einer anerkannten zweckdienlichen Funktion zugeordnet werden, besteht die Möglichkeit, dass die Störung relativiert wird.
  • Auch eine als angenehm empfundene, gebaute und gestaltete Umgebung kann die Wahrnehmung des Schallpegels positiv beeinflussen.

Weitere sozial- und kulturwissenschaft­liche Stränge führen zur empirischen, oft ethnografischen Auseinandersetzung mit dem Stadtraum als akustische Klang­­landschaft. Zur ganzheitlichen Be­trach­tung akustischer Räume gehört insofern die Frage, wie Lärm sozial kon­struiert wird. Respektive: Unter welchen Voraussetzungen wird ein Geräusch zu Lärm? 

Lärm ist insofern weder ein rein phy­sikalisches Phänomen, noch lässt er sich einzig subjektiv bewerten. Lärm entsteht vielmehr, weil Menschen Ge­räusche als Störung wahrnehmen und diese beklagen, regulieren, messen, politisch bekämpfen, ästhetisch inszenieren oder technisch unterdrücken. 

Ansätze für Massnahmen

Aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Sicht erscheint es deshalb obsolet, die Lärmkonflikte allein über Regulierungsmassnahmen zu lösen. Mehr Erfolg versprechen Lösungsansätze, bestehende Lärmkonflikte im öffentlichen, urbanen Raum mit einer ergänzenden Aushandlung beheben zu wollen. Von den Lärmverursachern und den Betroffenen wird dafür aber die Akzeptanz vorausgesetzt, dass Nutzung und Wahrnehmung des öffentlichen Raums teilweise widersprüch­lich und dynamisch sind.

Noch ist ein solches Verständnis nicht überall konsensfähig. Dennoch werden bei Lärmkonflikten erste Massnahmen daraus für die Kommunikationsebene abgeleitet. Unter anderem können neue Kommunika­ti­ons­strukturen und Aushandlungsgefässe im Rahmen von partizipativen Ver­fahren, etwa in einem Quartierentwicklungsprozess, eingerichtet werden. Bei Nachbarschaftskonflikten lassen sich soziale Aushandlungs- und Kommunikationsstrukturen mit Mediationsverfahren oder einem runden Tisch schaffen.

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